Liebe dich selbst!

Minderwertigkeitsgefühle lassen sich überwinden. So lernt man, sich selbst zu lieben

Zu groß, zu klein, zu dick, zu dünn, zu schüchtern - es gibt viele Gründe, mit sich unzufrieden zu sein. Doch wer etwas ändern will, muss zuerst einmal lernen, sich selbst zu akzeptieren. Starke Frauen und ein starker Mann erzählen, wie man sich der Welt und ihren Vorurteilen stellt

von
Leben - Liebe dich selbst!

Mit 26 Jahren wog Nicole Jäger 340 Kilo. Ihr Tag bestand hauptsächlich daraus, auf dem Sofa zu sitzen, denn sie schaffte nur noch wenige Schritte. Am Abend bestellte sie den Pizzaboten. Der lieferte nicht nur eine, sondern gleich mehrere Pizzen und noch einen Auflauf dazu. Wenn er an der Tür stand, rief sie Richtung Küche: "Holt schon mal Teller und Besteck." Dabei war sie allein in der Wohnung. "Das war die schlimmste Phase meines Lebens. Wenn man das überhaupt Leben nennen kann", sagt Nicole Jäger. "Mein Hauptgefühl war Schmerz, ich war schwer depressiv. Ich hatte kein Leben mehr." Doch ändern konnte sie das erst, als sie glaubte, ihr Leben sei im nächsten Moment vorbei, als sie glaubte, ihr Herz würde zu schlagen aufhören.

"Von Selbstliebe war bei mir damals keine Spur", sagt sie. "Aber man erkennt den Wert von Dingen ja oft erst, wenn man sie nicht mehr hat. Bei mir war das, als ich dachte, ich sterbe jetzt, finde das Leben aber eigentlich ganz geil. Und solange ich lebe, habe ich die Chance, Dinge zu verändern und Verantwortung zu übernehmen." Heute wiegt Nicole Jäger 170 Kilo (und das ohne Radikaldiät), ist ein sehr fröhlicher Mensch und erklärt anderen Menschen in ihrem Buch "Die Fettlöserin" und in Vorträgen, wie auch sie abnehmen können.

340 Kilo mit 26 Jahren, das ist natürlich ein Extremfall. Oft leiden Menschen schon unter viel geringeren empfundenen Makeln. Man fühlt sich zu klein, zu groß, zu dünn, zu dick, zu schüchtern, kann sich irgendeinen Fehler, den man gemacht hat, nicht verzeihen. Gesellschaftliche Idealbilder sind zwar Moden unterworfen, eines aber ändert sich nicht: Sie erzeugen enormen Druck auf Menschen. Und nicht jeder hat das Selbstbewusstsein, sich gegen vorgegebene Normen aufzulehnen, auch wenn sie noch so oberflächlich sind.

»Mädchen tendieren dazu, zu glauben, sie seien dick«

Wie sich das auswirkt, zeigt eine aktuelle Studie der Weltgesundheitsorganisation der Vereinten Nationen (WHO), der Daten von rund 220.000 Jugendlichen in 42 Ländern zugrunde liegen. Beinahe jedes zweite befragte Mädchen gab da zum Beispiel an, es fühle sich zu dick - jede vierte 15-Jährige will entweder durch Diät oder durch Sport abnehmen. Rehabs.com, eine Website zum Thema Suchtprobleme, schreibt, dass rund 40 Prozent der amerikanischen Mädchen bereits als Sechsjährige sagen, sie wollten dünn sein. Tatsächlich leidet jedoch weniger als jedes fünfte Mädchen nach WHO-Kriterien unter Übergewicht, bei den Burschen ist es jeder vierte. "Mädchen tendieren dazu, zu glauben, sie seien dick", folgert die WHO. Diese Selbstzweifel würden mit zunehmendem Alter noch häufiger.

