Schule aus der Ferne

Acht Wochen Homeschooling für Sechs- bis 14-Jährige, elf Wochen für Schüler und Schülerinnen in weiterführenden Schulen. Welche Herausforderungen das besondere Schuljahr 2019/20 für Schüler, Lehrer und Eltern gebracht hat.

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Gastkommentar - Schule aus der Ferne © Bild: iStockphoto.com
MMag. Katharina Prammer unterrichtet am Rainergymnasium in Wien katholische Religion und Ethik und ist Vertreterin im Schulgemeinschaftsausschuss.

Den schulischen Shutdown habe ich nicht "live" miterlebt. Ich war erkältet zuhause. Oder war es doch eine Covid-19-Erkrankung? Leichte Symptome, aber schwere Entscheidung: In der Schule stehen nämlich die VWA-Präsentationen* an – immerhin eine Säule der Matura! Letztlich bleibt mir nur mehr, die Maturanten aus der Ferne zu informieren und ihnen alles Gute für den großen Augenblick zu wünschen.

Der große Augenblick sollte für sie einer der letzten ihrer Schulkarriere, das Informieren, Unterrichten und Betreuen aus der Ferne dafür für einige Wochen zum schulischen Alltag werden.

Meine Entscheidung, mit scheinbar nur Erkältungssymptomen gleich das Bett zu hüten, war richtig – nicht auszudenken, wie viele Menschen ich hätte anstecken können.

Die Schulschließungen kurz darauf waren meiner Meinung nach ebenso richtig – aus medizinischer Sicht, als Vorsichtsmaßnahme, mindestens auch als politisches Statement im Sinne von: "Wir nehmen die Sache ganz ernst".

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Ob sie aus pädagogischer, gesellschafts- und bildungspolitscher sowie (entwicklungs)psychologischer Perspektive ebenso richtig waren, werden wir frühestens im nächsten Schuljahr erahnen können.

Von einigen fehlte plötzlich jede Spur ...

Dazu einige persönliche Erfahrungen aus der vergangenen Homeschooling-Zeit. Die Namen meiner Schüler und Schülerinnen habe ich frei erfunden, ihre Geschichten nicht. Da ist zum Beispiel Vanessa, ein aufgewecktes Mädchen, von dem plötzlich jede schulische Spur fehlt. Die Eltern bitten mich zwar, die Aufgaben zusätzlich an eine andere Mailadresse zu schicken, von Vanessa selbst erhalte ich aber keine Rückmeldung. Nie. Anderen Kollegen geht es ähnlich.

Da ist die gut organisierte 7. Klasse, deren Klassensprecher das Lehrerkollegium bittet, die Stoffmengen zu reduzieren. MS Teams, Moodle, aber auch Mail und WhatsApp sowie das Schulbuch, das allerdings nicht alle mit nach Hause genommen haben, dienen zum Lernen. Die Buchbesprechung in Englisch sollte bis morgen erledigt werden, für das Wahlpflichtfach ist zwei Wochen Zeit, für Physik ist Sonntag 23:00 Uhr, für Religion Freitag 19:00 Uhr Abgabefrist. Für viele eine zumindest organisatorische Herausforderung. Auch für die Lehrkräfte, die sich von heute auf morgen mit diversen Lernplattformen und Beurteilungsmöglichkeiten vertraut machen, Unterrichtsmaterialien erstellen und adaptieren und auch erst ein gewisses Gespür für den jeweiligen Arbeitsaufwand – den ihrer Klassen, aber auch den eigenen – entwickeln müssen.

»Sorgen müssen wir uns um jene Kinder, die schwer oder gar nicht erreichbar waren«

Da fällt mir aber auch noch Lisa ein: Sie hat keinen Computer zuhause. Der vom Bildungsministerium zugesagte Laptop lässt aber auf sich warten. Die Klassenvorständin, die die Klasse im Übrigen erst im 2. Semester übernommen hat, tut gemeinsam mit der Elternvertreterin der Klasse ihr Möglichstes, das Kind zu unterstützen.

Oder der so gewissenhafte Daniel, von dem ich keine Abgaben erhalte. Erst nach intensivem Nachfragen erfahre ich, dass er und seine zwei ebenso im Schulalter befindlichen Geschwister sich die beiden Laptops mit den Eltern teilen, die sie für das Homeoffice brauchen. Außerdem liegen die Stärken dieses Jugendlichen in ganz vielen Bereichen, für Computer und Technik hat er sich bislang aber nie besonders erwärmen können.

Ja, und dann noch Andi, der wegen der Trennung seiner Eltern so down ist, dass er sich für die schulischen Belange so gar nicht interessieren kann. Oder der zehnjährige Jonas, der sich so in sich zurückgezogen hat, dass seine Mutter, wie sie beteuert, alles versucht – und so wie ich sie kenne, tut sie das wirklich - aber null Motivationsmöglichkeit findet. Kaum in der Schule zurück, sind beide Burschen wie ausgewechselt: zugänglich, fröhlich, interessiert.

