"Bergdoktor" Hans Sigl: "In Deutschland fragte man, ob ich ein Nazi bin"

Als TV-"Bergdoktor" ist Hans Sigl der diensthabende Quotengott in Weiß. Was macht ihn so erfolgreich? Wie viel Arzt steckt wirklich in ihm? Und - wie fällt seine Diagnose für sein Heimatland Österreich aus?

von Interview - "Bergdoktor" Hans Sigl: "In Deutschland fragte man, ob ich ein Nazi bin" © Bild: News Deak Marcus E.

News: Verborgener Alkoholismus, Kiffen auf der Bergpanoramaterrasse, verbotene Liebe zu einer Patientin, fatale Kunstfehler -Herr Sigl, wünschen Sie sich manchmal, dass der von Ihnen verkörperte "Bergdoktor" Martin Gruber eine echte menschliche Schwäche hat?
Hans Sigl: Sehen Sie, das hat also Netflix aus Ihnen gemacht (lacht), das sind also Ihre Bilder von einer latent gefährlichen B-Seite des Doktor Martin Gruber? Dabei ist der bei weitem nicht nur der gute Knabe, der schaut, dass die Spiegeleier warm sind. Er ist mitunter ein sehr egoistischer Mensch, er ist scheinbar bindungsunfähig, das darf man nicht unterschätzen. Nur ist das alles nicht so gespielt, dass es mit der Tür ins Haus fällt, wir haben uns da schon ein bisserl was überlegt. Und was den Alkoholiker betrifft: Das machen doch bereits die Kollegen vom "Tatort"...

Dramatische und teils recht ausgefallene Diagnosen sind Teil Ihres TV-Jobs - haben Sie denn selbst Angst vor schweren Krankheiten?
Zugegeben, die Wahrscheinlichkeit, an Krebs zu erkranken, ist größer als jene, dass einem ein Flugzeug auf den Kopf fällt. Aber meine Angst ist einer gewissen Klarheit darüber gewichen, was im Falle eines Falles geschieht. Ich habe schon vor Jahren gelernt: Wenn es ums nackte Überleben geht, braucht man einen pragmatischen Zugang, sonst ist man verloren - zumindest empfand ich das während meiner Arbeit im Krankenhaus so.

© News Deak Marcus E. Hans Sigl ordiniert als der "Bergdoktor"

Sie haben tatsächlich Spitalserfahrung?
Als Zivildiener habe ich in Innsbruck als Pfleger auf der internen Station gearbeitet - wer weiß, vielleicht bin ich letztendlich sogar dadurch auf die Rolle des Doktor Gruber gestoßen.

Dort haben Sie wohl auch Erfahrungen mit dem Tod gemacht?
Ja, aber nicht in seiner künstlerischen Aufgeregtheit: Im Theater, da geht es ja andauernd um Leid, Mord und Tod. Nein, ich habe ihn von seiner unaufgeregten Seite gesehen: den Tod, der einfach da ist, als Teil des Lebens. Wenn etwa eine Patientin, die man seit Monaten kennt, verstirbt, dann setzt man sich zwangsläufig damit auseinander. Ich beschloss, ein Jahr lang nicht am Theater zu spielen, um mich dieser anderen Seite zu widmen -und zu schauen, was das Leben außerhalb des Kulturbetriebes denn so bereithält. Und es war eines meiner bereicherndsten Jahre, denn ich lernte, dass man gewisse Dinge einfach annehmen und als Teil des Menschseins begreifen muss.

Wie gerne gehen Sie zum Arzt? Mittlerweile müssen Sie ja selbst ein recht brauchbarer Alltagsdiagnostiker sein.
Das bin ich natürlich nicht. Ich gehe nicht häufig zum Arzt, gottlob bin ich gesund. Aber ich bin wohl eher ein Sonderfall, denn ich kenne meine Ärzte, weil dies meistens Freunde sind - weshalb eine Konsultation meist mit einem angenehmen Kaffee danach verbunden ist.

Wie reflektieren denn Ihre Ärzte-Freunde auf Ihr Alter Ego Doktor Gruber?
Die wünschen sich in eine Zeit, wo es solche Landpraxen noch gibt -und wo der Arzt viel Zeit für seine Patienten hat. Wenn man hört, dass ein Chirurg in seiner Praxis pro Tag 30 Patienten sieht, dann kann man sich ausrechnen, in welcher Diskrepanz die Realität zu unserer filmischen Realität steht.

»Wir beschreiben einen Idealzustand, den sich jeder wünscht«

Die größte Diskrepanz zwischen dem idealisierten Arzt Doktor Gruber und dem realen Ärztealltag ist also...
der Faktor Zeit. Da müssen wir dramaturgisch ein bisserl zaubern. Wir tun ja so, als ob fast jede Krankheit, auch in sehr komplexen Ausprägungen, innerhalb von 90 Minuten heilbar ist. Wir können keine Zeitsprünge von, sagen wir einmal, sechs Monaten einbauen, weil wir parallel ja auch eine horizontal verlaufende Familiengeschichte erzählen.