Laut einer Umfrage von Marketagent sind 30 Prozent der Frauen in Österreich ein bisschen unzufrieden mit ihrem Körper, 5,6 Prozent sogar sehr unzufrieden. Auch bei den Männern schlägt mittlerweile der Druck des optimierten Körperbildes durch. 19,6 Prozent sind mit sich etwas unzufrieden, 2,7 Prozent sehr. Der Weg von der Unzufriedenheit zum Selbsthass kann kurz sein. Und wer sich helfen will, braucht die Kraft, sich selbst und sein Körperbild infrage zu stellen.

Topmodel mit Größe 44 bis 46

Auch das dieswöchige News-Covermodel Tara Lynn zweifelte lange an sich selbst. "Es gab einen Punkt, an dem ich merkte, dass ich wirklich unglücklich mit meinem Körper war, und ich wusste, dass ich etwas unternehmen muss", sagt Lynn in einem Interview mit "Elle". Also nahm sie während der College-Zeit etwas ab, fühlte sich endlich stark und schön und akzeptierte gleichzeitig, dass "meine Figur nie mit dem Bild der Schönheit mithalten kann, mit dem wir ständig bombardiert werden". Schließlich brachte sie genug Mut auf, eine Agentur aufzusuchen - und ist seither ein gefragtes und gut gebuchtes Model mit Kleidergröße 44 bis 46.

© News

Wer so sein Glück finden will, muss an sich arbeiten. "Am Beginn stand auch bei mir Verachtung", erzählt Nicole Jäger. "Dass es zur Selbstliebe kam, war Arbeit, und zwar in kleinen Schritten. Mein vorherrschendes Lebensgefühl war: 'Ich krieg das nicht hin, alle anderen können es besser'", sagt Jäger. Doch dann erkannte sie, dass sie ihre eigene Leistung - etwa endlich drei Stufen im Stiegenhaus zu schaffen - nicht an jener anderer Menschen messen durfte. Sondern an dem, was zuvor war. "Dann wurde es besser. Ich habe begriffen: Ich kann das. Ich bin nicht der letzte Idiot, ich habe mich nur wie einer verhalten. Das ist ein Lernprozess, für den man sich Zeit nehmen muss."

»Es gibt uns nicht besser. Wir sind die beste Version von uns selbst«

Man muss sich selbst mögen, um an sich arbeiten zu können. Aber: Nur auf dem Sofa zu sitzen und auf diese Selbstliebe zu warten, funktioniert nicht, weiß Jäger heute. "Am Ende ist es doch so: Wir stehen am Ende von 3,8 Milliarden Jahren Entwicklung, von 100.000 Jahren Menschheitsgeschichte. Jeder von uns, egal, was sein Problem ist, ist Mensch 2.0. Es gibt uns nicht in besser. Wir sind das beste Resultat, das Ergebnis von Darwins 'survival of the fittest'. Es gibt uns in größer, kleiner, dicker, dünner, aber nicht in besser. Wir sind schon die beste Version von uns selbst. So soll man an die Sache herangehen: Ich bin, wie ich bin, und ich darf so sein", sagt Jäger.

Nächster Schritt: "Darauf kann ich dann aufbauen und sagen: Was finde ich nicht so gut und was muss ich machen? Warum weiß ich, wie Abnehmen geht, schaffe es aber trotzdem nicht, zum Sport zu gehen? Warum bin ich mir das nicht wert? Das sind unangenehme Fragen, und man muss zulassen, dass man nicht der tolle Hecht ist, für den man sich gerne halten würde."

»Man muss sich erlauben, zu scheitern, man muss sich jeden Mist vergeben, den man im Leben gebaut hat, und dann vorangehen«

Man müsse sich auf diesem Weg auch Fehler zugestehen, ergänzt sie. "Man muss sich erlauben, zu scheitern, man muss sich jeden Mist vergeben, den man im Leben gebaut hat, und dann vorangehen. Zähne zusammenbeißen, den Arsch hochkriegen und etwas tun. Denn nur durch den Wunsch allein wird sich nichts verändern." Alles, was man im Leben möchte, koste seinen Preis. "Und der Preis heißt Initiative."

