Ist der Frauentag heute noch zeitgemäß?

Seit letzten Sommer ist Eva-Maria Holzleitner Frauensprecherin der SPÖ. Im Interview spricht sie über persönliche "ärgerliche" Erfahrungen, die Untätigkeit der ÖVP-Frauenministerin und die Frage, ob es den Frauentag heute noch braucht.

von Ist der Frauentag heute noch zeitgemäß? © Bild: (C)2022 Ricardo Herrgott/News

Gab es in Ihrem Leben irgendein Schlüsselerlebnis, an dem Sie angefangen haben, über Frauenrechte nachzudenken?
Ja, in der Schule. Ich war recht lange Klassensprecherin in einer Klasse mit vorwiegend Burschen. Einmal musste ich zu einem Vorfall mit einem Lehrer, der sehr sexistische und rassistische Aussagen getätigt hat, vor dem Landesschulrat aussagen. Und die erste Frage lautete nicht "Was ist da in der Schule passiert?", sondern: Wie kann es sein, dass ich in einer Klasse mit so vielen Burschen als Frau Klassensprecherin geworden bin? Ich fand das extrem deplatziert und ärgerlich.

Weil man es Ihnen nicht zugetraut hat.
Das ist zumindest unterschwellig mitgeschwungen.

Und dann haben Sie angefangen über diese Situation nachzudenken? Genau. Warum ist das so?
Warum werde ich so etwas gefragt? Das war ein Moment, in dem ich mir gedacht habe, das ist völlig daneben, und ich möchte das anderen Schülerinnen ersparen.

Haben Sie frauenpolitische Vorbilder?
Politisch haben wir in der sozialdemokratischen Frauenbewegung viele Vorbilder. Angefangen von Johanna Dohnal, einer feministischen Ikone in diesem Land. Am 14. Februar feiere ich ganz klar nicht den Valentinstag, sondern den Geburtstag von Dohnal. Darüber hinaus Barbara Prammer, die bei uns Oberösterreich über die Parteigrenzen hinweg nach wie vor eine viel geschätzte Frau ist. Eine wahnsinnig menschliche, nahbare Politikerin. Im privaten Umfeld war meine Mama immer eine sehr starke Kämpferin, die mir sehr viel ermöglicht hat.

Sie sind altersmäßig ein klassischer Millennial. Was bedeutet Feminismus in Ihrer Generation?
Noch sehr viel. Natürlich haben wir andere Möglichkeiten als die Generation einer Johanna Dohnal, die noch sehr kämpfen musste. Dass man ohne Zustimmung des Ehepartners arbeiten gehen kann zum Beispiel und so weiter. Das ist für uns zum Glück selbstverständlich. Aber meine Generation ist die, die auf die Straße geht, wenn der Schwangerschaftsabbruch wieder einmal in Frage gestellt wird. Es ist auch unsere Aufgaben, diese Errungenschaften zu verteidigen. Und auf der anderen gibt es neue Herausforderungen. Im Bereich Social Media zum Beispiel, wo extrem bearbeitete Fotos verbreitet sind. Was für ein Selbstbild wird da transportiert? Es gibt diverse sehr fragwürdige Challenges von Oberschenkellücke bis Bikini- Bridge. Das treibt sehr viele junge Leute um. Oder der Bereich Gendermedizin.

© (C)2022 Ricardo Herrgott/News Eva-Maria Holzleitner: "Ich glaube nicht, dass Frauen bessere Menschen sind, aber sie bringen andere Perspektiven ein."

Haben Sie das Problem, dass viele denken: Was wollen diese Feministinnen eigentlich noch, es geht uns doch eh gut?
Ich glaube, das ist vor allem in konservativen Kreisen verbreitet. Man sieht das bei der Regierungsmannschaft bzw. frauschaft, dass bei Antrittsinterviews immer die Aussage kommt: Ich fühle mich gleichberechtigt und habe noch nie Diskriminierung erfahren. Wenn man dagegen mit vielen Frauen auf der Straße spricht, sehen die das ganz anders. Weil sie zum Beispiel die ganze Kindererziehungsarbeit aufgebrummt bekommen, ohne dass der Partner sich beteiligt. Nur zwei von zehn Vätern gehen in Karenz, und die meisten davon nur kurz. Wir wissen auch, dass die sogenannten Frauenbranchen immer noch schlechter bezahlt sind. Das spüren die Frauen sehr wohl.

