Regierungszeugnis: So bewerten
Experten unsere Minister

Nach einem Jahr im Amt gibt es einen neuen "Klassenbesten" im News-Regierungszeugnis: Bildungsminister Heinz Faßmann bekommt die besten Noten. Herbert Kickl erhält die "Frühwarnung".

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Innenpolitik - Regierungszeugnis: So bewerten
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Würden ÖVP und FPÖ an ihre Regierungsmitglieder ähnlich strenge Maßstäbe anlegen, wie sie kraft Koalitionsprogramm für Schülerinnen und Schüler gelten sollen, wäre Herbert Kickl (FPÖ) längst "gefährdet". So nannte man -zur Erinnerung für alle, die das erfolgreich verdrängt haben -früher jenen dramatischen Zustand, wo ein Fünfer im Zeugnis drohte, dieser jedoch durch besonderen Fleiß, Nachhilfe, positive Prüfungen und vielleicht ein Wunder abgewendet werden konnte.

Heute heißt das "Frühwarnsystem". Kindern und Eltern soll dabei in einem Beratungsgespräch klargemacht werden, dass die Leistungen mangelhaft sind, begleitend sollen präventive Maßnahmen gegen das Sitzenbleiben und ein Förderprogramm besprochen werden. Ermahnungen und Nachhilfe fruchten in diesem Fall allerdings nicht.

Herbert Kickl, Innenminister der türkis-blauen Koalition, war bereits zum Ende des letzten Schuljahres Schlusslicht in der Regierungsklasse, damals noch mit Sozialministerin Beate Hartinger-Klein. Nun, pünktlich zu den Semesterferien, bat News die Innenpolitik-Expertinnen und -Experten der wichtigsten österreichischen Printmedien erneut um ihre Beurteilung von Kanzler, Ministerinnen und Ministern. Und dabei zeigt sich: Kickl hat seit Juni 2018 noch weiter abgebaut. Es hagelt Fünfer. Mit der Durchschnittsnote 4,6 ist er einsames Schlusslicht der Koalition.

Der Preis der Provokation

Blättert man in den Regierungszeugnissen zurück, schaffte nur der unglückliche Verteidigungsminister Norbert Darabos (SPÖ) mit 4,7 eine noch schlechtere Note. Die überforderte Sozialministerin Elisabeth Sickl (FPÖ) aus der ersten schwarz-blauen Ära bekam von den Innenpolitik-Experten ebenfalls die blamable Note 4,6. Der Unterschied: Diese beiden Regierungsmitglieder galten in ihrer Amtszeit als ewige Ablösekandidaten -sogar in ihren eigenen Parteien.

Kickl nicht. Seine Partei macht ihm die Mauer, die ÖVP steht betreten daneben. Die Opposition allerdings würde ihn gerne in der Versenkung verschwinden sehen -die Neos brachten Mittwoch einen Misstrauensantrag im Parlament ein. Demonstranten schwenken seit einem Jahr Transparente gehen ihn. Und rund 200 Kulturschaffende forderten zuletzt in einem offenen Brief seinen raschen Abgang. Wer (wie Kickl) "das Völkerrecht aushebeln will, die Menschenrechtskonvention in Frage stellt und die Gewaltentrennung und Gleichheit vor dem Gesetz als Hindernis für seine Vorhaben begreift, ist als Innenminister untragbar. Herbert Kickl muss gehen, "und zwar sofort", schreiben sie.

Zu den Unterzeichnern gehören unter anderem die Kabarettisten Josef Hader und Thomas Maurer, der Erfinder des gemütlichen Weinviertler Gendarms Polt, Alfred Komarek, oder der Schriftsteller Michael Köhlmeier, der der Regierung schon zum Gedenkjahr 2018 in einer viel beachteten Rede die Leviten las. Ursache für ihren geballten Unmut ist die jüngste Verhaltensauffälligkeit Kickls.

