Herr Boote, sind
wir noch zu retten?

In seinem neuen Dokumentarfilm "The Green Lie" zeigt der Wiener Filmemacher Werner Boote Verbrechen an Menschenrechten und der Umwelt - und wie Konzerne damit Geld verdienen. Viel Geld

von Film - Herr Boote, sind
wir noch zu retten? © Bild: News/Michael Mazohl

Todesstille und schwarze Asche, so weit das Auge reicht. Kein Vogelgezwitscher, kein Blätterrauschen, nicht eine einzige Gelse. Werner Boote stapft unbeholfen über verbrannte Holzstümpfe auf der indonesischen Insel Sumatra, die der Brand vom Regenwald übrig ließ - eine Schlüsselszene in "The Green Lie". In Teilen Sumatras haben die Menschen für Wochen keine Sonne gesehen. Der Rauch zog 2015 mehr als 1.000 Kilometer über Singapur bis in das südliche Thailand, wo Schulen schließen, Sportplätze gesperrt werden mussten. "Die Unternehmen haben vom Staat Lizenzen für den Palmölanbau bekommen. Aber dazu müssten sie den Urwald roden, und Rodungen sind sehr teuer, Feuer zu legen, nicht", erklärt Werner Boote in Wien, während er sein Fahrrad die Mariahilfer Straße entlangschiebt.

"The Green Lie" ist nach "Plastic Planet","Population Boom" und "Alles unter Kontrolle" der vierte Dokumentarfilm, mit dem Werner Boote in unsere Komfortzonen eindringt. Aber auch in seine eigene: Seit "Plastic Planet" lebt er nahezu plastikfrei, seit "Alles außer Kontrolle" - in dem er sich dem Überwachungspotenzial unseres digitalen Lifestyles widmet -hat Boote weder Bankomat-noch Kreditkarte. "Versuche einmal, in den USA ein Mietauto ohne Kreditkarte zu bekommen. Das war ein Theater", sagt Boote. Heute kann er darüber lachen.

Industrie im Palmölrausch

Aber was genau ist die grüne Lüge Sumatras? Palmölproduzenten haben in Kooperation mit dem WWF einen "Round Table" gebildet, der die nachhaltige Produktion von Palmöl zertifiziert. "Was für diesen Round Table allerdings kein Kriterium ist: die Waldbrände, die gelegt werden - von Subunternehmern oder Kleinbauern, die unter Druck gesetzt werden", erklärt Boote. Nahezu jedes zweite Produkt im Supermarkt enthält Palmöl, nicht nur Nahrungsmittel, auch Waschmittel, Seifen und andere Kosmetikprodukte bis hin zu Biosprit sind betroffen. Warum eigentlich? "Weil es billiger ist als die Alternativen dazu, ganz einfach", sagt Boote, "die Nachfrage nach Palmöl ist gewaltig, es geht um viel, viel Geld."

Vor einem Süßwarengeschäft bleibt Boote kurz stehen und starrt in die Auslage. Schokokugeln, Schnitten, alle bekannten österreichischen Schokoladespezialitäten sind vertreten. Es wirkt, als wäre Boote für einen Moment zurückgekehrt in den abgebrannten Urwald, als hätte er die Stimme von Palmöl-Aktivist Feri Irawan im Ohr, der sagt: "Das ist mit dem Blut der Indonesier gemacht." Auch die Wiener Traditionsmarke Manner, im Schaufenster stark vertreten, setzt auf Palmöl. Seit 2009 ist es in den Manner-Schnitten enthalten und hat Transfette ersetzt. "Auf Palmöl in der Herstellung von Süßwaren können wir nicht verzichten", schreibt die Manner AG auf ihrer Website und führt weiter aus: "Für uns ist es erstrebenswert, Palmöl einzusetzen, das über einen Zertifizierungsprozess auf seine Nachhaltigkeit hin überprüft wurde, um negative soziale und ökologische Effekte zu vermeiden."

