Coronavirus: Der lange Weg
zu einem guten Impfstoff

Die Österreicher debattierten eifrig darüber, ob sie sich gegen das Coronavirus impfen lassen würden oder besser nicht. Jüngst äußerte sich Bundeskanzler Sebastian Kurz dazu. Er sprach sich gegen eine verpflichtende Impfung aus. Wir haben bei Univ. Prof Dr. Herwig Kollaritsch, nachgefragt, was einen guten Impfstoff ausmacht, welche Hürden es bei der Entwicklung gibt, wie schnell die Bevölkerung versorgt werden könnte und welche Alternativen es gäbe.

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Impfexperte klärt auf - Coronavirus: Der lange Weg
zu einem guten Impfstoff © Bild: istock images

Wieso arbeiten Forschungsinstitute und pharmazeutische Firmen auf der ganzen Welt an einen Impfstoff gegen Covid-19 und nicht etwa an einem Heilmittel (zB: Antibiotikum)?
Herwig Kollaritsch: Das Problem ist ja immer: Heilen bedeutet zuerst krank werden. Und das birgt speziell bei dieser Infektionskrankheit ein Risiko. Wir wissen ja bereits, dass manche Menschen innerhalb kurzer Zeit sehr schwer erkranken und dann intensivpflichtig werden. Wenn man also nur die Möglichkeit hat, kurativ zu behandeln und mit der Therapie zu spät dran ist, können schon irreparable Schäden an Organen – vor allem an der Lunge – entstanden sein. Diese Schäden können nicht mehr geheilt werden. Es wäre also viel besser, wenn die Betreffenden gar nicht erst krank werden.

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Was sind die Vorteile einer Impfung gegen Covid-19?
Das entscheidende bei jeder Vorsorgemedizin ist, dass man ein erkennbares Risiko vermeidet. Ich versuche es mit einem Beispiel zu veranschaulichen: Sie legen ja auch nicht den Sicherheitsgurt im Auto an, weil Sie glauben, dass Sie in den nächsten zehn Minuten gegen einen Masten fahren. Sondern, weil Sie von der Möglichkeit ausgehen, dass etwas passieren kann. Und Sie dann durch den Gurt geschützt sind. Genau das ist das Prinzip jeder präventivmedizinischen Maßnahme.

Was spricht noch für einen Impfstoff und gegen Antibiotikum?
Wir haben hier keinen bakteriellen Erreger, sondern es handelt sich um einen Virus. Auch das das ist ein wesentlicher Unterschied, was die Therapie betrifft. Wir haben viele Antibiotika die sehr gut gegen bakterielle Infektionen Keime wirken. Das liegt aber daran, dass Bakterien einen eigenen Stoffwechsel haben und die Antibiotika eingreifen. Viren haben aber keinen eigenen Stoffwechsel und sind, wenn man es genau nimmt auch keine Lebewesen.

»Es ist nicht sicher ob es im Fall von SARS-CoV-2 jemals ein Virostatikum geben wird«

Es ist sehr schwer Viren unschädlich zu machen ohne dass man dabei auch körpereigene Zellen schädigt. Viren sind ja keine „selbstständigen“ Mikroorganismen, sondern sie bedienen sich körpereigener Zellen und deren Ausstattung um sich zu vermehren. So wie ein Koch der in eine fremde Küche kommt und sich mit Hilfe der Kochutensilien, die dort vorhanden sind, seine Speisen macht. Es ist also gar nicht sicher ob es im Fall von SARS-CoV-2 jemals ein Virostatikum geben wird.

Warum gibt es bei HIV eine Behandlung, aber keine Impfung?
Es hat über Jahrzehnte gedauert bis man es geschafft hat gegen das überaus listige Virus eine Therapie zu entwickeln. Heute haben wir sie und dadurch hat HIV viel an Schrecken verloren, aber es war ein sehr dorniger Weg. Das HI-Virus entzieht sich so elegant den körpereignen Abwehrmechanismen, dass es fast nicht möglich ist dagegen eine Impfung zu entwickeln.