In einem ORF-Interview postulierte dieser nämlich im Zusammenhang mit der Europäischen Menschenrechtskonvention, das Recht habe der Politik zu folgen, und nicht die Politik dem Recht. Empörung, Unverständnis und Sorge um den Rechtsstaat wurden laut. Bundespräsident Alexander Van der Bellen sah sich genötigt, Kickl zunächst via Twitter zu ermahnen: "Die Europäische Menschenrechtskonvention steht in #Österreich seit 59 Jahren im Verfassungsrang. An ihr zu rütteln, wäre eine Aufkündigung des Grundkonsenses der Zweiten Republik."

Es folgten eine Vorladung zum Gespräch in die Hofburg und eine Art Zurückrudern des Innenministers: "Ich habe zu keinem Zeitpunkt die Europäische Menschenrechtskonvention oder die Menschenrechte als solche in Frage gestellt. Genauso wenig geht aus meinen kritisierten Aussagen hervor, dass irgendjemandem die Menschenrechte abgesprochen werden sollen oder Österreich aus internationalen Verträgen austreten soll. Das hält auch das Regierungsprogramm fest, das ich nie in Zweifel gezogen habe", schreibt er auf Facebook. Kleinlaut ist allerdings anders, denn man weiß, im Fall Kickls dauert es meist nur wenige Woche bis zur nächsten Aufregung um den blauen Hardliner.

"Konzentrierte" Unterbringung von Asylwerbern, versuchte Einschränkung der Pressefreiheit, eine Razzia im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, die ihm sogar einen Untersuchungsausschuss im Parlament einbrachte, sind nur einige von Kickls diesbezüglichen Aktivitäten. Eine seiner Mitarbeiterinnen hielt sich während des Ausschusses im Presseraum auf, wo sie nicht hingehört, und konnte Gespräche mithören. Ein anderer Mitarbeiter Kickls sorgt schon länger für Kritik, denn er kommt von der rechten Onlineplattform unzensuriert.at.

Und noch ein Beispiel für Kickls Rechtsverständnis: Flüchtlinge, die mit Schleppern nach Europa gekommen sind, sollen automatisch kein Asyl bekommen, forderte er Ende 2018. Dass er damit gegen die Flüchtlingskonvention und europäisches Recht verstoßen würde, habe Kickl wohl gewusst, meinte damals der Fremdenrechtsexperte Georg Bürstmayr zu News. Aber Kickl wolle wohl seine Fans auf der blauen Galerie zufriedenstellen.

Immer noch General

"Er bedient mit seiner aggressiven Rhetorik die blauen Stammtische. Mehr FPÖ-Politiker als Minister", meint daher Michael Jungwirth von der "Kleinen Zeitung" im Regierungszeugnis. Karin Leitner von der "Tiroler Tageszeitung" sagt über den früheren FPÖ-Generalsekretär: "Er tritt nach wie vor so auf, wie er das als Oppositionspolitiker getan hat. In Sachen Rechtsstaat bedient er die FPÖ-Klientel, der ÖVP hat er damit aber ein Problem beschert." Oliver Pink von der "Presse" versucht mit pädagogischer Milde, auch Positives am Klassenletzten zu finden: "Kaum einer ist eifriger und bestimmter in der Umsetzung seiner Vorhaben." Aber: "Negativ betrachtet: ein Elefant im Porzellanladen."

Die Rolle des Provokateurs liegt Kickl offenbar. In seinen Jahren als Mastermind der FPÖ hat er sie perfektioniert, auch wenn er sich dabei meist in der zweiten Reihe hielt und seinem Parteichef den großen Auftritt ließ. Zunächst war er für Jörg Haiders schauerliche Sager zuständig, im Moment der Parteispaltung blieb er allerdings im blauen Lager und arbeitete fortan Heinz-Christian Strache zu.

