Sprechen Sie Pflege?

Pflegekurse für Zuwanderer zeigen, wie die Integration am Arbeitsmarkt gelingen kann

Ein einziges Mal ist ihm das bisher passiert. Die Patientin hatte von Anfang an unzufrieden gewirkt. Doch als sie wieder klingelte und wieder er in der Tür auftauchte, wurde sie richtig wütend. "Wir sind hier ja nicht in Afrika", schimpfte sie. Von einem wie Morris Noru wollte sie sich nicht pflegen lassen.

von Pflegekurse für Zuwanderer © Bild: Matt Observe/News

Noru ist 34 Jahre alt und stammt aus Nigeria. Vor allem aber ist er Pflegehelfer in einem Wiener Spital. Und er ist hart im Nehmen: "Ich nehme das nicht persönlich", sagt er. "Ich arbeite seit dreieinhalb Jahren in dem Beruf und habe erst ein einziges Mal eine schlechte Erfahrung gemacht."

Pflegekurse für Zuwanderer
© Matt Observe/News Morris Noru, 34, arbeitet als Pflegehelfer im Wiener Franziskus-Spital: "Es ist ein schönes Gefühl, anderen zu helfen"

Dass Noru überhaupt in Österreich als Pflegehelfer arbeitet, hat zwei Voraussetzungen gebraucht, die der Schlüssel zu fast allen Fragen rund um Migration sind: persönlichen Antrieb und gezielte Integrationspolitik.

Für Ersteres ist Noru selbst verantwortlich. In Nigeria hatte er Wirtschaftswissenschaften studiert, doch in Österreich wurde sein Abschluss nicht anerkannt. Deshalb schlug er sich mit Gelegenheitsjobs durch. Als Tagelöhner bei der Müllabfuhr, als Nudelkoch in einer Pastakette, als Saisonnier im Straßenbau. Als im Winter vor fünf Jahren die Arbeiten auf seiner Baustelle wetterbedingt eingestellt wurden, war er arbeitslos. Da schwor er sich, eine andere Aufgabe zu finden. Eine, bei der er immer Arbeit finden würde. Eine, die ihm selbst sinnvoll erschien.

»Viele Zuwanderer haben großes Interesse daran, im Pflege-und Betreuungsbereich zu arbeiten«

Für das Zweite ist Sebastian Kurz verantwortlich. Im Juli 2012 präsentierte er, 25-jährig und seit gerade einmal einem Jahr Staatssekretär, eines seiner ersten großen Projekte bei einer Pressekonferenz. "Migrants Care", eine Qualifizierungsoffensive für Pflegeberufe.

"Viele Zuwanderer haben großes Interesse daran, im Pflege-und Betreuungsbereich zu arbeiten", sagt Monika Wild, die Leiterin der Gesundheitsdienste beim Roten Kreuz, "aber häufig scheitern sie an den verlangten Deutschkenntnissen." Eine Antwort auf dieses Dilemma fanden das Rote Kreuz, die Caritas, die Diakonie, das Hilfswerk und die Volkshilfe gemeinsam. In speziellen Kursen sollten Migranten Deutsch lernen und gleichzeitig einen Einblick in Pflegeberufe bekommen, um danach für eine Berufsausbildung bereit zu sein. Finanziert wurde das Projekt vom damaligen Integrationsstaatssekretariat.

Gezielte Integrationspolitik

Morris Noru war einer der Ersten, die am Pflege-Deutschkurs für Migranten teilnahmen. Fünf Jahre später macht sich das Projekt nicht nur für ihn bezahlt. Insgesamt 14 Kurse wurden seit dem Projektstart in Wien abgehalten, zwei in der Steiermark. Von den 224 Absolventen in Wien haben 83 eine weiterführende Fachausbildung gemacht. Fast alle von ihnen arbeiten nun, wie Morris Noru, in einem fixen Dienstverhältnis: "Unsere Erfolgsquote liegt bei 36 Prozent", sagt Monika Wild, "das ist ein fantastischer Wert für Arbeitsmarktmaßnahmen."

Deshalb gibt es "Migrants Care" immer noch. Sebastian Kurz, mittlerweile zum Minister aufgestiegen, redet zwar nicht mehr so viel über sein ehemaliges Lieblingsprojekt. Sein Außen-und Integrationsministerium zahlt aber weiterhin dafür. Etwa zwei Drittel des dreimonatigen Kurses machen die Deutschkurse aus, die der Österreichische Integrationsfonds abhält. Am Ende können sich alle Teilnehmer gut mit Muttersprachlern unterhalten. Im letzten Drittel geht es um spezielles Vokabular, das man in der Pflege braucht, und um praktische Grundlagen dieses Berufes. Jedes Jahr werden mehr als 50 Menschen qualifiziert, um später in einem Bereich zu arbeiten, in dem die Nachfrage kontinuierlich steigt.

Sie alle werden einen Job finden. Denn Österreich braucht in Zukunft noch viel mehr Pflegefachkräfte. Der Anteil der Menschen, die über 90 sind, wird sich bis 2030 vervierfachen. Momentan arbeiten rund 65.000 Menschen im Bereich der Langzeitpflege. Fast ein Drittel mehr wird man bis 2025 brauchen. Ausgebildet werden müssen noch mehr. Denn beim Pflegepersonal steht, genau wie bei Lehrern oder Polizisten, in den nächsten Jahren eine Pensionierungswelle an.