Feministinnen gelten als nervig. Nach dem Motto: Die kommen immer wieder mit denselben Forderungen an, können sie uns nicht endlich in Ruhe lassen?
Auch das ist ein konservatives Framing. Dass Wörter wie Feminismus negativ besetzt sind...

...es würde sich nie eine konservative Politikerin als Feministin bezeichnen.
Genau. Das ist ganz klares Framing, um die Frauenbewegung zu diskreditieren. Das sieht man ja auch am negativen Framing von Quoten. Quoten führen zu Gleichberechtigung, weil Frauen in vielen Führungspositionen noch nicht gleich vertreten sind. Denken Sie an die Münchner Sicherheitskonferenz. Keine Frau am Verhandlungstisch. Und die Frauenbewegung war immer eine Friedensbewegung. Ich glaube, wenn Frauen da stärker einbezogen würden, hätten wir global eine andere Friedenssituation.

Sind Frauen die besseren Menschen?
Ich glaube nicht, dass sie bessere Menschen sind, aber sie bringen andere Perspektiven ein.

»Ein Zitat, das mir in den letzten Tagen sehr oft untergekommen ist: Der Frieden ist zu wichtig, um ihn den Männern zu überlassen. «

Mit einer russischen Präsidentin wäre es nie so weit gekommen?
Das ist jetzt natürlich Spekulation. Aber ich glaube, dass Frauen am Verhandlungstisch, wenn es um Sicherheitsfragen geht, wichtig sind. Auch Johanna Dohnal hat schon gesagt, ein Zitat, das mir in den letzten Tagen sehr oft untergekommen ist: Der Frieden ist zu wichtig, um ihn den Männern zu überlassen. Damit hat sie recht gehabt.

Im Moment wird Österreich von einer schwarz-grünen Koalition regiert. Finden Sie da Partnerinnen für Ihre Anliegen? Verbindet Sie zum Beispiel etwas mit Frauenministerin Raab?
Ich fürchte, nicht so viel. Man sieht das im Gleichbehandlungsausschuss. Das letzte Mal haben wir keine einzige Initiative ihrerseits auf der Tagesordnung gehabt. Da geht einfach total wenig weiter. Wir würden uns schon einen Turbo in der Frauenpolitik wünschen, denn die letzten zwei Jahre haben eklatant aufgezeigt, dass viele Probleme, die vorher schon da waren, noch einmal intensiviert worden sind. Frauen haben beim Homeschooling den größten Teil übernommen, haben neben dem Homeoffice auch noch den Haushalt geschwungen und so weiter. Alles Dinge, die vorwiegend die Frauen haben mitschupfen müssen. Dazu kommt die Kostenexplosion in den verschiedensten Bereichen, die vor allem Alleinerzieherinnen hart trifft. Da würde ich mir wirklich mehr Unterstützung wünschen, aber es ist alles sehr zögerlich.

Ministerin Raab hat das Problem, dass sie sehr viele Ressorts verantwortet - unter anderem Frauen und Familie. Auch Sie sind in Ihrer Partei nicht nur für Frauen, sondern auch für Kinder und Jugendliche zuständig. Ist das noch zeitgemäß?
Ich glaube, dass sich das in der Arbeit gut vereinbaren lässt. Man kann ja in Sachen Kinderund Jugendpolitik trotzdem eigenständige Initiativen setzen. Ich vermische diese beiden Bereiche nicht.

Es gibt eine lange, lange Liste von frauenpolitischen Forderungen. Können Sie eine hervorheben, die Sie für strategisch besonders zentral halten? Der eine Knopf, der aufgehen muss, damit sich auch viele andere Dinge ändern?
Ich halte das Thema Lohntransparenz und gerechte, gleiche Bezahlung für ganz wichtig. Weil das schon einerseits zu einer stärkeren Selbstbestimmung führt und die ökonomische Abhängigkeit reduziert. Und andererseits wissen wir, dass Frauen immer noch ungleich bezahlt werden, auch im selben Betrieb. Um das auszugleichen, wäre die Lohntransparenz nach isländischem Modell gut, wo die Unternehmen belegen müssen, warum es eine Ungleichbezahlung gibt und die Beweislast nicht bei der Frau liegt. Eine gute, gleichberechtigte Bezahlung von Frauen würde auch dazu führen, dass mehr Männer in Karenz gehen.