Könnte uns das bei Corona auch passieren?
Das ist schwer vergleichbar. Bei Corona stehen wir vor einigen anderen Hürden, die es uns schwer machen werden, einen guten Impfstoff zu entwickeln.

Was genau sind die Hürden bei der Impfstoffentwicklung?
Wir stehen zum Glück nicht ganz am Anfang. Technologisch sind wir schon relativ weit, weil es ja bereits die verwandten Viren SARS und MERS gab. Aber es ist natürlich ein neues Coronavirus mit anderen biologischen Eigenschaften.

1. Hürde: Die Immunität

"Die natürliche Erkrankung mit dem Coronavirus hinterlässt nicht bei allen Personen eine längerdauernde belastbare Immunität. Soll heißen: Nicht jeder, der die Erkrankung durchmacht hat, entwickelt nachher eine Immunität. Zum Vergleich: Wer einmal Masern gehabt hat, für den ist die Krankheit ein für alle Mal erledigt. Niemand bekommt Masern ein zweites Mal. Das bedeutet wir brauchen bei Corona einen Impfstoff der besser ist als die natürliche Infektion", so Kollaritsch.

2. Hürde: Zielgruppenproblematik

"Die Gruppe, die wir besonders schützen wollen, sind die älteren Menschen. Meistens haben diese Menschen nicht nur die Bürde des Alters (die Impfantwort aller Impfstoffe wird dadurch nachhaltig beeinträchtigt), sondern auch Grundkrankheiten. Soll heißen: Diese Menschen haben schlechtere Karte was ihre Immunitätslage betrifft. Die Impfung spricht nicht so gut an und hält kürzer. Wenn also ein Impfstoff entwickelt wird, muss er genau in dieser Zielgruppe ganz besonders gut wirken - keine einfache Aufgabenstellung."

3. Hürde: Antikörperabhängiges Verstärken

"Wenn Sie mit einem Mikroorganismus Kontakt haben, dann bildet ihr Immunsystem gegen diesen Mikroorganismus Antikörper. Von dieser Vielzahl an Antikörpern sind ein Teil schützende Antikörpern und ein Teil nicht schützende Antikörper. Unser Immunsystem kann nicht unterscheiden welche Strukturen des Erregers die sind, auf die es ankommt. Wenn sich dieses Verhältnis von schützenden und nicht schützenden Antikörpern in Richtung nicht schützender Antikörper verschiebt – dann kann es zu einem Problem kommen. Soll heißen: Wenn „antikörperabhängiges Verstärken“ passiert, wird der eindringende Erreger nicht sofort von den bereits gebildeten Antikörpern attackiert und eliminiert. Sondern die Viruslast wird höher und die Erkrankung kann schwerer ausfallen. Dieses Phänomen darf also bei dem neu entwickelten Impfstoff keinesfalls auftreten", erklärt der Experte.

© istock images DNA oder mRNA basierte Impfstoffe sind bisher nocht nicht auf dem Markt zugelassen

Wird es eine Lebendimpfung oder eine Totimpfung werden?
Das steht noch nicht fest. Beide Varianten sind möglich – es gibt sogar eine dritte. Lebendimpfungen wie die sogenannten Vektorvakzinen haben viele Vorteile, sie sind besonders gut immunogen und sie halten meistens sehr lange. Auch der erste zugelassene Ebola-Impfstoff baut auf einem Vektorvirus auf. Totimpfstoffe enthalten ausgewählte Virusproteine oder aber inaktivierte Viren. Dies sind abgetötete Krankheitserreger. Es handelt sich bei dieser Methode um eine altbewährte Technologie. Es gibt sie beispielsweise bereits gegen Grippe, Kinderlähmung oder Keuchhusten.

