IS-Mord: Jetzt
spricht die Lebensgefährtin

Während sie Obst und Gemüse verkaufte, soll ihr Lebensgefährte zwei Menschen getötet haben. Innenminister Wolfgang Sobotka sprach kurz drauf von einem IS-Bezug. Besuch bei der Frau des mutmaßlichen Doppelmörders von Linz

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spricht die Lebensgefährtin © Bild: Heinz Stephan Tesarek

Der kleine Bioladen von Margarita Z. liegt am Rand einer Linzer Hochhaussiedlung. Ihr Lebensgefährte, Mohamed H., half hier oft aus, bevor er zum Mörder wurde. Die Gegend ist belebt. Billa, Trafik und ein Schuhgeschäft sind gleich nebenan. Viele Anwohner spazieren an dem Geschäft von Margarita Z. vorbei. Einige verrenken ihren Köpfe, um einen Blick auf die Verkäuferin zu erhaschen. In den Holzkisten vor dem Schaufenster stapeln sich Karotten, Gurken, Tomaten. Weil es regnet, huscht die Frau mit dem Kopftuch ins Freie, legt behutsam eine Plastikplane über das Gemüse. Am Freitag vor zwei Wochen brauchte sie die Plane nicht. Die Sonne schien. Sie stand hinter dem Verkaufstresen, sie plauderte mit ihren Kunden. Gegen Mittag betraten zwei Kriminalbeamte den Bioladen.

"Das, was mein Mann getan haben soll, ist unentschuldbar. Ich bin mir sicher, dass er selbst genau weiß, welch große Schuld er auf sich geladen hat", sagt sie mit dünner Stimme. Margarita Z. ist 59 Jahre alt. Ihre dunklen Augen schauen müde und traurig aus. Täglich steht sie im Geschäft. Trotz der Tat. Fremden misstraut sie. Zu viele Journalisten stellten Fragen, zu viele Schaulustige gafften hinein, einer schmierte das Wort "Mörder" an die Hausfassade. Sie putzte es runter, sie starrte böse zurück, sie wich den quälenden Fragen aus. Die Tat kann sie nicht ungeschehen machen.

Die Hölle vor dem Bioladen

Sie stützt sich im Stehen an dem Tresen vor ihr ab, so, als ob sie Angst davor hat, umzufallen. Auf den Regalen hinter ihr duftet das Vollkornbrot, der Bestellschein klemmt am Holz. Ein Kunde betritt das Geschäft. "Ach, Herr Meier, ich habe Ihre Bestellung schon hier. Wie geht es Ihrer Frau, den Kindern?" Herr Meier kauft noch Käse. Dann wünscht er Margarita alles Gute. Er hat es in der Zeitung gelesen. Schrecklich. "Wenn Sie Hilfe brauchen, melden Sie sich", sagt Herr Meier.

Das sind die Kunden, die Margarita Z. Kraft geben. Die sie aufbauen in diesem Albtraum. Sie kennt alle ihre Kunden beim Namen. Sie kennt ihre Lebensgeschichten, ihre Familien. Jetzt kennen alle ihre Sorgen. Denn wenige Tage nach den Morden, die ihr Lebensgefährte Mohamed H. begangen haben soll, verkündete Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) bei einer Pressekonferenz, dass es sich um eine "Tat mit eindeutigem IS-Hintergrund" handle. Seitdem ist rund um den Bioladen von Margarita Z. die Hölle los. Alle wollen wissen: Ist ihr Lebensgefährte ein Terrorist? Margarita Z. glaubt, dass er von den Politikern so dargestellt wird, um von anderen Dingen abzulenken. "Dass ja keinen anderen die Verantwortung trifft."

Der Weg nach Mekka

Kennengelernt hat die Oberösterreicherin ihren Mann vor 25 Jahren in einem Lokal in der Nähe von Linz. Er war ein Bekannter eines Studienkollegen. Er sprach sie an, machte ihr Komplimente, das gefiel ihr. Danach sahen sie sich öfters, aber nie allein. Mal kam er zu Besuch in ihre Wohngemeinschaft, mal trafen sie sich gemeinsam mit anderen Freunden. "Ich dachte mir, das ist halt ein armer Ausländer. Da kann er ja ein bisschen bei uns dabei sein", sagt Margarita Z. An Liebe dachte sie damals noch nicht. Doch der Tunesier gab nicht auf. Er schwor ihr ewige Liebe. Als Margarita Z. ihren Bioladen vor 23 Jahren eröffnete, war Mohamed H. schon an ihrer Seite. Tagsüber arbeitete er in einer Tischlerei, abends erlaubte ihm sein Chef, Regale für das Geschäft zu bauen. Dunkelbraune Eichholzregale, die bis heute vollgefüllt mit Lebensmitteln sind. Gutes Olivenöl steht dort zum Beispiel drin. Auch damit kennt sich Mohamed H. aus. Seine Familie stammt aus einem Dorf in Tunesien. Sie produzierten ihr eigenes Olivenöl. Mohamed H. hatte sogar die Idee, es nach Österreich zu importieren. Aber die scheiterte an der Bürokratie. Als Margarita Z. schwanger wurde, stellte sie zunächst eine Aushilfe ein. Doch die wurde krank, und eine zweite Angestellte konnte sich die Geschäftsfrau nicht leisten. Also kündigte Mohamed H. seine Stellung und arbeitete fortan für seine Frau.

