Herbstliches Schauspiel
in fünf Akten

Die Herbstlohnrunde gilt als Meilenstein für alle Kollektivverträge. Die Gespräche finden hinter verschlossenen Türen statt. Ein Blick durch das Schlüsselloch

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Herbstlohnrunde - Herbstliches Schauspiel
in fünf Akten

Es ist jedes Jahr das Gleiche. Immer dann, wenn die Tage kürzer und kühler werden, viele den Schulbeginn ihrer Kinder bewältigt und sich selbst in ihren Arbeitsalltag eingelebt haben, ereilt uns die Nachricht des Starts der Herbstlohnrunde. Nicht sehr überraschend, immerhin beginnt der Gesprächsreigen der Metaller jedes Jahr in der vorletzten Septemberwoche und folgt - so scheint es zumindest -einem strikt vorgegebenen Ablaufplan.

Dass diese Verhandlungen der Sozialpartner nicht immer friktionsfrei ablaufen können, liegt auf der Hand. Immerhin stehen sich die Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern diametral im Weg. Natürlich arbeiten Unternehmer und Beschäftigte einer Firma gemeinsam an einem (oder mehreren) Produkten und wollen ein gemeinsames Ziel (Unternehmenserfolg und Arbeitsplatzsicherung) erreichen. Doch beim Thema Geld hört sich jede Freundschaft auf.

Aber genau darum geht es in den Kollektivvertragsverhandlungen. Während die Arbeitnehmervertreter auf eine jährliche Erhöhung der Löhne und Gehälter pochen, die möglichst über der Inflationsrate (diesen August 2,1 Prozent, Anm.) sollen, verweisen die Arbeitgebervertreter üblicherweise auf die unsichere internationale Wirtschaftslage. Eine Pattsituation, die wie durch ein Wunder irgendwann doch in einem guten Ergebnis für beide Verhandlungsparteien gipfelt. Doch bis es so weit ist, sieht der interessierte Betrachter Jahr für Jahr ein Schauspiel in fünf Akten.

Erster Akt. Es ist Mittwoch, der 20. September, halb zwei Uhr nachmittags. Im Rudolf-Sallinger-Saal der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) in der Wiener Wiedner Hauptstraße schütteln sich die Chefverhandler -Johannes Collini vom Oberflächentechnikproduzenten Collini für die Arbeitgeber und der Vorsitzende der Metallergewerkschaft ProGe, Rainer Wimmer, als Arbeitnehmervertreter -die Hände. Immerhin soll der Auftakt der Verhandlungen nicht schon mit Unstimmigkeiten beginnen. "Die persönliche Ebene ist sehr wichtig", bestätigt Gewerkschaftsboss Rainer Wimmer. Auch der Obmann der metalltechnischen Industrie (FMTI), Christian Knill -selbst nicht Teil des Verhandlungsteams -betont, dass man ja nicht das erste Mal zusammenkomme: "Wir kennen uns ja jetzt auch schon besser als früher."

90 Verhandler

Zur Sicherheit hatten sich Collini und Wimmer aber schon am Tag zuvor über das Procedere des ersten Zusammentreffens abgestimmt. Immerhin gab es zu klären, wer die Begrüßung macht (der Gastgeber WKÖ) und wer die Zahlen präsentiert, mit denen in den darauffolgenden Wochen gearbeitet wird (Wifo-Experte Marcus Scheiblecker). Es folgt die Übergabe des Forderungskatalogs der Gewerkschaft (siehe links). Zu diesem Zeitpunkt sind im WKÖ-Saal 90 Menschen: Gewerkschaftsfunktionäre, Betriebsräte sowie Jugendund Frauensekretäre sitzen Unternehmern, WKÖ-Funktionären und Angestellten der Wirtschaftskammer gegenüber.

Zweiter Akt. Schon wenige Stunden danach, am späten Nachmittag, folgt das erste Lohngespräch in weitaus kleinerer Runde. Verhandelt wird mit sieben Fachverbänden in sechs Tranchen. Es startet die metalltechnische Industrie (FMTI), erweitert um die Gießerei. "Üblicherweise verhandelt die FMTI so lange, bis ein Ergebnis feststeht. Erst dann beginnen die anderen Fachverbände ihre Gespräche", erzählt ein WKÖ-Funktionär. Da passt gut ins Bild, dass die Lohnabschlüsse der sieben Fachverbände bislang immer ident waren. Abweichungen gibt es nur bei zusätzlichen Forderungen wie der Freizeitoption. Wimmer kritisiert die Vorgehensweise: "Alle gemeinsam zu verhandeln, würde uns viel Zeit ersparen." Eine Einigung in dieser ersten Runde ist kaum zu erwarten, sagt auch Knill: "Es ist aber unser Ziel, die Gespräche so schnell wie möglich abzuschließen."

