"Es gibt einen immensen Druck
auf Eltern, alles richtig zu machen"

Wann sich Eltern Hilfe suchen sollen und wie ein "Babytherapeut" arbeitet, zeigt die Doku von Antonin Svoboda

Kommt ein Baby, schwelgen die Eltern im großen Glück. So zumindest die gängige Annahme. Dass das nicht immer ganz so einfach ist, zeigt auch die neue Dokumentation „Nicht von schlechten Eltern“ von Antonin Svoboda. Sie begleitet drei Familien mit neugeborenen Babys bei der Therapie. Ihre Probleme reichen von einem Schreibaby bis zur kindlichen Selbstverletzung. News.at hat mit dem Regisseur über ein Phänomen, das viel zu wenig sichtbar in unserer Gesellschaft ist, gesprochen.

von Viennale 2017 © Bild: © Viennale

News.at: Wie sind Sie auf das Thema gekommen?
Antonin Svoboda: Ich habe den Babytherapeuten Thomas Harms schon 2009 für meinen Dokumentarfilm „Wer hat Ansgt vor Wilhelm Reich“ interviewt und einen ersten Einblick in seine Arbeit machen dürfen und es hat mich zutiefst beeindruckt, mit welcher Sensibilität und emotionaler Zuwendung schwierigste Themen behandelt wurden. Der Moment, wo die Babys und Kleinkinder erkennbar von ihren Problemen „erzählten“ hat mich dann nicht mehr losgelassen. Es ist tatsächlich die einzige Sprache, die alle Menschen auf der Welt verbindet bzw. ident ist. Und ich habe mich sehr gewundert, warum es dazu so wenig Informationen und Interesse gibt.

»Ich wollte dieses Phänomen sichtbar machen. «

Was war der Anspruch bei dem Film?
Ich wollte dieses Phänomen sichtbar machen. Kinder können noch im nonverbalem Zustand von ihren Problemen berichten und wenn der Raum und die Zuwendung besteht, auch auflösen. Ich hoffe also, dass es Eltern Mut macht, sich differenzierter und emotional stärker auf ihre „Problemkinder“ einzulassen, weil durch diese frühe Traumaauflösung viel aus dem Rucksack rausfällt, was man womöglich als Erwachsener ein Leben lang dann mit sich herumträgt und weil die Qualität der Eltern-Kind-Bindung zudem eine definitive Steigerung erfährt.

Sie waren bei unzähligen Therapiestunden dabei. Was haben Sie da mitnehmen können?
Therapie ist wie ein Skalpell. Wird es sorgsam geführt, gibt es einen verhältnismäßig geringen Schmerz im Vergleich dazu, was einen an Lebensqualität und Liebesfähigkeit erwartet. Die Tatsache, wie schnell Babys und Kleinkinder auf die Therapie der ersten emotionalen Hilfe ansprechen, spricht für sich und ich wünsche allen Eltern, die Hilfe benötigen, möglichst früh diese bereichernde Erfahrung für ihr gemeinsames Leben zu machen.

Viennale 2017
© © Viennale/Alexi Pelekanos Regisseur Antonin Svoboda: "Ich wünsche allen Eltern, die Hilfe benötigen, möglichst früh diese bereichernde Erfahrung für ihr gemeinsames Leben zu machen."

Gab es besonders dabei besondere Momente, die Ihnen im Kopf geblieben sind?
Sie sind alle im Film. Fast, manches musste ich aus Rücksicht auf den Therapieprozess ohne Kamera passieren lassen. Der Moment, wo Hanna mit ihrer Tochter an dem Punkt anlangt, bei dem sie sich für die verunsicherten ersten Tage und Wochen nach der Befruchtung entschuldigt und sich ihr ganzer Schmerz in einem Tränenfluss von ihr löst, bringt mich immer wieder noch selbst zum weinen.

»Natürlich soll und darf man Hilfe annehmen. «

Ist das bei uns ein Tabuthema, dass Babys nicht nur Glück bedeuten?
Es gibt einen immensen Druck auf Eltern, alles richtig zu machen. Das impliziert ja eigentlich schon das Scheitern und der Film soll helfen, für diese komplexe Extremsituation des Elternwerdens, Verständnis zu schaffen. Denn natürlich soll und darf man Hilfe annehmen. All die Ratgeber und Meinungen, die man in der Schwangerschaft nutzt, sollen einer guten Vorbereitung dienen, und sollen Mutter und Vater stärken in ihrem intuitiven Entscheiden, welche Prioritäten gesetzt werden sollen. Gibt es dabei Probleme wie etwa Beziehungsprobleme, destruktive Gefühle und so weiter, sollte man lieber früher als später Hilfe annehmen. Wenn das Baby gelandet ist, sollte man sich gewiss sein, dass man als Elternteil Schutz und Sicherheit geben kann, denn alles andere irritiert ein Baby; Ohne Schutz geht es dem kleinen Wesen an die Substanz. Man kann sich diese Verunsicherung ruhig existenzbedrohend vorstellen.