Nachhaltigkeit Fehlanzeige

Für Bootes Filmpartnerin, Greenwashing- Expertin Kathrin Hartmann, ist das grundsätzlich unmöglich. "Es gibt kein nachhaltiges Palmöl - weil es nur dort wächst, wo vorher Regenwald war", so ihre Position im Film. Karin Steinhart, Unternehmenssprecherin von Manner, nimmt dazu Stellung: "Hätten wir eine Lösung ohne Palmöl, hätten wir es schon gemacht. Palmöl hat technische und sensorische Eigenschaften, die viele andere Öle nicht besitzen. Es ist für die ganze Industrie schwierig." Bis 2009 wurden statt Palmöl Transfette verwendet - bis die Industrie auf Kritik von Konsumentinnen und Konsumenten reagiert hat. "Transfette wurden zu einem No-Go", sagt Steinhart, und sie gibt zu bedenken: "Nur ein kleiner Teil des Palmöls wird für Nahrungsmittel eingesetzt." Laut Faktencheck der Wirtschaftskammer Österreich sind es weltweit vier Prozent.

Ende der Märchenstunde

Die Journalistin und Autorin Kathrin Hartmann betreibt den Blog ende-der-maerchenstunde.de, in ihrem gleichnamigen Buch (2009) zeigt sie, wie Unternehmen mit Marketing und Werbung gesunden und nachhaltigen Lebensstil für ihre Zwecke instrumentalisieren. Boote und Hartmann lernten sich 2011 in der Diskussionssendung "Club 2" kennen - gemeinsam erarbeiteten sie den Drehplan zum Film. Hartmanns neues Buch "Die grüne Lüge" erscheint parallel zum Filmstart.

Hartmann mimt im Dokumentarfilm Bootes Spielverderberin. "Ich wollte eine Filmpartnerin, der ich vor Ort meine Gedanken und Sorgen um die Ohren schleudern kann. Das muss jemand sein, der sich die diesem Metier voll auskennt", sagt Boote. Sie ist die Spaßbremse, die ihm den Fahrspaß im hochmotorisierten Elektroauto nimmt. Hartmann wird zu Bootes personifiziertem schlechtem Gewissen. Während er am Strand von Louisiana sitzt und Zeitung liest, sammelt sie hochgiftige Teerbrocken ein. Im Jahr 2010 ereignete sich vor der Küste die Katastrophe der Ölbohrplattform Deepwater Horizon. BP behauptet, alles Öl entfernt zu haben - ein Meeresbiologe vor Ort zeigt Indizien für das Gegenteil. BP, das ist das Mineralölunternehmen mit dem grünen Logo in Form einer stilisierten Sonne.

»Wenn es wirklich ernst wird, reißen wir uns am Riemen«
© News/Michael Mazohl

Ein Auto benutzt Boote in seiner Heimatstadt Wien so gut wie nie, auch kein elektrisches. "Ich erledige so gut wie alle Wege mit diesem Fahrrad. Und wenn ich abschalten will, fahre ich darauf mitten in der Nacht stundenlang durch die Dunkelheit, wie ein Verrückter." Auf das Flugzeug konnten Boote und sein zumindest vierköpfiges Drehteam für den Film nicht verzichten. "Und dann kontaktiert mich einer für ein namhaftes Unternehmen, der mir anbietet, den Film als CO2-neutral zu zertifizieren. 'Zahlen Sie mir 3.000 Euro, und Sie können unser Siegel verwenden', sagt der zu mir." Boote schüttelt den Kopf. Für einen Film über grüne Lügen hat das Angebot zumindest Unterhaltungswert.

Arschloch-Kaffee

"Mein ursprünglicher Plan war, den Film auf der Mariahilfer Straße beginnen zu lassen", erzählt Boote mitten auf dieser. "Aber die grünen Lügen gehen tiefer, es geht um das ganze System. Es geht darum, dass wir überhaupt die Wahl haben zwischen Produkten, die fair produziert werden, im Einklang mit der Umwelt - und solchen, die das nicht sind. Warum müssen wir diese Wahl treffen?" Im Dokumentarfilm ist es der britisch-amerikanische Aktivist Raj Patel in Austin, Texas, der anhand des Beispiels Kaffee ausführt: "Was ist die Alternative zu fairem, nachhaltigem Kaffee? Bastard-Coffee!" oder, wie es Boote übersetzt: "Arschloch-Kaffee".

Dass die grünen Lügen so gut funktionieren, dafür hat Boote eine selbstkritische Erklärung: "Wir glauben die grünen Lügen gerne. Weil sie einfach sind. Weil wir die Augen zumachen und es angenehm ist, wenn man uns sagt: 'Kauf das, dann rettest du die Welt.'"