Die Suche nach den Antworten

Dass manche von zuhause aus nur das Mindeste beitragen, Aufgaben und Termine "übersehen" oder ganz große Schwierigkeiten mit dem Strom- oder Internetanbieter haben, spiegelt lediglich die Beobachtungen aus dem Präsenzunterricht wider. Angemessene Antworten darauf zu finden gehört zum pädagogischen Alltag.

Aus den genannten Beispielen zeigt sich, dass Homeschooling nicht nur das übliche Lehrer-Schüler-Verhältnis betrifft, sondern dass besonders im Pflichtschulbereich auch die Eltern gehörig miteinbezogen waren – von der Koordinierungs- über die Motivations- bis hin zur Lernarbeit. Auch da sind die elterlichen Erfahrungen vielfältig: von "Ich habe keine Ahnung von solchen Berechnungsmethoden" über "Diese Übung war für die ganze Familie interessant und hat uns zum Nachdenken gebracht" bis hin zu "Ich bin mit dem Heft daneben gesessen und habe mit meinem Kind den Onlinetest gemacht". So manch nervenaufreibende Zeiten werden nicht ausgespart gewesen sein. Julias Antwort auf meine Frage, ob sie sich auf die Sommerferien freut, ist diesbezüglich eindeutig: "Nein. Wie soll ich meine Eltern noch einmal so lange aushalten?"

Die Schulschließungen brachten herausfordernde Situationen mit sich: für Eltern, Kinder/Jugendliche und Lehrkräfte. Dass auch die Schulleitungen organisatorisch, pädagogisch, budgetär gefordert waren und trotz Planungsunsicherheiten aus den vagen, dann aber wieder sehr konkreten, aber zum Teil divergierenden Vorgaben aus Ministerium und Bildungsdirektionen das Beste für ihre Schule machen sollten, sei hier nur am Rande erwähnt.

Abhängig von verschiedensten Faktoren (Betreuungsmöglichkeiten, technischer Ausstattung, digitalem Knowhow, Wohnungsgröße, familiären, beruflichen und persönlichen Voraussetzungen uvm.) hat sich das Distance Learning im AHS-Bereich, aus dem ich Erfahrungswerte habe, im Großen und Ganzen gut eingespielt. Sorgen müssen wir uns aber um jene Kinder, die schwer oder gar nicht erreichbar waren.

»Fast allen ist bewusst geworden, wie wertvoll das In-die-Schule-Gehen ist«

Vorausgesetzt herkömmlicher Unterricht ist ab Herbst wieder möglich - und das wünschen sich alle Beteiligten! -, wird sich zeigen, welche direkten inhaltlichen Auswirkungen dieses Ausnahmeschuljahr 2019/20 gebracht hat. Acht Wochen Homeschooling für Sechs- bis 14-Jährige, sogar elf Wochen für Schüler und Schülerinnen in weiterführenden Schulen und dann bis Schulende aufgrund der Gruppenteilung lediglich halbe Unterrichtszeit. Da wird es seitens des Systems Schule als auch seitens der einzelnen Schüler und Schülerinnen so manches fachliche Aufholmanöver brauchen.

Ich halte es durchaus für richtig, die Beurteilungsmaßstäbe des vergangenen Schuljahres der Situation angepasst zu haben. Das bedeutet allerdings auch, dass die Zeugnisnoten heuer nicht immer dem Können entsprechen und Schüler und Schülerinnen mit einem Nicht genügend automatisch, mit zwei Nicht genügend bei Zustimmung der Klassenkonferenz aufsteigen dürfen. Ob das für die Betroffenen im nächsten Französisch- oder Mathematiklernjahr das Beste ist, wage ich nicht zu behaupten.

Welche längerfristigen psychischen und gesellschaftlichen Konsequenzen das vergangene Semester haben wird, traue ich mich auch nicht zu beurteilen. Hoffnungsvoll in die Zukunft lassen mich aber die eindeutig positiven Erfahrungen der vergangenen Monate blicken: Der Großteil unserer Jugendlichen hat das, was Schule neben fachlichem Input auch leisten soll, recht gut gelernt (oder zumindest verstanden, dass diese Kompetenzen wichtig sind): Selbstorganisation, Zeitmanagement, digitale Anwendungen, mit persönlich herausfordernden Situationen, Ängsten und Unsicherheiten umgehen können, die freie Zeit zum Reflektieren nützen, Neues ausprobieren (einige meiner Schüler und Schülerinnen haben Yoga für sich entdeckt, eine Fremdsprache zu lernen begonnen, neue Übungen mit dem Skateboard oder Maltechniken probiert).

Und was mich als Lehrerin am meisten freut: Fast allen ist bewusst geworden, wie wertvoll das In-die-Schule-Gehen ist. Diese Erkenntnis betrifft den geregelten Stundenplan, das gemeinsame Lernen und Erarbeiten, das persönliche und direkte Kommunizieren mit den Lehrenden und ganz unbedingt auch die soziale Dynamik und die Freundschaften im Klassenzimmer – ein Mehrwert jeder Schule, die Distance Learning nur im Notfall durchführt!

*Abkürzung für "Vorwissenschaftliche Arbeit"

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. News.at macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.