Zur Selbstliebe gehört für Jäger auch Ehrlichkeit. "Wenn ich zu mir selbst nicht ehrlich bin, zu wem dann? Man kann sich selbst unangenehme Dinge ruhig eingestehen. Hört ja kein anderer. Das ist die Riesenchance: Sie dürfen ehrlich sein zu sich selbst, ohne dass jemand urteilt." Sich klarzumachen, dass kein Mensch mit seinen Fehlern allein sei, helfe ebenfalls: "Ich kenne keinen Menschen, der nicht irgendeinen Fehler hat. Man raucht, trinkt oder hungert. Irgendetwas hat doch jeder von uns. Wir präsentieren uns immer alle von unserer besten Seite. Aber hinter der Fassade brodelt es. Wir haben zu viel Angst davor, dass uns Menschen als Versager sehen können. Das tun sie nicht. Sie reagieren auf Schwächen meist mit positiven Emotionen. Wir befinden uns in einer großen Gemeinschaft von Menschen, die Fehler haben. Und es wird einfacher, das zuzugeben und damit umzugehen, je öfter man es tut. Mit keinem Fehler ist man allein, es gibt immer einen, eher Tausende, die das gleiche Problem haben. Manchmal mangelt es ja einfach an Zuspruch."

Zielgruppe: die Nicht-Perfekten

Nur langsam entdecken Marketingexperten die Kaufkraft der Nicht-Perfekten für ihre Zwecke. Sinkende Absatzzahlen brachten etwa die amerikanischen Barbie-Fabrikanten dazu, von ihrem immer schon realitätsfern gewesenen Frauenbild abzuweichen. Eine kurvige Barbie musste ins Spielwarenregal, deren Maße genau genommen nicht "curvy", sondern einfach durchschnittlich sind.

Modelagenturen rühmen sich dessen, Plus-Size-Frauen und -spät, aber doch - auch - Männer unter Vertrag zu nehmen. Dem beifälligen Applaus der Branche stellt sich allerdings die Nachricht entgegen, dass amerikanische TV-Sender einen Werbespot mit fülligeren Unterwäschemodels wie Lynn ablehnten. Angeblich zeigen die zu viel Haut. Bedenken, die bei Spots mit dürren Models nicht aufkamen.

Frauenmagazine jedenfalls setzen vermehrt auf die Macht des Faktischen: Viele Menschen leben fern von Modelmaßen, und die wollen sich nicht ständig sagen lassen, dass sie für die neue Sommermode zu viel Speck an den Hüften hätten. "Ohne Diättipps", schreibt daher das neue deutsche Frauenmagazin "Barbara" aufs Cover.

So fühlen sich die Leserinnen bestätigt, während sie trotzdem an der Gurke knabbern, um rechtzeitig zur Badesaison die Bikinifigur zu schaffen. Denn wie Generationen an Frauen vor ihnen sind sie dem Druck eines idealen Körperbildes ausgesetzt, und dieser Druck ist durch "soziale" Medien nicht gerade kleiner geworden. Selbstzweifel und das Unbehagen im eigenen Körper entstehen schon in der Kindheit und Jugend.

"Es ist oft der Fall, dass Kinder nicht genügen. Etwa wenn sie dauernd hören: 'Lass das, das kannst du nicht.' Oder: 'Du bist zu laut'", sagt die Psychologin Beate Handler. "Sogar einzelne kränkende Bemerkungen bleiben oft ein Leben lang in Erinnerung." In der Pubertät, in der Jugendliche ohnedies oft unzufrieden mit sich sind, komme dann oft noch Mobbing in der Schule oder in sozialen Medien dazu. "Je mehr unrealistische Anforderungen in dieser Zeit gestellt werden, umso eher kommen Selbstzweifel auf."

