Auf gut Glück

Die SPÖ verlässt sich darauf, nach einem ÖVP-Absturz bei der nächsten Wahl das Kanzleramt zurückzugewinnen. Das ist leichtfertig: Es gibt keine große Wendestimmung zu ihren Gunsten.

von Pamela Rendi-Wagner © Bild: imago images/SEPA.Media

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner kann eine Neuwahl kaum erwarten. Zuletzt ist jedoch etwas dazwischengekommen: Omikron. Im Dezember hatte die Sozialdemokratin Karl Nehammer (ÖVP) mit der Aussicht auf eine kurze Kanzlerschaft im Amt begrüßt: Die Regierung sei gescheitert, meinte sie. Sobald die Infektionszahlen sinken, spätestens aber Anfang 2022, solle die Regierung den Weg frei machen für eine Wahl: "Es wäre richtig, es wäre notwendig, es wäre anständig", so Rendi-Wagner.

Bis heute hat die Regierung diese Aufforderung nicht einmal ignoriert, es kracht jedoch so sehr zwischen ÖVP und Grünen, dass ein baldiger Urnengang von niemandem mehr ausgeschlossen werden kann. Gerne ist in diesem Zusammenhang von unberechenbaren Eigendynamiken die Rede: Seit bisher geheim gehaltene Nebenabsprachen zum Koalitionsvertrag den Weg an die Öffentlichkeit gefunden haben, liegen die Nerven blank, kann ein Funke zur Explosion führen.

Den Grünen machen bekanntgewordene Vereinbarungen zum ORF-Stiftungsrat und zum Kopftuchverbot zu schaffen. Anhänger wie Funktionäre reagierten empört. Werner Kogler und Co. überstehen derartiges ein-, zweimal, nicht aber öfter. Es hilft ihnen wenig, dass sie durchaus auch als Opfer eines türkisen Racheaktes gesehen werden, und zwar dafür, dass sie die Ablöse von Sebastian Kurz als Kanzler und ÖVP-Chef betrieben haben. Das wirft nebenbei ein Licht auf die gegenwärtigen Verhältnisse in der Koalition. Da und dort ist die nötige Vertrauensgrundlage verloren gegangen.

Sicher ist gar nichts

Pamela Rendi-Wagner, Genossinnen und Genossen geben sich vor diesem Hintergrund für eine Wahl in den nächsten Monaten gerüstet. Wobei sie natürlich auf eine Rückkehr ins Kanzleramt nach fast fünfjähriger Absenz hoffen. Allein: So einfach, wie die Sache wirken mag, ist sie nicht. Bei Weitem nicht.

Die SPÖ geht davon aus, dass es die ÖVP bei einer Neuwahl zerlegt. Das allein könnte noch eintreffen. 2019 erreichte die damalige "Liste Sebastian Kurz -die neue Volkspartei" 37,5 Prozent der gültigen Stimmen. Was von ihr übrig geblieben ist, liegt heute um ein Drittel unter diesem Niveau. Wenn am Sonntag gewählt werden würde, würde die ÖVP Umfragen zufolge nur noch rund 25 Prozent schaffen.

Die Sozialdemokratie würde zwar zulegen. Dass sie stärker als die ÖVP aus einem solchen Urnengang herausgehen würde, ist aber fraglich. Zumal Rendi-Wagner nicht über bessere, sondern eher über schlechtere Persönlichkeitswerte verfügt als Karl Nehammer. Und zumal es trotz aller Geschehnisse der vergangenen Monate keine große Wendestimmung zu ihren Gunsten gibt.

Zum Wechsel gehören zwei

Es fehlt schlicht Entscheidendes für die SPÖ, um sich der Sache einigermaßen sicher sein zu können. In der jüngeren Geschichte der Republik gehörten zu Führungswechsel immer wieder zwei: Amtsinhaber, die von einer Masse abgestraft werden, und Herausforderer, die Hoffnung auf etwas Besseres machen. So eroberte Sebastian Kurz 2017 das Kanzleramt für die Türkisen, so gelang es den Roten einst, mit Gabi Burgstaller (SPÖ) die Führung in Salzburg und mit Franz Voves (SPÖ) dieselbe in der Steiermark zu übernehmen.

Das mit der Wendestimmung ist vielschichtig. Zunächst ist da die politische Großwetterlage: Sie ist besonders günstig für die FPÖ und für die MFG, die Corona- Maßnahmen ablehnt. Bei der Gemeinderatswahl im niederösterreichischen Waidhofen an der Ybbs holte diese Liste auf Anhieb 17,1 Prozent. Dilemma für die SPÖ: Bundesweit könnte das drauf hinauslaufen, dass es keine Mehrheit gegen diese beiden Parteien und die ÖVP gibt und dass zum Beispiel auch der Traum vieler Menschen platzt, die Mitte-links stehen: Rot-Grün-Pink. Eine solche Konstellation wäre allenfalls nur im Rahmen einer Minderheitsregierung möglich.