Bis zur Geburt ihres Kindes spielte Religion keine Rolle in ihrer Beziehung. Ja, Margarita Z. wusste, dass Mohamed Muslim war, aber er hatte damit nichts am Hut. Er betete nie. Auch Margarita Z. war längst aus der katholischen Kirche ausgetreten. Sie empfand den Glauben, den man ihr als Kind aufgezwungen hatte, als scheinheilig. Doch jetzt, als Familie, begann das Paar, zu suchen. Nach dem Sinn, nach Werten, die es seinem Kind mitgeben konnte. Die beiden fanden Antworten in dem Buch "Der Weg nach Mekka" des jüdischen Konvertiten Muhammad Asad, des Vordenkers eines westlichen Islams, der in den Zwanzigerjahren in Wien studierte und später als Sonderkorrespondent für die "Frankfurter Zeitung" schrieb. Das Paar war fasziniert von seinen Auslegungen. Gemeinsam lasen sie seine Übersetzung des Koran. Mohamed H. sagte: "Seit ich das lese, verstehe ich so viel." Margarita Z. entschloss sich, zu konvertieren, schließlich heirateten sie in der bosnischen Moschee in Linz. Von nun an trug Margarita Z. ein Kopftuch. "Das war mein Wunsch. Ich wollte zu meinem Mann stehen, zu unserer Religion. Ich wollte unsere Familie damit klarstellen und zeigen: Wir sind so!" Viele Kunden waren zu Beginn verstört. "Jetzt hat die auch so einen Fetzen auf", wurde getuschelt. Doch die Geschäftsfrau kreidete es ihren Kunden nicht an, wenn sie den kleinen Laden plötzlich mieden. "Jeder hat seine Freiheit. Wer mich nicht sehen möchte, muss nicht ins Geschäft kommen."

Gemeinsam in die Moschee ging das Paar nie. Mohamed H. besuchte am Anfang hin und wieder die bosnische Moschee. Die Menschen dort hatten ihm gefallen, ihre Religiosität. Aber mit der Sprache haperte es. Deshalb wechselte er in die ägyptische Moschee. Aber auch dort war er nur selten. Dort verstand er zwar alles, fühlte sich aber unverstanden. Irgendwann blieb er ganz weg.

Die Alten ehren

Kurz nach der Hochzeit reiste Margarita Z. mit ihrem Mann nach Tunesien. Sie lernte ihre Schwiegermutter kennen, die Geschwister ihres Mannes. "Sie haben mich herzlich aufgenommen." Besonders beeindruckt war die Österreicherin von der Familienstruktur. Dass dort die Alten geachtet werden. Die Weisheit des Alters geehrt wird. Deswegen ist es für Margarita Z. besonders schwer zu fassen, dass ihr Mann zwei alte Menschen getötet haben soll. Das passt nicht zu seiner Kultur.

Zurück in Österreich lebte die Familie während der Woche in einer 22-Quadratmeter-Wohnung in der Nähe des Geschäfts. Mohamed H. schlief im Keller, weil oben kein Platz für drei Betten war. Jeden Morgen sperrte er den Laden auf. Dann schrubbte er den Boden mit Orangenölreiniger, weil er glaubte, mit dem Geruch die Fliegen zu vertreiben. Er schlichtete das angelieferte Gemüse und legte das frische Brot in die Regale. Wenn Margarita Z. dann um halb acht ins Geschäft kam, war alles "picobello".

Immer wieder suchte Mohamed H. nach anderen Jobs. Einmal in einer Granitfirma. Da versprach ihm der Chef, dass er bald Arbeit für ihn habe. Mohamed H. wartete auf seinen Anruf. Einen Monat, zwei Monate. Dann rief er ihn an. "Halte dich bereit, im Frühjahr habe ich Arbeit für dich", sagte ihm der Chef. Mohamed H. wartete bis Juni - vergeblich. Und als er beim Arbeitsamt nach seiner Mindestsicherung fragte, antwortete die Dame: "Kriegst ja eh zu Hause ein gutes Essen."