Was heißt schon Glück

Oft denken Menschen, all ihre Probleme wären gelöst, wenn sie nur einen äußeren Makel wie ihr Gewicht oder eine vielleicht zu große Nase korrigieren (lassen). Doch das ist ein Trugschluss, weiß Gerlinde Felber, Trainerin für gewaltfreie Kommunikation: "Es gibt Studien darüber, wie glücklich oder unglücklich Menschen nach einem Lottosechser oder nach einem Unfall, der eine Querschnittlähmung zur Folge hatte, sind. Sechs Monate nach dem jeweiligen Ereignis waren die Menschen wieder so glücklich oder unglücklich wie zuvor. Wenn ich nur etwas im Außen ändere, dann hat das nur eine sehr kurzfristige Auswirkung auf mein Wohlbefinden - dass ich mir zum Beispiel meine lange Nase operieren lassen habe, die mich so gestört hat."

Veränderungsprozesse könnten dagegen schon etwas bewirken. "Wenn ich zum Beispiel abnehmen möchte und dafür viel Sport mache, dann kann sich über die Bewegung schon das Selbstwertgefühl verändern. Aber das liegt mehr am neuen Körpergefühl als am neuen Gewicht", sagt Felber. Kann man Selbstliebe lernen? "In vielen Ratgebern steht, man soll sich vor den Spiegel stellen und dem Spiegelbild sagen, wie toll man es findet. Das ist Blödsinn", sagt Psychologin Handler. "Vielmehr muss man selbstfürsorglich werden. Dann akzeptiert man sich auch selbst. Wenn man das allein nicht schafft und einen die Selbstzweifel sehr quälen, ist es sinnvoll, eine Psychotherapie zu machen, mit dem Ziel der Selbstreflexion. Das Ziel muss sein, sich selbst besser kennenzulernen: Was sind meine Fähigkeiten und was meine Defizite?" Wer an Selbstzweifeln leidet, solle sich zudem bemühen, herauszufinden, was ihm eigentlich Freude macht, denn das kann man meist auch gut. "Damit habe ich Fakten in der Hand, auf denen ich aufbauen kann."

»Man muss selbstfürsorglich werden. Dann akzeptiert man sich auch selbst«

Gerlinde Felber rät Selbstzweiflern, ein "Erfolgstagebuch" zu führen. "Darin schreibt man jeden Tag mindestens drei Erfolgserlebnisse auf, Dinge, die einem gelungen sind. Dafür ist auch nichts zu klein. Weiters schreibt man drei Dinge auf, über die man sich gefreut hat und für die man dankbar ist, auch dafür ist nichts zu klein. Etwa: 'Ich bin in einem Geschäft freundlich begrüßt worden.' Der dritte Punkt ist, aufzuschreiben, wie man das Leben eines anderen Menschen bereichert hat: 'Ich habe jemandem dem Weg zum Bahnhof erklärt.' Oder: 'Ich habe einem Bettler zwei Euro gegeben.'"

Diese Methode dient dazu, sich vor Augen zu führen, dass es trotz seines vermeintlichen Makels viel Gutes im Leben gibt. "Wir machen oft hundert Dinge am Tag gut, sehen aber nur die eine Sache, bei der wir gepatzt haben. Es geht darum, wo man seine Aufmerksamkeit hinlenkt: auf das Glück oder das Unglück."

Auch schlanke, fesche Menschen können unglücklich sein. Nicole Jäger erzählt von einer "perfekten" Frau aus ihrer Nachbarschaft, die sie offen anfeindete. Als Jäger sie darauf ansprach, brach es aus der Frau heraus: "Ich verbringe mein Leben damit, so auszusehen, wie ich aussehe. Gehe zum Sport, geißle mich ohne Ende, um mit Mitte 60 so eine Figur zu haben", sagte sie. "Und Sie stehen da und sind allem Anschein nach ein glücklicher Mensch. Ich bin es nicht!" Zum Glück braucht es eben keine äußerliche Perfektion.

»Am Charakter arbeiten und die Frohnatur erhalten - wer das nicht kann, hat schlechte Karten«

Der Schauspieler Gerald Pichowetz wog zu Spitzenzeiten 150 Kilo und erspielte sich zu genau jener Zeit Bekanntheit beim Fernsehpublikum. Er war der "Fün fer" in der Serie "Kaisermühlen-Blues". Heute ist er 30 Kilo leichter und Direktor des Wiener Gloria-Theaters, wo man dem Publikum solide, aber leichte Unterhaltung bietet. Pichowetz war und ist eine Frohnatur. Abgenommen hat er aus gesundheitlichen Gründen, wie er sagt. Er lebt gut mit seinem Körper.