Wohl auch das ahnend, wird sie von Rendi-Wagner erst gar nicht offen angestrebt. Abgesehen davon würde es Wähler verschrecken. Doch worauf soll es hinauslaufen? Eine große Koalition wie in alten Zeiten? Gewerkschaftern würde es gefallen, könnten sie so doch die Sozialpartnerschaft noch stärker pflegen mit ihren Partnern visà-vis, den ÖVP-geführten Arbeitgebervertretern. Abgesehen davon ist eine große Koalition aber noch immer so belastet, dass man dieses Ziel besser für sich behält.

SPÖ räumt nicht ab

Das Problem der SPÖ ist, dass sie es nur noch selten schafft, von der Schwäche anderer zu profitieren und große Wahlsiege einzufahren. Eine nicht unwesentliche Ausnahme ist das Burgenland: Unter Hans Peter Doskozil eroberte die Partei bei der dortigen Landtagswahl vor zwei Jahren die absolute Mehrheit in Mandaten. Doch sonst: In Wien verloren die Freiheitlichen bei der Gemeinderatswahl wenig später fast 24 Prozentpunkte. Gemessen daran war der Zugewinn der SPÖ mit zwei Prozentpunkten bescheiden. In Oberösterreich konnte die Partei im vergangenen Herbst kaum zulegen und blieb ausgerechnet in diesem arbeiterreichen Industrieland unter 19 Prozent.

Auch für die Bundespartei wachsen die Bäume nicht in den Himmel: Die 25 Prozent, die sie in Umfragen hält, sind eher bescheiden - wenn man bedenkt, dass sie in der Vergangenheit bis zu 51 Prozent (1979) zusammenbrachte, vor allem aber wie viel die ÖVP heute abzugeben hat.

Liegt es an Rendi-Wagner? Das wäre zu einfach. Selbst Leute, die ihr kritisch gegenüberstehen, räumen ein, dass sie es verdammt schwer hat. Als Christian Kern im Herbst 2018 hinschmiss, waren alle froh, dass sie den undankbaren Job übernahm. Als Quereinsteigerin war sie aufgeschmissen: Wenn schon nicht Hilfe, so hätte sie Unterstützung oder zumindest Solidarität gebraucht. Bekommen hat sie Parteifreunde, die ihr immer wieder in den Rücken fallen. Allen voran Doskozil, der in wesentlichen Fragen anderer Meinung ist, in seinem Land aber halt auch eine andere, nämlich homogenere Wählerschaft zu bedienen hat als Rendi-Wagner bundesweit.

Immerhin auf ihrer Seite hat sie den mächtigsten Sozialdemokraten: Wiens Bürgermeister Michael Ludwig. Er sei "so stark, dass er vor Kraft fast nicht mehr laufen kann", heißt es. Aus heutiger Sicht zieht Rendi-Wagner damit fix als Spitzenkandidatin in die nächste Nationalratswahl. Vor allem, wenn sie bald stattfindet.

"Megatrends" verschlafen

Inhaltliche Angebote zu entwickeln, ist die größere Herausforderungen. Die Defizite sind gigantisch. Nach Einschätzung des Politikwissenschaftlers Anton Pelinka hat die SPÖ "Megatrends" verschlafen. Konstruktive Vorschläge für den Umgang mit der Pandemie, wie sie von der gelernten Ärztin Rendi-Wagner kommen, mögen gut sein, bringen aber keine Stimmen. Gefragt wären Angebote, die nicht nur eine alternde Stammwählerschaft ansprechen, sondern zum Beispiel auch Jüngere und Menschen mit höherem Bildungsabschluss. In diesen beiden Gruppen ist die SPÖ keine Groß-und auch keine Mittel-,sondern eine Kleinpartei: 14 Prozent hat ihr das Sozialforschungsinstitut SORA hier nach einer Befragung anlässlich der letzten Nationalratswahl ausgewiesen. Das reichte jeweils für Platz vier.

So gibt's keine Zukunft: Anspruch der SPÖ wäre es, in möglichst vielen Teilen der Gesellschaft gut anzukommen. Millionäre können, müssen aber nicht dabei sein, in Summe sind es zu wenige. Bei Maturanten und Hochschulabsolventen wäre das aber wichtig, weil sie immer zahlreicher werden. Treppenwitz: Errungenschaften sozialdemokratischer Bildungspolitik tragen zu diesem Wachstum bei. Die Partei hat jedoch aufgehört, dranzubleiben. Also findet sie kaum Zuspruch bei denen, die von diesen Errungenschaften profitieren.

Es ist sogar so weit, dass sie Gespür für gesellschaftliche Strömungen und politische Talente vermissen lässt: Der Konflikt um die Wiener Stadtstraße zeugt davon. Es geht darum, dass es nicht gelungen ist, eine derartige Eskalation zu verhindern. Und dass man junge, redegewandte Klimaaktivistinnen, die schon einmal ein doppelseitiges Interview in der "Krone" bekommen und vielleicht auch einmal große Karriere als Kommunal-oder Bundespolitikerin machen werden, wohl auf Dauer gegen sich aufgebracht hat. Das ist ein Verlust.

Johannes Huber, Journalist und Blogger zur österreichischen Politik www.diesubstanz.at