"Wir könnten in der
Politik viel mutiger sein"

Seit einem halben Jahr ist Birgit Hebein grüne Vizebürgermeisterin in Wien. Im Bund verhandelt sie mit der ÖVP über eine türkis-grüne Koalition. Der weite Weg von Kärnten in die Politik.

von Politik - "Wir könnten in der
Politik viel mutiger sein" © Bild: News/Herrgott

Wer, bitte? Das dachten sich wohl viele, als die Wiener Grünen vor einem Jahr ihre Entscheidung trafen, dass Birgit Hebein sie 2020 als Spitzenkandidatin in die Gemeinderatswahl führen wird. Als Sozialsprecherin ihrer Partei war sie nur der engeren Zielgruppe ein Begriff. In den vergangenen zwölf Monaten hat Hebein einen weiten Weg gemacht: von der Sachpolitikerin zur Wiener Vizebürgermeisterin und nun, bei den türkis-grünen Koalitionsgesprächen, zur Chefverhandlerin für den Bereich "Soziale Sicherheit, neue Gerechtigkeit und Armutsbekämpfung". Vom politischen Schatten ins Rampenlicht.

In Wien muss sie mit der SPÖ können, auf Bundesebene mit der ÖVP -beide Verhandlungspartner haben Hebein wohl ganz anders eingeschätzt, als sie nun auftritt. Der ehemaligen Caritas-Sozialarbeiterin und engagierten Kämpferin gegen Rechtsextremismus und für die Menschenrechte haftete der Ruf an, eine "schwierige" Gesprächspartnerin zu sein. Doch bald nach ihrer Wahl sah man sie -sinnigerweise zu "Love is in the air" - tanzend mit dem Wiener Bürgermeister Michael Ludwig. Und in der ÖVP, für die Hebein früher als linkes Feindbild herhalten musste, sind die Verhandler fast schon hingerissen von der guten Gesprächsbasis. "Die Hebein und der August Wöginger (Sozialsprecher und Klubobmann der ÖVP, Anm.) sind ja quasi fix zsamm", scherzt eine Verhandlerin beim "Punsch &Maroni"-Event von Sebastian Kurz - was Hebein amüsiert. "Das schreibst jetzt aber nicht mit", blödelt sie beim News-Gespräch mit ihrer Pressesprecherin. "Nein, ich twitter es gleich", gibt diese zurück.

Viele Facetten machen ein Bild

Auf die Frage, mit welcher Partei -der SPÖ oder der ÖVP -sie als Grüne denn leichter inhaltlich zusammenkomme, antwortet sie mit einem Blick auf ihre eigene Vergangenheit: "Ich habe in meinem Leben Unterschiedliches erfahren -dort, woher ich komm. Es macht mich auch aus, dass ich für meinen Großvater auf der Alm gekocht habe, weil der Almhirte war, dass ich einen Traktorführerschein habe oder auf einem Bergbauernhof gearbeitet habe. Genauso wie es mich ausmacht, dass ich Sozialarbeiterin war und mich für Menschlichkeit und Menschenrechte einsetze. Insofern fällt es mir auch leicht, mich auf einer menschlichen Ebene mit Herrn Wöginger zu treffen, oder mit Herrn Ludwig. Das darf man nie unterschätzen: Überall menschelt's."

Ihre Wurzeln sind Birgit Hebein wichtig. "Ich komme aus einem zweisprachigen Dorf, habe slowenische Wurzeln, aber ich singe nur auf Slowenisch und versteh den Dialekt, unterhalten kann ich mich nicht mehr in der Sprache", erzählte sie bei ihrem Amtsantritt. Der Vater war Maurer. Die Mutter, die selbst keine Lehre machen konnte, ermöglichte dem Mädchen den Besuch der Handelsakademie. Danach ging es nach Wien. "Eine Klosterschwester, meine Religionslehrerin, war es, die gesagt hat, überleg dir doch, ob du etwas Soziales machen willst. Sie hat mir geholfen, mich in der Sozialakademie in Wien zu bewerben."

Es folgte die Arbeit beim Bahnhofsozialdienst der Caritas, das Engagement bei der Friedensbewegung und im KZ-Verband, die Unterstützung für Wehrdienstverweigerer, der Kampf um die Freilassung inhaftierter Aktivisten beim G8-Gipfel in Genua. Und ab 2003 dann die Mitgliedschaft bei den Grünen. Zwei Jahre später ist Hebein Bezirksrätin, ab 2007 Klubobfrau der Grünen im Bezirk Rudolfsheim-Fünfhaus. Vor der nun stattfindenden Gentrifizierung gehörte der zu den ärmsten Gegenden Wiens. Armutsbekämpfung und soziale Gerechtigkeit lagen daher als politische Themen für Hebein auf der Hand. In diesem Feld blieb sie auch, als sie 2010 in den Wiener Gemeinderat wechselte. Als Sozialsprecherin der Grünen verhandelte sie die Wiener Mindestsicherung mit, deren Besonderheit es ist, dass hier Kinder besser gefördert werden als in den anderen Bundesländern.

Die Kunst des Kompromisses

Als harte Verhandlerin gilt Hebein seither. Wie also kommt man mit der ÖVP auf einen grünen Zweig? "Dass wir mit der ÖVP harte Brocken zu verhandeln haben, ist unbestritten. Da müsste ich lügen, wenn ich sage, das ist ein Lercherl. Es sind zwei sehr unterschiedliche Parteien, die da am Tisch sitzen. Und das ist ja die spannende Frage: Schafft man es in einer Demokratie, dass zwei so unterschiedliche Parteien das Gemeinsame finden?"