"Probleme? Vielleicht mit 18, als ich nicht so den Anschluss gefunden habe an meine Generation", sagt er. "Meine erste Freundin war um 20 Jahre älter als ich. Ich war 16, sie war 36. Das war wunderbar, ich habe irrsinnig viel gelernt." In der Schule freilich habe ihn der Turnlehrer traktiert. "Ich war immer der Letzte in der Truppe. Wenn wir auf irgendwelche Seile klettern mussten, hat der Lehrer geschrien:'Was glaubst du, was passiert, wenn jetzt ein Löwe kommt?' ,Dann wird er mich z'sammfressen', hab ich gesagt. ,Was soll's?' Damit lernen Sie umzugehen", erklärt Pichowetz lapidar. "Das Hänseln hat irgendwann ein Ende, weil man ja in seiner Persönlichkeitsstruktur lernt, damit umzugehen. Ist doch wurscht, auch jede Schimpferei beim Autofahren ergießt sich in Äußerlichkeiten. Wer sensibel in diese Richtung ist, ist falsch auf der Welt. Egal, ob er dick ist oder dünn."

Herr Pichowetz und die Frauen

"Ich habe das große Glück in meinem Leben gehabt, bei den Frauen nie ein Problem zu haben. Die haben auf andere Werte gesehen, nicht aufs Aussehen", sagt Pichowetz. Er bemerkt aber, dass andere Menschen anscheinend ein Problem mit ihm und den Frauen, konkret seiner Frau, der Schauspielerin Angelika Zoidl, haben: "Sie ist 50 und kein Mensch sieht ihr das an. Wenn ich gemeinsam mit ihr unterwegs bin, höre ich das Gemurmel - auch von Kollegen: 'Warum nimmt sich die diesen Mann? Ist es wegen dem Geld?'"

Pichowetz selbst weiß schon, seit er 17 ist, wie das ist mit oberflächlichen Eindrücken. Damals ging er perfekt gestylt als Mädchen auf ein Gschnas: "Es ist wahnsinnig, was sich rund um eine Frau abspielt. Ich weiß seither, wie meine Geschlechtsgenossen sind. Natürlich wird als Erstes die Oberfläche beurteilt. Jetzt können Sie sich als Mensch aussuchen: Bleiben Sie an der Oberfläche, oder versuchen Sie ein Spektrum zu erreichen, das etwas tiefer geht? Ab dem Zeitpunkt, wo Sie sich das antun, sind Sie beim Hinterfragen, von vielen Dingen."

Sich permanent selbst zu hinterfragen rät Pichowetz all jenen, die an ihrer Oberfläche zweifeln. "Mich entsetzt manchmal bei Kollegen, wenn sie auf einmal Riesenlippen oder ein straffes Gesicht haben. Für einen Charakter im Gesicht ist man ab einem gewissen Alter selbst verantwortlich. Mir sind die errungenen Falten oder Kilos zehnmal lieber als manche, die aufgespritzt werden und kaum normal lachen können."

»Das Schöne ist relativ. Schönheit ist vergänglich.«

Mittlerweile gebe es Menschen, die sich Rippen entfernen lassen, damit sie dünn aussehen, weiß Pichowetz. "Was wollen die? Früh sterben? Das Älterwerden können sie nicht verhindern. Es gibt Leute, die sind schon in jungen Jahren keine Schönheiten. Deswegen sind sie keine schlechteren oder besseren Menschen. Das Schöne ist relativ. Schönheit ist vergänglich. Jeder Blumenstrauß ist irgendwann dahin. Das ist das Leben, das muss man akzeptieren. Daher sollte man besser am Charakter arbeiten und die Frohnatur erhalten. Wer das nicht kann, hat schlechte Karten."

