Eine Schule, die alle Kinder fördert

Die Journalistin und Autorin Alexia Weiss wagt in ihrem neuen Buch ein Gedankenexperiment. Wie würde die ideale Schule aussehen?

von Eine Schule, die alle Kinder fördert © Bild: Willie Thomas/Getty Images

Man wird ja wohl noch träumen dürfen. Dieser Satz könnte Alexia Weiss' neuem Buch als Motto vorangestellt sein. Oder: Aufhören zu jammern und lieber konstruktiv denken! Stattdessen steht dort eine Widmung: "Für Fawad". Aus gutem Grund, aber dazu später. Die Journalistin, die sich seit vielen Jahren mit Bildungsthemen beschäftigt, wagt in ihrer höflichen Streitschrift "Zerschlagt das Schulsystem" ein Gedankenexperiment: Wie könnte ein Schulsystem aussehen, das allen Kindern gerecht wird? Das Lehrer und Eltern entlastet und der Volkswirtschaft nützt, weil niemand mehr schlecht ausgebildet zurückbleibt. Weiss setzt ihrer Fantasie bei der Beantwortung dieser Fragen keine Grenzen. Sie rührt radikal um. Entwirft ein Szenario, das nicht durch Studien oder internationale Best Practice-Beispiele abgesichert ist, und keine Rücksicht auf finanzielle Rahmenbedingungen nimmt.

Ihr Ausgangspunkt ist ganz subjektiv: Jahrelang betreute und begleitete sie eine Flüchtlingsfamilie aus Afghanistan, darunter der heute erwachsene Fawad. Und bemerkte dabei, wie benachteiligt Kinder und Jugendliche sind, die keine Eltern haben, die sie durch die Schullaufbahn pushen und lotsen können.

In ihrer Vision von einem besseren, gerechteren Schulsystem sieht Weiss als zentralen Baustein Coaches vor, die jeweils 30 Kinder betreuen und Aufgaben übernehmen, die sonst Eltern ausfüllen - oder eben nicht. Jemanden, der Ansprechpartner ist für die Schule. Der dem Kind sagt, dass es mehr mitarbeiten muss. Der Kärtchen besorgt und erklärt, wie man mit Vokabelboxen Vokabel lernt. Der zum Lesen animiert. Jemanden, kurz gesagt, der (oder die) ständig Input gibt, damit das Kind in der Schule reüssieren kann.

© Elodie Grethen JOURNALISTIN UND AUTORIN. Alexia Weiss beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Schul-und Bildungsthemen

Rund um diese Idee erdenkt Weiss detail- und umfangreich ein Schulsystem, das alle mitnimmt. Ein Kurssystem in den wichtigen Fächern sorgt - trotz Gesamtschule - dafür, dass alle ideal gefördert werden. Lehrerinnen und Lehrer treten als Partner auf, die für das bestmögliche Fortkommen jeder Schülerin und jedes Schülers verantwortlich sind. Multiprofessionelle Schulteams kümmern sich eingehend um die Kinder, das Schulessen ist gesund und schmeckt, Bewegung ist ein wichtiger Bestandteil des Schulalltags. Anstoß für das Buch, erzählt die Autorin, war das Gefühl einer großen Unzufriedenheit mit dem Schulsystem. "Egal, mit wem man spricht, ob Eltern oder Lehrerinnen, alle sind unzufrieden. Und daneben gibt es die gesamtgesellschaftliche Situation. Wir haben einen Lehrlingsmangel und zugleich Jugendliche, die eine Lehrstelle suchen. Warum? Vielen Jugendlichen fehlen offenbar trotz Pflichtschulabschluss wichtige Skills. Sie hanteln sich in der Folge von einem Gelegenheitsjob zum nächsten und sind zeitweise arbeitslos. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Problematik. Für den Sozialstaat, und für die Betriebe, die keine Arbeitskräfte finden."