Hypothese: Die Serie ist deswegen so erfolgreich, weil sie folgenden Wunschtraum bedient: Unsere Gesundheitsversorgung könnte effizient und ohne Wartezeiten und ohne Unterschied von Klassen funktionieren
Natürlich beschreiben wir da einen ultimativen Idealzustand, den sich jeder wünscht.

Zusatzversicherung oder nicht, bei Ihnen werden alle gleich behandelt.
Wir haben das Thema Privatkassen weitestgehend ausgeklammert, weil es uns mit etwas konfrontieren würde, was wir gar nicht erzählen wollen. Wir erzählen hochemotionale Geschichten, das können wir viel besser. Es ist nicht unser großes Ziel, das objektiv vorhandene System einer Zweiklassenmedizin abzubilden.

Dennoch sind Sie Österreichs mit Abstand populärster Allgemeinmediziner - wie sollte ein Gesundheitssystem aussehen, das unserem westlichen Wohlstand angemessen ist?
Wenn ich darauf eine endgültige Antwort geben könnte, wäre ich wohl längst schon Gesundheitsminister. Nur so viel ist für mich klar: Es sollte ein System geben, das ganz klar nach Einkommen gestaffelt ist. Wer mehr verdient, soll auch mehr zweckgebundene Steuern für die Medizin abführen. Auch wenn es parallel dazu immer Privatkassen geben wird, darf es keine VIP-Warteräume geben. Jeder sollte ein Gesundheitswesen vorfinden, das ihn versorgt -ganz egal, welches Einkommen er hat oder welches Land in seiner Geburtsurkunde steht.

Doktor Gruber ist auch ein hervorragender Psychologe - fehlt es unseren Ärzten an psychologischem Feingefühl?
Nach dem, was mir so zugetragen wird, fehlt es nicht nur im Arzt-Patientenverhältnis an Psychologie. Ich glaube, dass es unserer Gesellschaft ganz allgemein an Psychologie mangelt. Und an Empathie, an wechselseitiger Zuwendung.

» Die Wölfe kommen wieder im Schafspelz daher«

Wie meinen Sie das?
Es ist eine riesengroße Irritation eingetreten, die von verschiedenen Seiten politisch geschürt wird. Es wird ganz gezielt ausgegrenzt, es werden Vorurteile breitgetreten, Falschinformationen verbreitet, und das führt in weiterer Folge bei Menschen, die nicht die Zeit und die Möglichkeit haben, sich zu informieren, zu einer gewissen Radikalisierung des Gedankengutes, der Sprache - und das finde ich auf die Zukunft gesehen besorgniserregend.

Einerseits wird im "Bergdoktor" ein gewisses Heimatgefühl präsentiert, andererseits scheinen Sie ein durchaus gespaltenes Verhältnis zu Gruppierungen zu haben, die man gemeinhin "Heimatparteien" nennt...
Nein, ich habe kein gespaltenes Verhältnis, sondern eine klare Einstellung: Eine sogenannte "Heimatpartei" hat keinen echten Inhalt, denn sie gibt vor, eine soziale Debatte zu führen, die in Wahrheit keine ist. Das ist das Problem, dass sich Populisten in Begriffe wie "Heimat" hüllen und so selbst schützen, sodass sie sich einer faktischen Auseinandersetzung entziehen können. Sie wollen, so geben sie vor, ja bloß die Heimat bewahren, die Heimat, aus der scheinbar ausschließlich Gutes hervorgebracht wurde - und alles, was nicht Heimat ist, ist "schlecht". Und da sind wir genau beim Kern des Problems: Die Wölfe kommen wieder im Schafspelz daher und bringen es so weit, dass die Leute Angst haben, vor jedem Supermarkt könnte ein Attentäter mit Sprengstoffweste stehen.

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Machen Sie sich, auch wenn das jetzt pathetisch klingt, Sorgen um Österreich?
Ich mache mir dennoch keine Sorgen um Österreich. Es sind alles noch demokratische Prozesse, auch wenn es manchmal nicht so scheint. Ich glaube an das Korrektiv des Guten und des Richtigen. Als ich einmal Kollegen fragte "Wie geht ihr mit der momentanen Situation um?", sagten sie: "Du, wir sind es leider fast schon gewöhnt."

Was gewöhnt?
Dass Österreich ein Problem mit seiner Geschichte hat: Erst war da die Causa Waldheim, dann der Aufstieg der FPÖ

Die NS-Zeit wurde nie richtig aufgearbeitet?
Geschichte aufzuarbeiten, ist kein Akt einer formalen Kommission, deren Erkenntnisse dann von einem Heimatministerium gebilligt werden können oder nicht -das ist ein langer gesellschaftlicher Prozess und der hat, denke ich, in Österreich nicht im, ich formuliere es salopp, ausreichenden Maß stattgefunden. Als die FPÖ groß geworden ist, das war gerade die Zeit, als ich in Deutschland beruflich Fuß fasste. Als man mich da nach meiner Herkunft fragte, hieß es zunächst: "Österreich? Das ist ja Kaiserschmarrn, Skifahren und Gaudi!" Und auf einmal wurde ich dann gefragt: "Sag, bist du auch ein Nazi?" Da habe ich sehr persönlich erfahren, welche Wirkung das alles nach außen hat. Derzeit ist der Running Gag in Deutschland: "Was, die AFD hat 18 Prozent? In Österreich wäre das ein Linksruck." Österreich wird rechts regiert, und diesem Faktum muss man ins Auge sehen. Und es würde einem in diesem Zusammenhang schwerfallen, zu sagen, Österreich hätte im Laufe der vergangenen Jahrzehnte seine Vergangenheit aufgearbeitet und stünde seiner Geschichte klar positioniert gegenüber.