»Genbasierte Impfstoffe haben den Vorteil, dass die Industrie sie schnell produzieren kann.«

Es gibt auch genbasierte Impfstoffe. Sie enthalten reine genetische Information in Form von DNA oder mRNA des Corona-Virus. Einzelteile der Erbinformation von Erregern wird in Nanoteilchen verpackt in Zellen eingeschleust. Dort werden sie in die Erbinformation der Zelle eingebaut und dann bildet unser Organismus direkt die nötigen Antikörper. Genbasierte Impfstoffe haben den Vorteil, dass die Industrie sie schnell produzieren kann. Bislang ist aber noch kein derartiger Impfstoff auf dem Markt.

In der Regel dauert es zehn Jahre um einen neuen Impfstoff zu entwickeln. Bei Covids-19 soll es schneller gehen. Acht Impfstoffkandidaten der WHO befinden sich bereits in klinischen Tests. Wann rechnen Sie mit einem Impfstoff?
Das heute zu fragen, ist genauso, wie wenn sie mich fragen, wie das Wetter in drei Monaten sein wird. (schmunzelt) Das kann Ihnen keiner beantworten. Meine Einschätzung wäre: Wenn wir Glück haben kann es sein, dass wir im Juni 2021 einen Impfstoff haben, den man zumindest auf breiter Basis produzieren kann. Aber das heißt ja noch lange nicht, dass dann die ganze Weltbevölkerung schon geimpft ist.

Was kostet es einen Impfstoff bis zur Serienreife zu entwickeln?
Zwischen 800 Millionen und 1,2 Milliarden Euro. Wirtschaftlich betrachtet ist das für Firmen eine enormes kaufmännisches Risiko.

Wie schnell sind wir in der Lage, die österreichische, europäische und internationale Bevölkerung mit Impfstoffen zu versorgen?
Hätten wir genug Impfstoff zur Verfügung könnte man die österreichische Bevölkerung in ein paar Monaten durchimpfen. Für die Weltbevölkerung – wir stehen jetzt circa bei 8 Milliarden – müsste man zumindest 6,5 Milliarden Menschen durchimmunisieren.

Wer soll den Impfstoff dann als erstes bekommen?
Man kann das aus ethischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachten. Aus ethischen Gründen, müssten es die Leute bekommen die besonders vulnerabel sind und jene, die diese Menschen betreuen. Dann wird man infrastrukturkritisches Personal impfen und dann nach und nach die restliche Bevölkerung. Aber wie wir ja von Donald Trump bereits gehört haben: „America first“. Er wird die amerikanische Bevölkerung zuerst impfen lassen. Danach bekommen die Europäer den Impfstoff, oder halt jene die mehr zahlen…

Wird der Impfstoff in Amerika entwickelt werden?
Ja. Dass Europa früher dran wäre, ist unwahrscheinlich. Bei den Voraussetzungen, was die Forschung betrifft (Geld, Know-How, Ressourcen) ist uns Amerika weit voraus. Wir haben natürlich auch ein paar sehr, sehr gute Leute zum Beispiel in England. Aber ich erwarte trotzdem, dass wenn ein Impfstoff kommt, er zuerst aus Amerika sein wird.

Was wird die Impfung kosten?
Auch das kann man heute noch nicht sagen. Die Firmen müssen ihre Forschungskosten wieder hereinbringen und werden auch ein bisschen daran verdienen. Aber ein Bombengeschäft daraus zu machen, wäre absolut unmoralisch – das wird nicht passieren.

»Ein Bombengeschäft aus der Impfung zu machen, wäre absolut unmoralisch - das wird nicht passieren«

Ich gehe davon aus, dass es mehrere Impfstoffe geben wird. Ähnlich wie auch bei den Grippeimpfungen, von denen immer mehrere zugelassen werden. Es wäre ja ohnehin keine Firma der Welt dazu in der Lage sein, die benötigten Mengen alleine zu produzieren.

