Heilprozess vor Gericht

Eine Ärztin verschrieb das Medikament Substitol. Kurz darauf starb der Patient. Sieben Jahre stritt die Mutter des Toten um Entschädigung - jetzt gewann sie.

von Chronik - Heilprozess vor Gericht © Bild: News/Ricardo Herrgott

Als ihr Sohn Michael starb, hatte sie nicht genug Geld, um einen Grabstein zu kaufen. Sie stellte ein einfaches Holzkreuz auf. Schmückte das Grab mit Blumen, Lichtern und Fotos. Alles provisorisch, seit sieben Jahren. So lange kämpft Zorica Knab dafür, dass die Stadt Wien ihrem Sohn einen Grabstein bezahlt. Am vorvergangenen Donnerstag gab ein Richtersenat der Mutter Recht. Michael bekommt den Grabstein.

Rückblick: Michael Knab, damals 21 Jahre alt und in Ausbildung zum Bürokaufmann, litt an Depressionen. Er führte Selbstgespräche, war aggressiv. Hin und wieder rauchte er Cannabis. Am 22. April 2010 stritt er sich so heftig mit seiner Schwester, dass er sich danach in die psychiatrische Abteilung eines Spitals einweisen ließ. Sein Blut und Harn wurden untersucht. Das Ergebnis: Michael war drogenfrei. Trotzdem tat die diensthabende Ärztin etwas, was für Zorica Knab bis heute unverständlich ist. Sie verabreichte Michael 400 Milligramm Substitol. Ein Drogenersatzmedikament für Heroinabhängige. "Wir hatten die Ärztin angefleht, ihm die Pillen nicht zu geben, aber sie meinte nur: 'Wer ist hier die Ärztin?'", erinnert sich Zorica Knab. Michael fiel kurz darauf ins Koma und starb wenige Tage später an einem Herzinfarkt. News berichtete.

Millionen für Arztfehler

Behandlungsfehler passieren immer wieder. Österreich gibt durchschnittlich 545 Millionen Euro dafür aus. Das geht aus einer Studie der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) hervor, die in diesem Jahr veröffentlicht wurde. Experten wie der ehemalige EU-Kommissar für Gesundheit und Konsumentenschutz John Dalli schätzen, dass jede zehnte Behandlung in einem Krankenhaus fehlerhaft ist.

Patienten, die einem Arzt einen Fehler vorwerfen, können sich an die Patientenanwaltschaft wenden, direkt zu einem Rechtsanwalt gehen oder mit den Schlichtungsstellen der Ärztekammer Kontakt aufnehmen. Wegen der vielen Anlaufstellen gibt es keine Gesamtzahl der Beschwerden. Aber bei der Patientenanwaltschaft allein haben sich im vergangenen Jahr 6.283 Menschen gemeldet. Jede fünfte Beschwerde führte zu einer Entschädigung durch Schadenersatz oder dem Patientenentschädigungsfonds.

Zorica Knab kämpfte vor Gericht. Sie erhob Klage gegen die Stadt Wien, den Rechtsträger des Spitals. Doch diese wies bis zum Schluss jede Schuld von sich. Michaels Herzinfarkt und das Subsitol hätten nichts miteinander zu tun. Deshalb mussten immer und immer wieder die quälenden Fragen in dem Verfahren gestellt werden: Hätte Michael im Spital Substitol bekommen dürfen? Waren 400 Milligramm zu viel? Hätte die Ärztin es besser wissen müssen? Ein Gutachten nach dem anderen wurde eingeholt, jedes kam zu einem anderen Ergebnis. Der Fall füllt Berge von Akten.

Atemlähmender Effekt

Heute schaut Zorica Knab müde aus, abgekämpft. "Die Leute haben mich für verrückt erklärt, dass ich mich so in den Prozess verbeiße. Viele Freunde haben sich zurückgezogen. Niemand konnte meinen Kampf nachvollziehen", sagt Knab. "Vielen wäre es lieber gewesen, wenn ich still getrauert hätte, als ständig laut und unbequem darauf hinzuweisen, dass mein Sohn an einem Arztfehler starb."

Am Ende beschäftigte der Fall das Oberlandesgericht Wien. Ein Obergutachten wurde eingeholt. Das Urteil: Die Behandlung von Michael Knab mit Substitol stelle einen ärztlichen Kunstfehler dar. Außerdem habe der Patient noch weitere Medikamente verschrieben bekommen, die gemeinsam mit dem Substitol den atemlähmenden Effekt verstärkt hätten.

"Durch diese Kunstfehler wurde die Wahrscheinlichkeit des Eintritts einer tödlichen Atemlähmung wesentlich erhöht", steht in dem Urteil des Gerichts.

Für Rechtsanwalt Johannes Öhlböck zeigt das Verfahren, dass die Hürden hoch sind, um für einen Ärztefehler entschädigt zu werden. "Der Arzthaftungsprozess ist ein Gutachterprozess. Gutachter können anderer Meinung sein und können bei gleichen Sachverhalten zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen", sagt Öhlböck. Für so einen Prozess brauche man deshalb Zeit und Geld oder eine Rechtsschutzversicherung. "Man muss privilegiert sein, um für sein Recht kämpfen zu können", sagt Johannes Öhlböck.

Wenn Zorica Knab an die Ärztin denkt, die ihren Sohn behandelt hat, packt sie die Wut. "Ich wollte immer nur wissen, warum das passiert ist", sagt sie. Ihre Stimme zittert: "Menschen machen Fehler. Aber dann sollen sie das auch zugeben." Das hätte Zorica Knab nach dem Tod ihres Sohnes zumindest einen langen Kampf erspart.