Babys sind anstrengend, keine Frage, aber ab wann sollten Eltern eine Therapie in Erwägung ziehen?
Aus den oben genannten Gründen und der Tatsache, dass es besser ist, aktiv Hilfe zu suchen als passiv seine Ratlosigkeit zu erdulden und daran zu verzweifeln. Wir haben nicht mehr den Rückhalt eines Drei-Generationen-Haushalts. Früher haben sich in Familien und Nachbarschaften viele Probleme durch viele sorgende und liebende Hände gelöst. Diese Hände sind heute eher professionalisiert, aber noch immer menschlich.

» Sich nicht für Fehler oder Schwäche zu verurteilen, macht Hoffnung. «

Wie haben die Zuschauer bis jetzt auf den Film reagiert?
Mit einem großen Aufatmen, dass der normale Zustand einer jungen Familie, die eben auch mit allen möglichen Unzulänglichkeiten zu kämpfen hat, nicht wertend dargestellt wird. Der Film wird ermutigend aufgenommen. Den Druck herausnehmen, mit seinem Kind emotional ins Reine und zur Ruhe kommen, sich nicht für Fehler oder Schwäche zu verurteilen, macht Hoffnung. Und fördert die Empathie, was eine wichtige humanistische und soziale Eigenschaft, die es mehr den je zu pflegen und beschützen gilt, ist

Werden Sie sich weiter mit dem Thema beschäftigen?
Ja, aber auf privater Ebene. Ich habe drei Kinder, eine erwachsene Tochter und zwei Nachzüglerinnen, mit denen wir uns ein Jahr Auszeit nehmen. Vielleicht weil ich bei meiner ersten Tochter noch recht jung war und als Student vieles versäumt habe, habe ich jetzt ein dringendes Bedürfnis diese ersten Jahre so nah und intensiv wie möglich erleben zu dürfen. Mit Kindergarten und Schule entfernen sich unsere Kinder rasant in Richtung Gesellschaft und letztlich ein recht ambivalenten System, für das es eine gute emotionale wie geistige Basis benötigt, um nicht nur als Funktionsrädchen geschluckt zu werden, sondern sich als Mensch immer wieder auf die Hinterbeine stellen zu können.

Zum Film:
"Nicht von schlechten Eltern" zeigt drei Familien mit neugeborenen Babys bei der Therapie. Ihre Probleme sind unterschiedlich, Levi hat keinen Schlaf-Wach-Rhythmus, Konrad ist ein „Schreibaby“ und Lotta tendiert zur Selbstverletzung und ist ständig in Unruhe.

Drei Jahre lang hat Antonin Svoboda die Familien bei ihrer Therapie mit dem deutschen Körperpsychotherapeuten Thomas Harms begleitet und liefert nach 86 Minuten überraschende wie überaus interessante Erkenntnisse. Im Endeffekt geht es weniger darum, die Probleme dieser „Problemkinder“ zu lösen, als vielmehr das Miteinander in den Familien zu betrachten, die Ursachen herauszufinden und die - zumeist - äußerst traumatischen Geburtsvorgänge erst einmal aufzuarbeiten. Nicht selten stellt sich im Verlauf dieser Therapie die Frage, wer in diesen Geflechten eigentlich das hilfesuchende Baby ist und nicht selten sind es alle Betroffenen. Dennoch ist dieses Thema so komplex, dass es weder Regeln noch die einzig richtige Lösung geben kann und trotzdem ist es immer ein guter Anfang, den Kindern, selbst wenn diese noch Babys sind, einfach den Raum und die Zeit zu geben, sich mitzuteilen. Es ist dabei erstaunlich, was sogar Babys, passt man erst einmal ganz genau auf, alles zu vermitteln in der Lage sind .

Nebenbei wird auch noch die Frage nach Mutter- bzw. Vaterschaft in der heutigen Welt gestellt, ein schwierig zu findende Rolle für viele junge Eltern, die in diese gesamte Komplexität auch hineinspielt. Dennoch wird dies nur als Metaebene eingefügt – und quasi als Denkanstoß mitgegeben.