Hongkong: Worum es
bei den Protesten geht

In Hongkong brodelt es schon länger unter der Oberfläche. Erst im März berichtete Amnesty International über eine Verschlechterung in puncto Menschenrechte. Die Bürger fühlen sich in ihren Rechten von China immer stärker eingeschränkt. Wie es zu den aktuellen Massenprotesten gekommen ist.

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Unruhen - Hongkong: Worum es
bei den Protesten geht

Peking hatte der ehemaligen britischen Kronkolonie bei der Übernahme 1997 unter dem Prinzip "Ein Land, zwei Systeme" für mindestens 50 Jahre Grundrechte wie Meinungs- und Pressefreiheit zugesichert. Die Opposition wirft Peking vor, sich zunehmend in Hongkongs Angelegenheiten einzumischen und damit die Autonomievereinbarungen zu verletzen. Nach Ansicht der Demonstranten wird die Zusicherung schrittweise ausgehöhlt, wogegen sie nun protestieren.

Der Tropfen, der das Fass zum überlaufen brachte

Auslöser für die Proteste war ein Auslieferungsgesetz, das Überstellungen von Verdächtigen an Festland-China vorsah, inzwischen aber gestoppt wurde. Zehntausende Menschen sind im April 2019 gegen die Regierungspläne auf die Straße gegangen, Auslieferungen auf das chinesische Festland zu erlauben. Der Protest war der größte, den die Stadt seit Jahren gesehen hatte. Die Organisatoren schätzten, dass rund 200.000 Menschen teilgenommen haben.

Kurze Zeit davor waren zudem die Anführer der sogenannten "Regenschirm-Bewegung" in Hongkong schuldig gesprochen worden. Die Bewegung setzte sich für mehr Demokratie und freie Wahlen ein. Sie bekam ihren Namen von den Regenschirmen, die die Demonstranten gegen das Tränengas der Polizei und die brennende Sonne oder den Regen einsetzten, während sie 79 Tage lang friedlich wichtige Straßenzüge besetzt hielten. 2014 legte die Bewegung so Teile der asiatischen Wirtschafts- und Finanzmetropole wochenlang lahm. Die Anführer waren mit Haftstrafen bis 16 Monate verurteilt worden. Die Empörung über die Schuldsprüche führte zu einem besonders großen Zulauf an Demonstranten.

Beschnittene Menschenrechte.

Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat sich die Situation in Bezug auf die Menschenrechte im vergangenen Jahr erheblich verschlechtert. Amnesty warf der Regierung der chinesischen Sonderverwaltungszone am Dienstag in einem Bericht vor, Grundrechte wie die Redefreiheit zu beschneiden. Es habe 2018 eine Reihe von Rückschlägen bei den in Hongkong gewährten Freiheiten gegeben. Die Organisation verwies auf die Ausweisung eines britischen Journalisten, das Verbot einer Unabhängigkeitspartei und den Ausschluss von Kandidaten von Kommunalwahlen.

Im September war unter Berufung auf ein Sicherheitsgesetz die kleine Hong Kong National Party (HKNP) verboten worden, die für die Unabhängigkeit Hongkongs eintritt. Der bei der "Financial Times" für Asien zuständige britische Journalist Victor Mallet, der den Parteichef in dem von ihm mitgeleiteten Club der Auslandskorrespondenten hatte reden lassen, bekam seine Arbeitserlaubnis und sein Visum nicht verlängert.

Schwere Zusammenstöße, die Proteste gehen weiter

Seit April dauern die Proteste nun schon an. Immer wieder kommt es seitdem zu Demonstrationen und Zusammenstößen zwischen einem kleinen Teil der Demonstranten und der Polizei. Die Demonstranten fordern daher auch eine unabhängige Untersuchung der Polizeigewalt bei den Protesten.

