Großes Welttheater vom Ende der Zeiten

Die erste Premiere der Salzburger Festspiele: "Herzogs Blaubarts Burg" von Béla Bartók und "De temporum fine comoedia" von Carl Orff

von Herzog Blaubarts Burg bei den Salzburger Festspielen © Bild: MONIKA RITTERSHAUS, Salzburger Festspiele

Die eine Geschichte erzählt von Judith, die nichts will als ihr Ende, die andere von der gesamten Menschheit, die das Jüngste Gericht fürchtet. Die Rede ist von Béla Bartóks einaktiger Oper „Herzog Blaubarts Burg“ und von Carl Orffs Mysterien-Oper „De temporum fine comoedia“ („Das Spiel vom Ende der Zeiten“), das 1973 von Herbert von Karajan in Salzburg uraufgeführt wurde. Eine ungewöhnliche Kombination, ersonnen von Markus Hinterhäuser, dem Intendanten der Salzburger Festspiele. Liest man nur die Titel, fragt man sich zurecht, was Bartóks Oper mit dem Orff’schen Werk zu tun hat. Der italienische Regisseur Romeo Castellucci gibt die Antwort. Schlüssig, mit einem Kunstgriff und mit überwältigenden Bildern.

Herzog Blaubarts Burg bei den Salzburger Festspielen
© Monika Rittershaus, Salzburger Festspiele

Die Burg wird bei ihm zum dunklen Raum. Er nimmt den Bartók’schen Prolog (grandios rezitiert von Christian Rainer) wörtlich. „Sind wir drinnen oder draußen?“, heißt es da. Die Burg wird zum geistigen Zustand, zu einer Art Seelenraum. Dunkel ist es dort, kalt und nass. Säulen aus echtem Feuer ragen aus dem Bühnenboden, der ist komplett mit echtem Wasser überflutet.

Zu Beginn hört man den herzzerreißenden Schrei eines Säuglings. Den Entsetzensschrei einer Frau. Hat sie sich am Tod ihres Kindes schuldig gemacht? Die Frage bleibt offen. Klar ist, sie will ihrem Leben entfliehen und sucht Bestrafung oder Erlösung bei einem Unhold, einem Frauen-Mörder. Herzog Blaubart hat alle seine Frauen umgebracht. Castellucci zeigt eine quälende Paarbeziehung, die er zu einer allgemeingültigen Menschheitstragödie erhöht. Irgendwann formieren sich die Feuer-Symbole zu dem Wort „ICH“. Es geht um den Kampf des Dunklen in uns.

Herzog Blaubarts Burg bei den Salzburger Festspielen
© Monika Rittershaus, Salzburger Festspiele

Die Sopranistin Ausrine Stundyte und der Bass Mika Kares tragen dieses Spiel mit großer Darstellungskunst. Stundyte singt ihre Partie famos, intensiv, gibt sich mit Verve dem Wahn hin. Mika Kares ist ein imposanter Blaubart. Das erste Ereignis dieses Opernabends kommt aus dem Graben. Teodor Currentzis führt das ausgezeichnete Gustav Mahler Jugendorchester mit einer Brillanz durch diese Partitur, die ihresgleichen erst finden muss. So feinsinnig hat die Rezensentin dieses Werk noch nie gehört. Ein Kammerstück, da stimmt alles. Jede Passage erklingt mit Sinn. Fulminant. Dann das musikalische Kontrastprogramm von Carl Orff.

Der Bühnenboden erinnert an jenen einer großen Kathedrale. Ein Chor von Frauen tritt auf, die Sybillen verkünden das Jüngste Gericht, den Bösen, den Raffgierigen, den Ungläubigen droht ewige Verdammnis. Ein Männerchor, die Anachoreten, widerlegen das mit wilden Rhythmen als Ammenmärchen. Am Ende wird bei Orff sogar Lucifer vergeben, der seine Sünden bekennt. Orff setzt damit die Theorie des frühchristlichen Theologen Origenes um.

De temporum fine comoedia 2022
© Monika Rittershaus, Salzburger Festspiele

Castellucci hat für dieses Mysterienspiel Bilder geschaffen, die man nie vergessen wird. Bühne und Partitur sind stets im Einklang. Er lässt das Bangen der armen Seelen spüren. Das Personal auf der Bühne formiert sich zu Gemälden, christliche Darstellungen von der Hölle, vom Fegefeuer erwachen da zum Leben. Etwa, wenn sich die Toten als helle, lehmartige Gestalten aus dem Boden erheben. Immer mehr werden sie, wanken, schwanken, klagen, zagen wie die Musik. Castellucci zitiert große Kunstwerke, etwa „Die Erschießung“ von Goya, wenn sich ein Mann im halb geöffneten Hemd erhebt und die Choristen und Tänzer mit Gewehren auf ihn zielen, die sie auf wunderbare Weise plötzlich in Händen halten. Oder Lucifer: er tritt auf wie eine Gestalt von Oskar Kokoschka, eine gequälte Seele, die um Vergebung fleht.

De temporum fine comoedia 2022
© MONIKA RITTERSHAUS, Salzburger Festspiele

Den Bogen zu „Blaubart“ schlägt dieser meisterhafte Regisseur gleich zu Beginn, wenn er Judith von den Sibyllen steinigen lässt. Am Ende wird sie mit Blaubart vor dem erlösten Lucifer niederknien und ihm einen Apfel vor die Füße legen. Beginnt das Spiel der Verführung wieder? Eine zarte rote Linie leuchtet auf und zieht sich zurück. Ende. Currentzis und das Gustav Mahler Jugendorchester setzen die Orff’sche Überwältigungsmusik exzellent um. Grandios, der MusicAeterna Chor. Großes Welttheater.