Sehr viele Frauen in Österreich arbeiten Teilzeit, und das gerne, sie legen Wert auf die sogenannte "Wahlfreiheit". Sollen sie wirklich alle zur Vollzeitjob gezwungen werden?
Man muss schon ganz klar sagen, dass Teilzeitarbeit Altersarmut viel wahrscheinlicher macht. Und, dass Kindergärten und Krippen keine Aufbewahrungsorte sind, sondern Bildungsstätten. Insgesamt wünschen wir uns als SPÖ auch eine Arbeitszeitverkürzung. Da würde schon genügend Zeit für private Dinge übrig bleiben.

Verstehen Sie es, wenn sich Frauen fragen: Warum habe ich Kinder bekommen, wenn ich dann den ganzen Tag im Büro sitze?
Ich frage mich, warum sich das immer nur die Frauen fragen. Bei Männern kommt diese Frage de facto nie vor. Da braucht es ein Umdenken. Die Verantwortung für ein Kind beginnt bei der Geburt und ist auch beim Mann zu suchen.

Das hat viel mit tradierten Rollen-und auch Selbstbildern zu tun. Die kann man nicht per Gesetz verordnen.
Aber man kann sehr wohl schauen, dass man zum Beispiel Geschlechterstereotypen in der Schule schon aufbricht. Eine Bekannt hat mir kürzlich einen Lückentext aus einem Englischbuch zugeschickt, da steht sinngemäß drinnen: Die Mama liegt im Liegestuhl, deswegen werde wir heute Abend nichts zu essen bekommen. Das kann ich nicht akzeptieren. Was soll das? Essen kann auch der Papa kochen. Und die Mama liegt vielleicht im Liegestuhl, weil sie müde ist nach einem langen Arbeitstag.

Gewisse Männer aus der Führungsriege der SPÖ sind mit der Bundesvorsitzenden Pamela Rendi-Wagner nicht immer freundlich umgegangen. Wie gefällt Ihnen das als Frauensprecherin?
Das finde ich natürlich nicht so gut. Kritik und Diskussion ist wichtig, auch in einer Partei, weil es das Vorankommen ermöglicht und man sich bei vielen Positionen ja auch nicht für immer und ewig einzementieren kann. Es bringt aber niemandem in der Sozialdemokratie etwas, wenn Konflikte medial ausgetragen werden.

Würde Rendi-Wagner ähnlich angegriffen werden, wenn sie keine Frau wäre?
Es war sicher ein Gewöhnungsprozess, auch in unserer eigenen Partei, eine Frau als Vorsitzende zu haben. 130 Jahre hat es keine Frau an der Spitze der SPÖ gegeben, deswegen ist es sehr gut, dass wir jetzt eine haben. Die Solidarität der Frauenorganisation ist ihr da auf jeden Fall immer gewiss, und wir stehen an ihrer Seite.

Johanna Dohnal wurde einmal die Frage gestellt: "Ewig Frauenfragen, füllt das Ihr politisches Leben aus?" Die Antwort der Dohnal ist legendär, was antworten Sie?
Es füllt das politische Leben und generell das Leben absolut aus, weil die Probleme und Ungleichheiten auch in Österreich immer noch bestehen.

Ist der Frauentag heute noch zeitgemäß?
Auf jeden Fall. Der 8. März gehört nicht abgeschafft, genauso wie der Tag der Arbeit. Für mich ist das ein Festtag geworden.

ZUR PERSON: Eva-Maria Holzleitner, geboren 1993 in Wels, ist seit 2017 SPÖ-Nationalratsabgeordnete. Im Sommer 2021 folgte sie Gabriele Heinisch-Hossek als Bundesvorsitzende der SPÖ-Frauen nach, sie setzte sich dabei gegen Mireille Ngosso und Eva Schmidt durch. Holzleitner hat außerdem Funktionen in der SPÖ Wels bzw. Oberösterreich inne und ist Mitglied des Bundesparteipräsidiums.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich im News-Magazin Nr. 09/2022.