Die Katze im Schlafzimmer

An den Wochenenden fuhr die Familie aufs Land. Im Elternhaus von Margarita Z. hatte sie Katzen und Hühner. Doch die Idylle trübten die Nachbarn. Einer stänkerte immer wieder: "Der Tunesier soll nach Hause gehen." In solchen Situationen redete Margarita Z. auf ihren Mann ein, dass er die Anfeindungen nicht persönlich nehmen darf. Dann nahm sich Mohamed H. meistens eine Auszeit. Er reiste in seine Heimat und besuchte seine Mutter.

Doch längst fühlte sich Mohamed H. auch in Tunesien nicht mehr sicher. Er hatte schon unter dem unreligiösen Diktator Zine el-Abidine Ben Ali gelitten, der im Jahr 2011 von seinem Volk aus dem Amt gejagt wurde. Damals trug Mohamed H. noch einen Bart, erinnert sich seine Frau. Einmal erzählte er ihr, dass er in Tunesien in einer Moschee übernachtet habe. Da sei die Polizei gekommen und habe ihn fast eingesperrt. Weil er Angst vor weiterer Verfolgung hatte, ließ er sich den Bart abrasieren. "Weißt eh", sagte er später zu Margarita Z., "in Europa ist das alles offener." Mit dem Beginn des Arabischen Frühlings schöpfte Mohamed H. Hoffnung für sein Land. Doch die währte nur kurz. Er kritisierte die Korruption, die Einmischung des Westens, den Rückschritt zum Polizeistaat. Zuletzt war er im Februar dieses Jahres in Tunesien. Da war seine Mutter gestorben.

In Österreich wurde Mohamed H. immer wieder angefeindet. Einmal war die Familie wieder ein Wochenende am Land. Kurz vor der Abreise sperrte sie aus Versehen die Katze im Schlafzimmer ein. Stunden später rief die Polizei bei Margarita Z. an: "Jetzt mussten wir schon wieder eine Katze retten?", sagte der Beamte. Margarita Z. war überrascht. "Warum schon wieder? Und was ist eigentlich passiert?" Das Tier war am Vorhang hochgeklettert und hatte versucht, durch das gekippte Fenster zu kommen. Dabei war es stecken geblieben. Die Nachbarn alarmierten die Feuerwehr. Margarita Z. erzählt, dass ihr Mann danach wegen Tierquälerei angezeigt wurde und eine Strafe von 2.500 Euro bezahlen sollte. Warum er die Anzeige bekam und nicht sie als Hausbesitzerin, beantwortete ihr niemand.

Das ist das Einzige, was sich Margarita Z. jetzt vorstellen kann: Vielleicht wollte ihr Mann das alte Ehepaar bitten, ihm zu helfen. Denn dessen Sohn ist Leiter der Naturschutzabteilung des Landes Oberösterreich. Vielleicht. Wissen kann sie das alles nicht. "Er war stur. Er hat sich immer als Außenseiter gefühlt und nie darauf gehört, was ich ihm sage. Er hat mich als naiv bezeichnet, wenn ich versucht habe, ihm zu helfen."

Der Tag vor der Tat

Genau so war es am Tag vor der Tat. Da wurden die Fenster in den Etagen über dem Bioladen repariert. Den Arbeitern fielen Plastikreste und Mist herunter. Direkt in die Gemüsekisten. Als Mohamed H. das sah, wurde er wütend. Margarita Z. erzählt, dass ihr Mann sicher war, dass die Arbeiter den Müll mit Absicht runterwarfen. Er regte sich so sehr darüber auf, dass er sogar die Polizei alarmierte. Die bestätigt den Anruf. Stunden später, als sich ihr Mann wieder beruhigt hatte, bat sie ihn, die Tageseinnahmen mit dem Fahrrad zur Bank zu bringen. Als er wieder zurückkam, war er bleich. Er erzählte ganz aufgebracht, dass ihn fast ein Fahrzeug der Samariter zusammengefahren hatte. Der Fahrer habe ihn aber nur ausgelacht. Mohamed H. war so wütend, dass er bei der Hilfsorganisation anrief und nach dem Verantwortlichen fragte, sagt Margarita Z. Ob das stimmt, lässt sich schwer nachprüfen. Der Samariterbund hat kein Telefonprotokoll davon gefunden. Es könne aber sein, dass er auf der Büroleitung angerufen habe. Die werde nicht aufgezeichnet, sagt ein Sprecher.

