Die "Hetze gegen Reiche"

von Gerfried Sperl © Bild: News

Ein Bundeskanzler Sebastian Kurz hat auf Vorwürfe, er wende sich nicht genug gegen Antisemitismus auf der extremen Rechten, geantwortet, dass es auf der Linken eine "Hetze gegen Reiche" gebe. Beides sei jenseits einer "roten Linie". Indirekt setzte er damit Juden und Reiche gleich. Gewollt oder ungewollt? Auf jeden Fall problematisch, denn "Reiche" sind weder ein ethnisch noch religiös verortetes Volk -außer, man versteht Kapitalismus als Religion.

Das Marketing-und Werbetalent Kurz drückt sich auch in dieser Frage mit Überschriften aus, die über die Medien gut kommen und im beschleunigten Diskurs polarisieren. Die Reaktionen in den sozialen Medien sind daher ähnlich oberflächlich. Genauer betrachtet, ist der Vergleich des VP-Chefs erneut ein Hinweis auf den Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Kurz sagt bei jeder möglichen Gelegenheit, er sei ein Christ. Die zitierte Gegenüberstellung atmet nicht diesen Geist.

Wäre er tatsächlich ein Verfechter des Christentums, müsste der Kanzler differenzieren. Er sollte sagen, dass man ohne Zweifel reich sein darf, man seinen Reichtum aber im Blick auf Armut teilen müsste. "Geld muss dienen, nicht regieren", sagt Papst Franziskus im Apostolischen Schreiben "Evangelii gaudium". Wegen des Satzes "Diese Wirtschaft tötet" wurde dem Papst vorgeworfen, er sei ein verkappter Marxist.

Der deutsche Kardinal Reinhard Marx hat den Papst verteidigt: "Die Kirche verachtet die Reichen nicht, aber die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen müssen sich an den Ärmeren orientieren." Betreibt also auch die katholische Kirche eine Hetze gegen Reichtum und Kapitalismus? Der Unterschied zwischen den Positionen der christlichen Soziallehre und dem Gros der Äußerungen auf Facebook und Co. ist nicht riesig.

Die Kirche und ihre Bischöfe müssen nicht zu jeder politischen Frage Stellung beziehen. Aber die Schere zwischen Arm und Reich wäre etwas, das einer klärenden Argumentation bedürfte. Aber da schweigen Bischofskonferenz und Kardinal Christoph Schönborn. In einem kürzlich publizierten Interview mit "Die Zeit" hat er auf die Frage nach der "Schulung des Gewissens" nicht mit dem orthodoxen Hinweis auf das Lehramt geantwortet, sondern auf die "Erfahrung der Heiligen" hingewiesen.

Eine brisante Akzentverschiebung. Denn Heilige sind in ihrem realen Leben selten durch Schweigsamkeit aufgefallen. Als Beispiel kann der Hl. Franz von Assisi gelten, der Namensgeber des Papstes. Man muss nicht gleich zum Vorwurf der Feigheit greifen, aber die Bischöfe kommen, was ihre öffentlichen Äußerungen angeht, bei Weitem nicht an Heilige heran. Auch nicht an den gegenwärtigen Papst.

Wären sie mutiger, würden auch viele Politiker, allen voran Sebastian Kurz, vorsichtiger sein bei Benutzung des Wortes "christlich".

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