Halten Sie eine Impfpflicht für sinnvoll?
Ich persönlich bin kein Befürworter der Impfpflicht. Seit 40 Jahren bin ich im Impfgeschäft und habe inzwischen gelernt: Jemand, der Impfungen strikt ablehnt, der kann auch durch eine Impfpflicht nicht überzeugt werden. Diese Menschen finden Wege sie zu umgehen. Die impfskeptischen Personen, die kann man ja überzeugen, wenn man Ihnen klare Argumente gibt.

»Wenn die Coronaimpfung nicht mehr kann, als die Grippeimpfung, dann ist sie zum Scheitern verurteilt«

Es wird natürlich auch stark von den Eigenschaften der Impfung abhängen, ob die Bevölkerung die Impfung akzeptiert oder nicht. Zum Beispiel: Wie gut ist sie verträglich? Muss ich, wie bei der Grippeimpfung, jedes Jahr zum Arzt rennen und neu impfen? Wenn die Coronaimpfung nicht mehr kann, als die Grippeimpfung, dann ist sie zum Scheitern verurteilt.

Ab welchem Alter soll man sich impfen lassen?
Das wird man erst sagen können, wenn die Impfung marktreif ist. Aber ich gehe davon aus, dass es eine Standardimpfung werden wird - für alle Altersgruppen.

Angesichts der Dringlichkeit, die die Coronavirus-Pandemie mit sich bringt, orten Skeptiker bei den Zulassungsverfahren eine überhastete Vorgehensweise. Sind diese Zweifel berechtigt?
Nein. Die Auflagen sind wahnsinnig streng. Nach der Zulassung des Impfstoffes wird jede einzelne Impfstoffcharge von den Gesundheitsbehörden extra geprüft und freigegeben. Sich nicht an die Vorgaben zu halten oder schlampig zu arbeiten, kann sich kein Hersteller leisten. Denn der Hersteller haftet dafür. Das war früher anders.

Kann man behaupten, dass mit einer Impfung unsere Probleme, die durch das Coronavirus entstanden sind, gelöst wären?
Natürlich. Durch die Pockenimpfung wurden die Pocken ausgerottet. Durch die Impfung gegen Kinderlähmung wurde sie praktisch ausgerottet. Kinderlähmung gibt es nur mehr in Pakistan und Afghanistan. Masern wären längst ausgerottet, wenn wir in Europa mehr dahinter wären mit dem Impfen. Von allen Impfungen, die wir heute in der Routine setzen, haben wir die zugehörigen Krankheiten soweit zurückgedrängt, dass sie bedeutungslos geworden sind. Diphterie, Keuchhusten, Tetanus – das gibt es alles kaum mehr in Österreich. Wenn wir einen guten Impfstoff haben und die Bevölkerung ihn gut annimmt, dann ist das Corona-Problem innerhalb Jahresfrist lösbar – ein für alle Mal!

© beigestellt Herwig Kollaritsch beschäftigt sich seit 40 Jahren mit dem Impfwesen

Zur Person

Der 64-jährige Wiener hat in seiner Heimatstadt Medizin studiert und sich auf auf Reisemedizin, Impfwesen, Epidemiologie, und Mikrobiologie spezialisiert. Herwig Kollaritsch ist Mitglied des nationalen Impfgremiums (NIG) am Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz. Er war maßgeblich am Aufbau des Fachgebietes „Reisemedizin“ in Österreich beteiligt und betreibt mit Kollegen das Unternehmen medEXC!TE, das sich um die Fortbildung für Mediziner, Apotheker und diplomiertes Pflegepersonal kümmert. Im Laufe seiner Karriere hat Kollaritsch über 400 akademische Arbeiten, 18 Bücher und über 40 internationale Buchbeiträge veröffentlicht.

Literaturtipp

Der Impfratgeber zielt darauf ab, Ihnen die tägliche Arbeit und die Beantwortung von Impffragen zu erleichtern. Das Buch ist hier erhältlich*

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