Einen Rat hat Pichowetz noch zur Selbststärkung: "Ich habe mir angewöhnt, für die unpopulären Wahrheiten zu sein. Die hören die Leute halt nicht so gern." Eines sei doch offensichtlich: Jene, die gerne Toleranz für sich selbst einforderten, seien meist die Intolerantesten, wenn es gegen andere und vor allem deren Äußeres geht.

»Ich verfiel in Selbstmitleid. Das Einzige, was mir noch richtig Spaß machte, war meine Musik«

David Alaba, ihr weltbekannter Bruder, gab sich den großen Kick: vom hoffnungsvollen Talent zum Stammspieler bei den Bayern, vom Stammspieler zu einem der besten Außenverteidiger der Welt. Und so fand sich die Sängerin Rose May Alaba, seine kleine Schwester, damit ab, dass jede Geschichte über sie mit einem Satz über ihn eingeleitet wird. Quasi zwecks besserer Verortung. "Das ist auch in Ordnung, David hat Außergewöhnliches geleistet, und ich bin als Schwester unglaublich stolz auf ihn", sagt sie.

Nicht die Erfolge des Bruders waren es, die ihr Selbstwertgefühl marginalisierten, sondern die optischen Gegensätze, die von Jahr zu Jahr augenscheinlicher wurden: David, der Sportler, legte an Muskelmasse zu, Rose, die talentierte Musikerin, bloß an Masse. Und das, obwohl sie selbst in der Schülerliga Fußball spielte. Rechts in der Verteidigung. Moderne Raumdeckung? Nicht ganz. Das Credo von Rose Alabas Trainer war weder taktisch noch psychologisch ausgereift: "Wenn der Ball kommt, verteidige dich selber."

Und so geriet die Schwester des gefeierten Verteidigers zusehends in die Defensive. "In der Schule versuchte ich noch, den Clown zu spielen und mit den anderen mitzulachen, wenn sie über mich lachten." Nach außen hin war sie die Ulknudel, später, in ihrem Zimmer, wurde sie zum traurigen Clown. "Ich bin in Selbstmitleid verfallen. Das Einzige, was mir noch richtig Spaß machte, war meine Musik." Mit sieben Jahren hatte Rose May Alaba ihre erste Gitarre bekommen und sich selbst einen Akkord nach dem anderen beigebracht. Ihr Vater George, der als Teil des Duos Two in One im Jahr 1997 mit dem Titel "Indian Song" auf Platz zwei der Austro-Charts landete, unterstützte seine Tochter in ihrer musikalischen Entwicklung.

Als Teenager performte Rose May Alaba in der Puls-4-Castingshow "Popstars -Mission Österreich" und ersang sich einen Platz in der Girlgroup, zu der sich die Finalistinnen formierten. "Doch ich spürte rasch, dass diese Techno-Beats nicht mein Ding waren", sagt sie. Musik im Namen der Rose sollte anders klingen und zumindest von ihr selbst getextet werden, befand Alaba.

»Meine Musik half mir, mich selbst so zu akzeptieren, wie ich nun einmal war«

Und so begann sie, ihren Weltschmerz, den Weltschmerz des pummeligen Teenagers, in R&B-Songs zu packen. "Meine Musik half mir, mich selbst so zu akzeptieren, wie ich nun einmal war", sagt sie. "Sie half mir aber auch dabei, an mir zu arbeiten."

Rose May Alaba schrieb an ihren Lyrics und schuftete im Fitnesscenter, die Musik gab ihr die Kraft für die Gewichte, die Gewichte die Kraft für die Musik. "Heute bin ich um 25 Kilo leichter und mit mir selbst absolut zufrieden."

Dieser Tage hat die 21-jährige Rose May Alaba ihre zweite Single herausgebracht. Sie trägt den beziehungsvollen Titel "Love Me Right". Der Song klinge erfrischend authentisch, sagen die Kritiker. Er handelt von einer jungen Frau, die langsam lernte, sich selbst zu lieben.

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