Trotz des Verbots einer Großdemonstration waren am 31. August erneut Tausende auf die Straßen gegangen. Demonstranten besetzten die Verkehrsadern in der Nähe des Regierungsviertels. Die Polizei sprach von einer "ungenehmigten Versammlung" und "illegalen Aktionen". Die Auseinandersetzungen dauerten bis in den Abend. Demonstranten setzten Barrikaden in Brand. Am Victoria-Park gab ein Polizist aus seiner Dienstwaffe einen Warnschuss in die Luft ab, wie lokale Medien berichteten und auf einem Video zu hören war. Die Polizei setzte auch Gummigeschoße ein. Ein Wasserwerfer versprühte blaue Farbe auf Demonstranten, möglicherweise um diese zu markieren. Für Empörung sorgten Berichte, dass sich Polizeibeamte als Aktivisten verkleidet und unter die Demonstranten gemischt hätten, um Leute festzunehmen.

Die politische Atmosphäre in Hongkong ist außerdem auch deshalb aufgeheizt, da mehrere führende Mitglieder der Demokratiebewegung vorübergehend festgenommen wurden. Darunter war auch der bekannte frühere Studentenführer Joshua Wong und seine Mitstreiterin Agnes Chow. Die beiden Aktivisten wurden als Anführer der "Regenschirmbewegung" vor fünf Jahren bekannt.

Demonstrantin: "Es ist ein Gedenktag für uns"

Der Tag hatte zunächst mit einem friedlichen Marsch begonnen. Die Demonstranten folgten einem Aufruf zu einer religiösen Prozession, die entlang prominenter sakraler Stätten in den historischen Distrikt Sheung Wan und weiter in Richtung Regierungsviertel führte. Viele "spazierten" nur, wie sie sagten, friedlich auf dem Fußweg. Doch kam es am späten Nachmittag an anderer Stelle zu Straßenblockaden.

Die Polizei der chinesischen Sonderverwaltungsregion hatte eine ursprünglich geplante Großdemonstration aus Sicherheitsgründen verboten. Mit dem Protestzug wollte die Demokratiebewegung eigentlich den fünften Jahrestag des Scheiterns der Wahlreform 2014 begehen, die die kommunistische Führung in Peking nicht erlauben wollte. "Es ist ein Gedenktag für uns", sagte die Demonstrantin Beatrix Wong. "Deswegen haben wir uns versammelt, um gemeinsam für unser Recht zu kämpfen. Wir tun es ohne Erlaubnis, weil es ein Menschenrecht ist." Doch dann eskalierte die Situation zwischen Demonstranten und Polizei.

»Die Menschen werden sich nicht einschüchtern lassen und weiterhin auf die Straße gehen«

Die Protestanführerin Anges Chow sieht derzeit keine Chance für einen Dialog mit der Regierung. "Ein Dialog in dieser Phase wäre sinnlos", sagte Chow in einem Interview mit dem "Kurier" (Sonntagsausgabe), denn die Forderungen der Protestbewegung seien klar. Die Regierung suche aber nach Wegen, die Bewegung zu unterdrücken. "Während (die Regierungschefin, Anm.) Carrie Lam sagt, dass sie mit ihnen reden will, lässt sie Aktivisten und Parlamentsabgeordnete festnehmen. Und sie hat keinen Respekt für die Menschen in Hongkong", kritisierte die 22-Jährige.

 Agnes Chow (L) and Joshua Wong
© Anthony Kwan/Getty Images Agnes Chow (links) and Joshua Wong

Als Ikone der Protestbewegung will Chow dennoch nicht gesehen werden. "Die Bewegung in Hongkong ist führerlos und das ist gut und wichtig so. Wir kommunizieren über das Internet, tauschen uns aus, organisieren uns. Ich bin nur eine Teilnehmerin, obwohl ich Medien von früheren Protesten bekannt bin. Manchmal stehe ich an vorderster Front, trage eine Gasmaske, manchmal versorge ich hinten die Menschen", erklärte Chow. Der Hongkonger Regierungschefin wirft sie vor, das Rechtssystem des Landes zu zerstören und nicht auf die Meinung der Menschen zu hören, was aber "ein Grundsatz einer Regierung sein" sollte. Chow geht davon aus, dass die Proteste weitergehen werden, da "sich die Menschen nicht einschüchtern lassen werden und weiterhin auf die Straße gehen, um für unsere fünf Forderungen zu kämpfen".