» Die Wortkombination Superstar und Kanzler finde ich absurd«

Halten Sie es denn für amoralisch, mit einer FPÖ zu koalieren?
Es ist nicht amoralisch, mit einer FPÖ zu koalieren, denn es ist ein demokratisches Ergebnis und eine ebensolche Entscheidung. Aber es ist, um nur ein Beispiel zu nennen, amoralisch, die Mindestsicherung mit Verweis auf die Flüchtlingsproblematik zu kürzen, obwohl die Dinge nichts miteinander zu tun haben.

Wie beurteilen Sie denn unseren neuen Superstar Sebastian Kurz?
Also zunächst finde ich die Wortkombination Superstar und Kanzler absurd. Herr Kurz ist Politiker, und Politiker sind in meinen Augen keine Superstars, sondern Dienstleister an der Öffentlichkeit -aber das ist eben die mediale Darstellung. Ich kenne Herrn Kurz nicht persönlich und kann mich nur seinen fachlichen Aussagen gegenüber verhalten, und ich glaube, da dürften wir, wie es im Politikerjargon heißt, eine sehr geringe Schnittmenge haben.

Sie sind da ja vergleichsweise outspoken - geht Ihnen die Couragiertheit der Kulturszene ab?
Ich beschreibe lediglich meine Sicht auf die Dinge. Vielleicht wird ja manch anderer auch nicht gefragt. Aber in der Kollegenschaft gibt es genug Haltung und auch Meinung. Ich finde es wunderbar, wie sich etwa Wolfgang Ambros engagiert, der ist outspoken, deswegen habe ich auch seine Songs in mein Solo-Bühnenprogramm genommen. Und wenn ein Georg Danzer noch leben würde, so würde er wahrscheinlich ganz ähnlich reagieren. Jeder muss das sagen, was er eben sagen will. "Die Freiheit der Kunst" ist eben mehr als nur vier Worte.

© News Deak Marcus E. Im Fernsehen heilt Hans Sigl auch die aussichtlosen Fälle - doch seine Diagnose für Österreich fällt nicht ganz so erfreulich aus

Würden Sie bei all der aktuellen Entwicklungen nicht gerne einmal einen richtig fiesen Typen spielen?
Wenn ich einen fiesen Typen spielen wollte, würde ich aktuell in der Politik einige Beispiele finden. Aber nein, es gibt keine Traumrolle, auf die ich hinarbeite, es ist eher so, dass ich die Rollen auf mich zukommen lasse. Und derzeit macht es absolut Sinn für mich, diesen Arzt zu spielen. Als ich kürzlich einen Thriller drehte, hatte ich am Set sogar ein klein wenig das Gefühl des "Fremdgehens". Wenn ich damit zu einem Psychiater ginge, um mein "zweites Ich" als Doktor Gruber detailreich auszubreiten - wer weiß, vielleicht würde ich schon als schizophren durchgehen. Wobei sich Menschen im Internet ihr Second Life bauen -und ich habe das sogar inklusive Catering (lacht).

Haben Sie keine Angst, die Figur könnte irgendwann einmal auserzählt sein?
Ich habe einmal gesagt, dass ich mit dieser Rolle nicht 60 werde. Eine Journalistin dachte dann, ich hätte mich vertan, und das beziehe sich eigentlich auf meinen Fünfziger, der heuer im Sommer ansteht -und so vermeldete sie kurzerhand mein Serien-Aus. Aber seien Sie ganz unbesorgt: Rund um den Wilden Kaiser wird es noch lange immunschwache, psychologisch zu betreuende Fälle geben, denen sich dieser Doktor Martin Gruber in einer klassenlosen Medizin-Gesellschaft widmen kann -und darauf freue ich mich.

Der Beitrag erschien ursprünglich in der Printausgabe von News (Nr. 4/2019)

Im Video: Ronja Forcher - Die Bergdoktor-Tochter war 2017 im Playboy zu sehen.

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Kommentare

Wer im Tiroler Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen in eine Wiener Situation werfen. Gutmenschentum aus der Ferne ist schön, Meidling, 16., U6 ist etwas ganz anderes. Man kann und darf dann mitreden, wenn seine eigenen Kinder in einer 98% Ausländerklasse sitzen und gemobbt werden. Das ist die Realität. Daher ist so ein Süßholzgeraspel zum Kotzen.

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