Nahe einer Filiale der Bäckereikette Ströck auf der Mariahilfer Straße sperrt Boote sein Fahrrad ab. Eine Recherche ergibt: Gerade bei Ströck haben kritische Konsumentinnen und Konsumenten bewiesen, dass sie doch genügend Druck ausüben können, um Hersteller zu einem Umdenken zu bewegen. "In den Bioprodukten verzichten wir seit mittlerweile vier Jahren vollständig auf Palmöl", erklärt Philipp Ströck, Bäckermeister und im Familienunternehmen mit 76 Filialen für die Produktentwicklung und den Rohstoffeinkauf verantwortlich. "Wir haben auf Kundenanfragen reagiert. In der konventionellen Schiene haben wir Schritt für Schritt Palmöl reduziert -bis auf dort, wo wir keine sinnvollen Alternativen sehen, etwa bei Margarine für veganes Plundergebäck." Ersetzt wurde das Palmöl durch Raps-und Sonnenblumenöl.

Die Hoffnung lebt

In Summe zeichnet "The Green Lie" (ab dem 9. März im Kino) ein düsteres Bild unserer Gesellschaft. Das Bild einer Gesellschaft, die sich und ihre Welt für den Profit von Konzernen selbst zerstört: Berggipfel werden für den Kohleabbau gesprengt, Wälder und Regenwälder für Monokulturen oder Viehherden brandgerodet, die Ozeane und die Atmosphäre vergiftet -die Menschen der betroffenen Regionen ausgebeutet. Gleichzeitig tragen diese Unternehmen grüne Logos, schmücken sich mit Siegeln für Nachhaltigkeit und propagieren in Werbespots eine heile Welt. Dabei steuern sie diese Welt mit voller Kraft voraus - wider besseres Wissens - auf den Untergang zu.

Da drängt sich die Frage auf: Herr Boote, sind wir überhaupt noch zu retten? "Kurzfristig bin ich ein Pessimist. Aber mittelfristig gesehen eben doch ein Optimist. Und denke mir: Na ja, wenn es wirklich ernst wird, wenn wir endlich checken, was da abgeht, dann reißen wir uns am Riemen." Aber wie ernst muss es eigentlich noch werden?

Am Anfang war der Film

Für Werner Boote ist sein Film vor allem ein Anfang. "'Plastic Planet' war 2009 - das ist schon ziemlich lange her, und jetzt macht die Welt langsam scharf gegen Plastik", gibt er zu bedenken. Gerade erst Anfang Februar entschied das schwedische Parlament in einem Alleingang in der EU ein Verbot von Mikroplastik in Zahnpasta, Duschgels und anderen Kosmetikprodukten.

Was kann man tun, um sich gegen die grünen Lügen zur Wehr zu setzen? Der renommierte MIT-Professor und scharfe Kritiker der US-Politik Noam Chomsky schlägt Boote ein gänzlich neues Wirtschaftssystem vor: vereinfacht ausgedrückt, ein System, in dem ein Unternehmen seinen Beschäftigten gehört. Interessen eines Kapitalmarkts oder anderer Eigentümerstrukturen würden nicht bestehen, in den Fokus des Wirtschaftens könnten andere Aspekte als Quartalsgewinne rücken. Und außerdem, so Chomsky: "Follow the proposals, reject the propaganda." Es gäbe gute Ansätze und Vorschläge, auch von Konzernen, aber ihrer Propaganda dürfe kein Glauben geschenkt werden.

Was es dazu braucht, um ein System zu ändern? Auch dazu hat Chomsky eine Antwort: Menschen, die sich informieren, die sich organisieren, die für ihre Überzeugungen einstehen und dafür unter anderem auf die Straße gehen. Eine Straße wie die Mariahilfer Straße oder die Ringstraße in Wien, auf der man den Dokumentarfilmer am Ende des Films in einem Demonstrationszug sieht. Sich zu engagieren, die eigene Komfortzone zu verlassen, das ist Bootes dringender Appell. "Jemand sollte einen Film darüber machen", ergänzt Noam Chomsky gegen Ende des Films schmunzelnd.

Herr Boote erzählt, wie der Film entstanden ist

Dokumentarfilmer Werner Boote über unsere Konsumgesellschaft, die grünen Lügen der Konzerne und wie wir uns dagegen wehren können.

© Video: News.at

"The Green Lie" feierte Weltpremiere auf der Berlinale, im Wettbewerb um den Dokumentarfilmpreis. In den Kinos in Österreich ab 9. März, Start in Deutschland zwei Wochen später

Dieser Artikel ist im News Nr. 7/2018 erschienen.