Na bitte, geht doch

In einer Gemeinschaft gibt es Pflichten. Demnächst auch eine Impfpflicht. Die wirft noch Fragen auf, wird aber rasch Antworten für unser Zusammenleben bieten müssen.

von Leitartikel - Na bitte, geht doch © Bild: News/ Matt Observe

Am Ende wird man ja wohl auch in ärgsten Pandemiezeiten noch träumen dürfen. Von offenen Skipisten und den dazugehörigen Hütten zum Beispiel. Ich als Mutter träume derweilen von den vom Bildungsminister in Aussicht gestellten Lernpaketen, falls demnächst wieder Distance Learning im Raum steht. "Paket", das klingt so durchdacht, so prall gefüllt, dass ich es kaum erwarten kann, bis es mein Kleiner endlich in den Händen hält. Und dann? Ja, dann meistern wir den Lernstoff, für den es sonst Heerscharen von Lehrern braucht, am Küchentisch neben einem Fulltime-Job. Wir sind ja diesmal vorbereitet. Gab es in Lockdown eins bis drei noch läppische A4-Zettel und ein bisschen Videocall, gibt es diesmal gleich ein ganzes Lernpaket. Na bitte, geht doch.

Aber ich sollte mich nicht zu früh freuen. Schließlich ist ja demnächst auch schon wieder Lockdown-Ende. Für die Geimpften. Heißt es zumindest. Viel Zeit für ein gemütliches Einrichten in dem neuen Ist-Zustand ist also nicht. Und dann? Dann kommt die Impfpflicht. Immerhin durch die Vorder- und nicht versteckt durch die Hintertür. Ich war lange Zeit diesbezüglich skeptisch. Habe auf die gegenseitige Verständigung, das Zuhören, den Austausch gesetzt. Ich habe meine Meinung geändert. Weil es uns als Gesellschaft nicht gelungen ist, aus Solidarität, Vernunft und Einsicht die Impfquote in sichere Höhen zu treiben. Weil das ganze Reden nicht gereicht hat, um von der Wichtigkeit der Impfung zu überzeugen. Weil jetzt die Zeit drängt. Doch während wir es noch einmal mit Konsumzurückhaltung versuchen - mehr gibt unser Zugang zum Lockdown nicht her -, schreit die Minderheit der Impfverweigerer weiter das große Wort "Freiheit", um sich und der leisen Mehrheit ebendiese Tag für Tag zu nehmen. Mit der moralischen Impfpflicht sind wir also gescheitert. Auch bei der gesetzlichen Pflicht geht es nicht darum, die Menschen zu bestrafen, sondern sie zu schützen - auch vor sich selbst. Impfen rettet Leben. Will man Kontaktbeschränkungen in Dauerschleife mit allen wirtschaftlichen Folgen vermeiden, wird es ohne Pflicht und in der Folge mit einer höheren Impfrate nicht gehen.

»Maßnahmenlos in das neue Jahr zu gehen, steht nicht zur Option«

Im besten Fall steigern wir bereits mit der Aussicht auf die Pflicht die Quote. Im schlechtesten Fall bleiben viele Fragen. Was bedeutet die Impfpflicht für die Geimpften? Gehören Masken und Tests ab Februar der Vergangenheit an? Gilt die Pflicht auf unbestimmte Zeit? Ist die Strafzahlung in der Folge ein Freifahrtschein für die Teilnahme am normalen Leben? Was ist, wenn sich die Ungeimpften der Pflicht unterwerfen, und es kommt trotzdem eine weitere Welle? Gerade die Frage nach der Umsetzbarkeit - Stichwort Sanktionen - zahlt auf die Erfolgsaussichten und das Vertrauen in diese staatliche Maßnahmen ein.

Es bleibt ungemütlich. Auch mit der Aussicht auf einen neuen "Gamechanger". "Ein fast voll ständiges Schließen der Impflücken ist durch nichts zu ersetzen, sagt der ewige Mahner und Virologe Christian Drosten. "Wer das noch nicht kapiert hat, hat es noch nicht kapiert." Die nächste Welle wird zeigen, ob wir alle es kapiert und in der Folge unsere Hausaufgaben gemacht haben. Maßnahmenlos in das neue Jahr zu gehen, steht dabei nicht zur Option.

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