Das Buch "Zerschlagt das Schulsystem ... und baut es neu!" von Alexia Weiss können Sie hier erwerben.*

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Zum Buch
Alexia Weiss' Streitschrift "Zerschlagt das Schulsystem ... und baut es neu!" ist im Verlag Kremayr & Scheriau erschienen und kostet 22 Euro. Weiss zeigt darin anhand einer Utopie, wie viele Baustellen es in Österreichs Bildungssystem derzeit noch gibt

Bildungsdebatte

Mit ihrem Aufruf zur Zerschlagung des Schulsystems - und vor allem dessen Wiederaufbau -wolle sie eine Debatte anstoßen, sagt Weiß. "Eine Debatte darüber, dass wir eine grundsätzliche Reform brauchen. Dass wir Schule neu denken müssen.

Ob das jetzt genauso kommt, wie ich mir das vorstelle, oder ob Experten das aus ihrer Sicht perfekte Schulsystem kreieren, alles wunderbar. Aber es muss das Bewusstsein entstehen, dass es so nicht weitergehen kann. Mit Kindern, die nicht motiviert sind, und mit Eltern, die sagen, zwei Jahre noch und dann haben wir es geschafft. Das muss ein Ende haben. Das würde ich mir wünschen."

Dabei sei ihr bewusst, dass das österreichische Bildungssystem besonders schwerfällig sei: "Es gibt immer wieder kleinere Reförmchen, aber die pfropfen immer nur eine aktuelle Thematik auf das bestehende System auf." Wie also kann eine Reform, die den Namen auch verdient, Aussicht auf Realisierung haben?

Damit sich einmal wirklich etwas ändert, müsste Druck aus dem System heraus entstehen, glaubt Alexia Weiss und sieht die Lehrerinnen und Lehrer gefordert. "Ich weiß schon, es gibt die alte Geschichte von Lehrergewerkschaft und Privilegien etc. Fakt ist aber, die Realität von engagierten Lehrerinnen und Lehrern sieht ganz anders aus. Die haben ein völlig entgrenztes Arbeiten, machen ja auch in den Ferien nicht nichts und sind vor allem seit Corona ständig online erreichbar. Für die stimmt dieser Alltag sowieso nicht mehr. Und viele sind einfach frustriert und können nicht mehr. Sie müssen so viele Aufgaben übernehmen, das ist nicht bewältigbar. Ich glaube, dass man die Lehrerinnen und Lehrer ins Boot holen muss, damit sie den Aufstand wagen und sagen, so geht es nicht weiter."

Ideologische Gräben

Aber auch viele Eltern arrangieren sich mit den Unzulänglichkeiten des Systems und versuchen, ihr Kind irgendwie durchzubringen. Oder pfeifen drauf, wenn sie die Ressourcen nicht haben, beobachtet Weiss.

»Es ist nicht nur Utopie und Traumtänzerei. Man muss den Mut haben und das in Angriff nehmen«

Wenn diese vielen Betroffenen sich zusammentun und Änderungen fordern, meint sie, "müsste es doch möglich sein. Wir haben bei Corona gesehen, was möglich ist, auch finanziell. Das kann nicht mehr das Argument sein. Ich glaube, volkswirtschaftlich würde es sich rechnen. Es ist nicht nur Utopie und Traumtänzerei. Man muss den Mut haben und das in Angriff nehmen".

Und dabei längst überholte ideologische Gräben zuschütten. "Es muss die ÖVP einsehen, dass diese Spaltung der Kinder im Alter von zehn Jahren niemandem nützt, sondern sehr viel Druck bringt, auch den Kindern der eigenen Klientel. Ich sehe mich aber auch nicht in dieser Tradition der SPÖ-Forderung einer Gesamtschule, wegen der Gefahr einer Nivellierung nach unten, das ist auch nicht gut. Wir müssen uns von all diesen Ideologien trennen und einfach schauen, was brauchen wir heute und was brauchen unsere Kinder heute."

Fawad, dem Alexia Weiss ihr Buch widmet, schaffte - auch mit ihrer Unterstützung - den Pflicht-und Handelsschulabschluss. Mehr solche Erfolgsgeschichten, das wäre das Ziel am Ende einer breiten, konstruktiven Bildungsdebatte, wie diese Streitschrift sie anstoßen will.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 34/2022 erschienen.