Mehr Nutzen als Kosten

Erfolgreiche Projekte wie "Migrants Care" könnten daher als Schablone für weitere Integrationsinitiativen im Gesundheitsbereich dienen. Dass sich Investitionen in die Qualifikation von Zuwanderern rechnen, belegt auch eine Studie von Joanneum Research, die diese Woche veröffentlicht wurde. Die Grazer Wissenschaftler analysierten anhand der Erwerbskarrieren von Asylberechtigten von 2002 bis 2015, wie sich die Migration volkswirtschaftlich auswirkt. Ihr Ergebnis macht zuversichtlich: Nach zehn Jahren bringt jeder Asylberechtigte der Volkswirtschaft mehr ein, als er sie kostet. Die Bruttowertschöpfung beträgt rund 7350 Euro pro Kopf und Jahr. Die Summe der bezahlten Steuern ist im Durchschnitt pro Person um 3050 Euro höher als die Summe der erhaltenen Transferzahlungen. Die Bedürfnisse von je zehn Asylberechtigten sorgen dafür, dass ein neuer Vollzeitjob geschaffen wird.

Am Ergebnis lässt sich aber noch etwas ablesen. Die volkswirtschaftlichen Effekte sind gering. Es gibt sie nur, wenn es gelingt, Asylwerber möglichst bald in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Denn nach etwa fünf Jahren gibt es einen deutlichen Knick in den Erfolgskurven der Asylwerberkarrieren. Wer es bis dahin nicht geschafft hat, schafft es nicht mehr.

Etwa die Hälfte der Asylwerber hat aktuell eine Berufsausbildung oder ein Studium. Die andere Hälfte hat nicht einmal einen Pflichtschulabschluss. Bei ihr muss Integrationspolitik ansetzen.

Auch Rasie Rezai konnte, als sie nach Österreich kam, kein einziges Zeugnis vorweisen. Die Afghanin hatte ihre Kindheit im Iran verbracht, wo sie nicht in die Schule gehen durfte, sondern als Näherin arbeiten musste. "Es war immer mein Traum, Ärztin zu werden", sagt die 25-Jährige heute in makellosem Deutsch.

Pflegekurse für Zuwanderer
© Matt Observe/News Rasie Rezai, 25, wird Pflegehelferin

Vor drei Jahren kam sie nach Österreich. Nach einem ersten Deutschkurs holte sie sofort den Pflichtschulabschluss nach. Am Ende brachte sie ein Zeugnis mit lauter Einsern und Zweiern nach Hause. "Dafür habe ich Tag und Nacht gelernt", erzählt Rezai, "aber das stört mich nicht. Im Iran hatte ich das Gefühl, mein Leben ist Zeitverschwendung. Hier in Österreich konnte ich endlich etwas weiterbringen."

Nach dem Schulabschluss bewarb sich Rasie Rezai für "Migrants Care". Sobald sie damit fertig war, begann sie mit ihrer Ausbildung als Pflegeassistentin. Im August wird sie fertig sein. "Ich freue mich schon sehr aufs Arbeiten. Die Praktika machen mir großen Spaß."

Dass sie ein Kopftuch trägt, hat in dem Altersheim, wo sie lernte, niemanden gestört, sagt die 25-Jährige. Es wurde sogar zu ihrem Erkennungsmerkmal. War sie einen Tag nicht da, fragten die Menschen schon nach der "kleinen Frau mit dem Kopftuch"."Ich glaube, es ist nicht wichtig, wie man aussieht. Es kommt darauf an, wie man sich anderen gegenüber verhält", sagt sie.

Der Job schafft Identität

Ein Pflegeassistent verdient im Monat rund 1800 Euro brutto. Nach Abzug von Steuern und Sozialversicherung bleiben etwa 1300 Euro. Manche, die von Mindestsicherung leben, haben nicht viel weniger. Trotzdem käme es für Rasie Rezai und Morris Noru nicht infrage, von Sozialleistungen zu leben. "Das ist doch sehr kurzsichtig", sagt Rezai. "Dann bekommt man keine Pension und trägt nichts bei. Und nur, wenn man arbeitet, gehört man zur Gesellschaft. Ich will nicht am Rand sein."

»Es macht mich stolz, eine gute Arbeit zu haben«

Auch Morris Noru sagt: "Ich arbeite gerne. Manchmal kommen Menschen zu uns, denen es sehr schlecht geht. Zwei Wochen später sind sie wieder bei Kräften. Diesen Prozess zu begleiten, ist ein schönes Gefühl." Er sei immer ehrgeizig gewesen und wollte beschäftigt sein: "Es macht mich stolz, eine gute Arbeit zu haben", sagt er.

Wenn Morris Noru seine grüne Pflegeruniform anzieht, ist er nicht mehr der Zuwanderer. Dann ist er eine Fachkraft, die helfen kann, und Teil eines Teams. "Wenn ich dir auf der Straße begegnet wäre, hätte ich dich für einen Drogendealer gehalten", gestand ihm eine Patientin vor Kurzem. Vor Morris Noru, dem freundlichen Pfleger, hatte sie aber keine Angst.

Das macht den Job nicht nur volkswirtschaftlich nützlich und persönlich bereichernd. Er schafft, ganz nebenbei, die vielleicht wichtigste Aufgabe im Integrationsprozess: Er schafft Identität.

Videoempfehlung:
Ein Leben als Pflegehelfer

© Video: news.at/Gamper/Hammerschmied

Kommentare