Mobilisierungsalarm

Dritter Akt. Dem gegenüber steht die Wahl des Zeitpunktes der nächsten Verhandlungsrunde. Diese soll nämlich erst am 9. Oktober stattfinden. Politikinsider glauben, dass dieses Timing vor allem mit dem laufenden Wahlkampf zu tun hat. Nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre geht aber so oder so niemand davon aus, dass zu diesem Datum ein annehmbarer Vorschlag auf dem Tisch liegt. "Ganz im Gegenteil", sagt ein Verhandler, "üblicherweise unterbricht zu diesem Zeitpunkt -spätestens in der nächsten Runde -eine der beiden Parteien das Gespräch." Die Folge: gegenseitige Beschuldigungen und Mobilisieren der jeweiligen Anhängerschaft. So ruft die Gewerkschaft Betriebsversammlungen in den Unternehmen sowie überregionale Betriebsrätekonferenzen ein.

Vierter Akt. Nach einer Wiederaufnahme der Verhandlungen sind diese meist schnell wieder zu Ende. Diesmal wird sogar mit einem vollkommenen Abbruch der Gespräche gedroht, so ein Branchenkenner. "Das ist der Moment, an dem die Gewerkschaft Demonstrationen vor den Unternehmen der Verhandler veranstaltet und das Wort ,Streik' in den Mund nimmt", sagt eine andere Unternehmerin.

Fünfter Akt. Die Sozialpartner finden sich wieder in der Wirtschaftskammer ein. Nicht selten haben sich vorab die Präsidenten Christoph Leitl (WKÖ) und Erich Foglar (ÖGB) mahnend in die Gespräche eingeschaltet. Immerhin hat das Ergebnis der Metallerverhandlungen Auswirkungen auf alle anderen 800 Kollektivverträge und prägt das Image einer bereits jahrzehntelang konsensual agierenden Sozialpartnerschaft. Es gibt also viel zu verlieren.

Kaffee und Paprikahendl

Während in den Nebensälen die Berater mit ihren Unterlagen warten, wird in Kleingruppen nochmals hart diskutiert. "Zu diesem Zeitpunkt kann auch einmal 16 Stunden durchverhandelt werden", sagt ein hoher Gewerkschaftsfunktionär. Die WKÖ sorgt dabei für die Verpflegung: Von Wurstbroten über Liptauer-Aufstrich, Salaten bis zum warmen Paprikahendl ist alles vorhanden. Oder sollte es sein. Denn sicherheitshalber nehmen sich die Arbeitnehmervertreter eine eigene Jause mit. Zuviel Vertrauen schadet dem Gesprächsklima offensichtlich auch.

Zu trinken gibt es nur Alkoholfreies, vornehmlich Kaffee und Tee. "Sollte es spät werden, wird auch Bier kredenzt, aber das rührt keiner an", beschreibt ein Verhandler die herrschende Disziplin.

Der Abschluss der Herbstlohnrunde kommt üblicherweise in den Morgenstunden im späten Oktober. Dann verkünden Arbeitgeber-und Arbeitnehmervertreter eine Zahl, mit der sie beide gleichermaßen glücklich scheinen. Heuer habe man sich vorausschauend darauf geeinigt, dass nach 22 Uhr nicht mehr verhandelt werde, sagt Knill. Wimmer widerspricht bereits jetzt: "Verhandlungen haben wenig mit der Uhrzeit zu tun. Man muss sich die Zeit nehmen, die man braucht."

Natürlich kann dieses Mal alles ganz anders laufen. Wahrscheinlich ist es nicht. So erwartet sich Gewerkschaftsboss Wimmer, aufgrund von "sensationeller Produktivität und Wirtschaftswachstum und vollen Auftragsbüchern, dass es heuer rauscht, dass heuer für die Arbeitnehmer wirklich etwas drinnen ist". Unternehmer Knill ist dagegen überzeugt, dass der Höhepunkt des Wirtschaftswachstums bereits erreicht ist: "Wichtig für uns ist, wie die Entwicklung weitergeht -und die zeigt nach unten." Konflikt- und Diskussionspotenzial gibt es also mehr als genug.

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