Er legte Wahlkampflinien und Parolen fest. Er war -so empfanden es damals viele - der eigentliche Chef der FPÖ. Im Parlament gab der ehemalige Philosophiestudent den scharfzüngigen Rhetoriker. Auf Staatsmann umzuschalten, schaffte er bisher allerdings nicht. Wohl eher, weil er nicht will denn weil er nicht könnte: "Ich habe Recht, Sie haben Unrecht", schulmeisterte er die Parlamentarier von der Regierungsbank herab und zog hämische Grimassen, als die Abgeordneten der Oppositionsparteien gegen ihn und seine Methoden anredeten.

"Er hat nur Feinde oder Fans", sagt Christoph Kotanko von den "Oberösterreichischen Nachrichten". Seine Parteifreunde sitzen derzeit geschlossen in der Fan-Kurve, und zwar umso überzeugter, je stärker die Kritik wird. Und die ÖVP ist in einer Zwangslage: Sie weiß, ohne Kickl gibt es keine türkis-blaue Koalition. Das ist eben der Preis, wenn man nur einen möglichen Regierungspartner haben will. "Er ist Geiselnehmer und Geißel dieser Regierung", sagt Christian Rainer vom "Profil".

Schlechtere Noten

Doch nicht nur Kickl verschlechtert sich im aktuellen Zeugnis. Viele seiner Kolleginnen und Kollegen müssen bis zum Ende des Schuljahres ebenfalls an sich arbeiten. Den schlimmsten Absturz im Ranking verzeichnet Außenministerin Karin Kneissl. Wurde sie letzten Sommer noch als eloquente Fachfrau eingeschätzt und mit 2,4 benotet, hat sie einen Knicks vor Wladimir Putin später nur noch ein 3,5 im Zeugnis stehen und ist damit insgesamt an drittletzter Stelle. Nicht nur die devote Haltung vor dem russischen Präsidenten schlägt sich in diesem Urteil nieder, sondern auch generell undiplomatische Auftritte und intellektuelle Überheblichkeit. Claus Pándi von der "Kronen Zeitung" knapp: "Die Weise ist sich selbst genug."

Deutlich verschlechtert hat sich auch die Note von Bundeskanzler Sebastian Kurz. Lag er vor den Sommerferien noch mit 1,7 auf Platz eins der Regierungsrangliste, so reicht es in diesem Semesterzeugnis nur noch für die Note 2,3. "Souverän, aber skrupellos", urteilt Michael Völker vom "Standard". "Hält den Kurs, hat die Demut der ersten Tage verloren, droht übermütig zu werden", meint er weiter.

Platz eins muss er damit seinem Bildungsminister Heinz Faßmann überlassen, der sich nur geringfügig verschlechtert hat. An ihm schätzt Andreas Lampl vom "trend":"Der einzige Minister, der den Eindruck vermittelt, dass er eigene Standpunkte vertritt." Er sei "einer der wenigen, die Probleme nicht nach Erregungspotenzial, sondern wahrer Größe sortieren", meint Johannes Huber von "diesubstanz.at". Dennoch wird Kritik laut, dass er "ideologisch flexibel", weniger nach Evidenz -immerhin ist er Wissenschaftler -, sondern nach Regierungslinie vorgehe.

In Kickls Windschatten

Noch einmal zu den umstrittenen Vorhaben des Innenministers. Eines davon ist, die Rechtsberatung von Flüchtlingen weg von den durch die Regierung beauftragten NGOs zurück in den türkis-blauen Einflussbereich zu bringen. Dass das nun ein Jahr länger dauern könnte als geplant, liegt ausgerechnet an Justizminister Josef Moser, der sich weigerte die Verträge zu kündigen, solange das Projekt nicht ausreichend geprüft sei.

Zum Ende des letzten Schuljahres schwächelte der ehemalige Rechnungshofpräsident und nunmehrige "Reformminister" nach Ansicht der Innenpolitik-Experten noch. Er konnte sich nicht durchsetzen, drohte intern gar mit Rücktritt, vermittelte kein glückliches Bild. Im Semesterzeugnis läuft des diesmal ein bisschen besser. Und Michael Völker sagt: "Positiv ist, dass er bei Kickl beharrlich dagegenhält."

Der Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 5/2019 erschienen.