Das Weinfest

Als die zwei Kriminalbeamten am vorvergangenen Freitagmorgen den kleinen Bioladen von Margarita Z. betraten, schlossen sie die Tür hinter sich. Sie stellten sich vor, zeigten ihre Ausweise und fragten die Geschäftsfrau, ob sie wisse, wo ihr Mann sei. Margarita Z. war sich nicht sicher. Sie glaubte, dass ihr Mann in der Stadt war. An diesem Tag feierten die Anwohner der Siedlung ein Weinfest. Margarita Z. wusste, dass ihr Mann derartige Feste scheute. Er trank keinen Alkohol und wollte auch nicht auf ein Glas eingeladen werden. Damit er nicht Nein sagen musste, dachte sich Margarita Z., sei er in die Stadt gefahren. Sie war sich sicher, dass er am Nachmittag zurück sein würde. Sie könne aber jederzeit ihren Mann anrufen, wenn die Polizisten das wünschen würden. Doch der Beamte antwortete: "Er ist bei uns."

In diesem Moment brach die Welt von Margarita Z. zusammen. Immer schneller drehten sich ihre Gedanken. Es musste etwas Schlimmes passiert sein, das fühlte sie. Zuerst dachte sie daran, dass ihr Mann vielleicht Suizid begangen haben könnte. So wie sein Bruder vor Jahren. Aber nein, sie verwarf den Einfall. Dann hätten die Polizisten nicht gesagt, dass er bei ihnen sei. Margarita Z. musste sich setzen. Die Beamten fragten die Frau nach dem Ehepaar, das häufig bei ihr eingekauft hatte. "Ja, natürlich kenne ich die", antwortete Margarita Z. "Das Ehepaar lebt nicht mehr", sagte der Polizist. Mohamed H. sei verdächtig, die beiden getötet zu haben. Das war's. Mehr erfuhr Margarita Z. in diesem Moment nicht. Die Beamten gingen, Margarita Z. saß wie angewurzelt auf dem Hocker hinter der Theke. Sie redete sich ein, dass es ein Missverständnis sein musste. Dass Mohamed nur zufällig am Tatort gewesen war. Und überhaupt, auch im Islam ist Töten eine große Sünde. Das musste ihr Mann doch wissen. Das konnte er doch nicht getan haben.

Doch der Albtraum ging weiter. Am Nachmittag holten sie die Beamten von Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung ab. Sie beschlagnahmten ihren Computer und befragten sie bis in die Abendstunden. Seitdem erfährt Margarita Z. kaum etwas über die Ermittlungen oder die Aussagen ihres Mannes. Dass er mit dem Islamischen Staat sympathisiert, erfuhr Margarita Z. aus der Zeitung. Sie kann das nicht glauben. Ja, er ist ein labiler Mensch. Ja, er ist schnell verärgert. Das alles weiß sie. Wenn sie jetzt so drüber nachdenkt, dann fällt ihr auch ein, dass er sich etwas verändert hatte. Dass ihr sieben Jahre jüngerer Mann ihren Traum irgendwann nicht mehr teilte, einmal den Bioladen zu übernehmen, wenn sie in Pension geht. Ja, wenn sie jetzt darüber nachdenkt, vielleicht hätte sie hellhörig werden müssen.

Der Doppelmord

An diesem Freitagmorgen war um 9.44 Uhr bei der Feuerwehr in Linz ein Notruf eingegangen. Der Nachbar eines Einfamilienhauses hatte einen Knall gehört und vermutet, dass es im Nebenhaus zu einer Verpuffung gekommen war. Als die Einsatzkräfte anrückten und die Türe öffneten, brannte es in der Küche. Kurz darauf fanden sie die Leichen der zwei Hausbewohner. Hildegard S., 85, wurde mit einem Spanngurt erdrosselt, ihr Mann Siegfried, 87, starb durch Schläge mit einem Stock, in dem zusätzlich noch Schrauben montiert waren. Das ergab die gerichtsmedizinische Untersuchung. Kurz nach der Tat stellte sich Mohamed H. und gestand.

Auf dem beschlagnahmten Computer, der sonst immer zwischen Kassa und Honiggläsern auf dem Verkaufstresen stand, fand die Polizei tatsächlich Hinweise, dass Mohamed H. dem IS die Treue schwor. Er hatte das in einem Facebook-Posting auf Arabisch geschrieben. Margarita Z. kann kein Arabisch.