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ÖVP und Grüne haben sich dabei folgende Strategie zurechtgelegt: "Wir unterhalten uns nicht über das Trennende, denn das kennen wir eh -da brauch ich nicht lange zu reden -, sondern darüber, wo etwas Gemeinsames sein kann." Die politische Gerüchtebörse hält dennoch alles für möglich: von einer Einigung nächste Woche über einen Verhandlungsmarathon in den Jänner hinein bis hin zu einem Liebäugeln der ÖVP mit einer Alleinregierung.

Zu Hebeins Umgang mit politischen Partnern gehört auch, diesen nichts "ausrichten" zu wollen. Nicht einmal das offensichtlich Trennende mit der Wiener SPÖ will sie auflisten. Beim Hinweis auf Infrastrukturprojekte wie die dritte Piste des Flughafens Wien oder den Lobautunnel - beides Tabuthemen für die Grünen -sagt sie aber immerhin: "Da werden ich Ihnen jetzt nicht widersprechen. Unbestritten gibt es hier Unterschiede." Aber wieder nimmt Hebein die Kurve in ihr eigenes Feld: "Auch mein Aufgabenbereich ist ja widersprüchlich. Ich bin auf der einen Seite Planungsstadträtin, und meine Aufgabe ist es, genügend leistbaren Wohnraum zu schaffen. Auf der anderen Seite kämpfe ich für den Klimaschutz, wo man vor allem in Abkühlungsmaßnahmen, mehr Bäume und mehr Grünflächen investieren muss. Auch das kann manchmal ein Widerspruch sein. Aber es hat ja auch niemand gesagt, dass Politik etwas Einfaches ist."

Mehr Klimaschutz in Wien

Nicht einfacher wird die rot-grüne Zusammenarbeit nächstes Jahr werden, wenn im Gemeinderatswahlkampf Regierungspartner (noch mehr) zu Konkurrenten werden. Was nun ihre Handschrift der letzten Monate sei, seit sie von Maria Vassilakou übernommen hat? Die Antwort ist selbstbewusst: "Ich habe dazu beigetragen, dass das Thema Klimaschutz in Wien größeres Gewicht erhält. Sei es mit Maßnahmen wie den ,coolen Straßen' und den Begegnungszonen, sei es mit dem Radweg auf der linken Wienzeile, der meine erste Entscheidung im Amt war. Und ich habe bewirkt, dass Klimaschutz als soziale Frage gesehen wird. Ich bin zutiefst überzeugt, dass das nicht unabhängig voneinander denkbar ist, denn der Klimawandel trifft still und heimlich die Schwächsten, die sich kein Wochenendhaus leisten können."

Dass auch die SPÖ verstärkt mit dem Thema Klima werben wird, wo der Bürgermeister und Finanzstadtrat Peter Hanke deutlich Präsenz zeigen, quittiert Hebein mit: "Ich bin überzeugt, wenn man die Herzen der Bevölkerung erreicht, wenn man glaubwürdige Politik macht, dann wird das entscheiden. Noch haben wir einiges vor, und ich hoffe, wir setzen es gemeinsam um, bevor der Wahlkampf beginnt." Ohnedies sei das Thema Klimawandel so groß, dass es nicht nur eine Partei alleine auf die Reihe kriegen kann. "Wir werden hier jeden Bündnispartner brauchen. Studien sagen, dass Wien zu den am stärksten von der Klimakrise betroffenen Städten Europas gehört. Das ist ein Arbeitsauftrag. Ganz einfach."

Die Menschen sind weiter

Aus dem Hintergrund nach vorne - wie fühlt sich das an? "Meine erste Liebe war mein Zuhause in Kärnten. Da hat man sich gekannt und miteinander geredet. Jetzt kennt einen jeder Zweite in dieser Stadt, meiner zweiten großen Liebe -und die Dinge wiederholen sich, ich werde oft angesprochen, aber es ist nie unangenehm. Seit ich bei den Regierungsverhandlungen dabei bin, kann ich nicht mehr zum Bäcker gehen, ohne dass mich die Leute direkt ansprechen."

Die Erwartungen seien sehr hoch, erzählt Hebein. Aber auch die Bereitschaft der Menschen, selbst etwas gegen den Klimawandel zu tun. "Seit dem Sommer merke ich, dass die Leute das anders diskutieren: Sie wollen mehr Bäume in ihrer Gasse und Schatten, als wir die ,coolen Straßen' gemacht haben und über Nacht Parkplätze weg waren, gab es keine Aufregung. 92 Prozent der Anrainer haben gesagt, sie hätten das gerne weiterhin. Manchmal hab ich den Eindruck, die Bevölkerung ist viel weiter, als wir glauben. Wir könnten in der Politik viel mutiger sein." Noch vor wenigen Jahren löste jeder Radweg eine mittlere Krise aus.

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Heute heißt der Druck, unter dem Grüne stehen: Schaffen wir die Einigung mit der ÖVP?"Die Verantwortung, die wir tragen, ist mir sehr bewusst. Darum finde ich es immer wichtig, innezuhalten und mit Menschen außerhalb der Politik zu diskutieren. Man darf nicht vergessen: Politik macht oft eng im Kopf. Aber ich hab einen Riesenvorteil: Ich hab zwei Kinder und da ist der Alltag einfach der Alltag. Und das ist gut so."

Die Tage in der Spitzenpolitik sind lang. Es ist Dienstagabend und es stehen noch eine Podiumsdiskussion über Menschenrechte und die Vorbereitung auf die nächste Runde mit der ÖVP im Kalender. "Ist doch superspannend", sagt Hebein.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der Printausgabe von News (Nr. 50/2019) erschienen.