Peter Hacker: "Irgendwann platzt
auch mir der Kragen"

Als wäre die Corona-Krise nicht auch so schon hart genug, matchen sich der türkise Innenminister und die Wiener SPÖ um Fallzahlen und "Hilfsangebote". Gesundheitsstadtrat Peter Hacker erklärt, was er von Karl Nehammer und seinen "Geschichten" hält. Und warum und wie wir lernen müssen, mit Corona zu leben

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Interview - Peter Hacker: "Irgendwann platzt
auch mir der Kragen"

Beginnen wir mit aktuellen Covid-19-Zahlen aus Wien: Stand Mittwoch gab es elf Fälle in Kindergärten, sechs in Schulen. Das befeuert die Ängste jener, die Kinder für gefährliche Virenschleudern halten, aber auch jener, die fürchten, dass die Schulen und Kindergärten schon wieder zusperren könnten.
Wir haben in Österreich extrem schnell gehandelt. Extremer geht es kaum. Man wird noch lange debattieren können, ob es gescheit war oder nicht, aber Faktum ist: Wir haben es getan und Bundesregierung und Länder standen auf einer Linie. Das muss man als Einleitung sagen. Der Effekt, den wir erzielt haben, was die epidemische Verbreitung betrifft, ist extrem positiv. Was uns logischerweise nicht gelungen ist: das Virus zu einem Nichtvirus zu machen. Es ist immer noch gleich ansteckend, es haben immer noch 80 Prozent einen moderaten Krankheitsverlauf. Doch durch die extreme Reaktion ist eine große Angst entstanden. Die ist im Moment unser Hauptproblem. Durch Studien wissen wir, das Virus wird nicht mehr verschwinden. Da sind einigen in der Bundesregierung vielleicht auch da oder dort Fehler in der Kommunikation passiert, als man den Menschen gesagt hat: "Zu Ostern ist es vorbei." Einige wenige haben gesagt: "Es ist dann nicht vorbei." Ich war einer von denen und der Gesundheitsminister war auch einer von denen, die das gesagt haben. Jetzt ist Ostern vorbei, aber Corona ist nicht vorbei.

Und die Leute sind enttäuscht.
Ja, wahrscheinlich.

Weil sie spüren, Corona wird uns weiter begleiten?
So ist es. Daher hab ich immer gesagt, es ist gut, was wir tun, aber es wird danach nicht vorbei sein. Daher fahren wir jetzt in Wien mit voller Überzeugung eine Strategie, um mit dem Virus leben zu können. Wir gehen in die Tiefe und entdecken viele, die die Erkrankung hinter sich haben und nicht als Covid-19-Erkrankung wahrgenommen respektive sich nicht gemeldet haben. Die waren zu Hause oder waren arbeiten, aber wir haben sie nicht im Gesundheitssystem wahrgenommen. Für diese Leute gab es auch keinen merkbaren Grund, sich bei 1450 zu melden. Die entdecken wir, wenn wir in Betriebe, Organisationen und Einrichtungen gehen. Mit dem Effekt war zu rechnen. Wir ändern die Strategie aber nicht -nur damit die Statistiken hübscher werden. Hübsche Statistiken waren mir, ehrlich gesagt, immer schon wurscht. Mir geht es darum, alles zu tun, um einen großen Wiederausbruch verhindern zu können. Das kann man nur, wenn man die kleinen Cluster so rasch wie möglich erfasst.

Das heißt, die Fälle im Kindergarten sind einfach "business as usual" - oder was sollen sich Eltern jetzt denken?
Das klingt zu schnoddrig. Aber das heißt: als Gesellschaft mit dem Virus leben lernen. Wir reden von einer von vielen Viruserkrankungen, die es gibt.
Wir haben uns besonders gefürchtet - ob zu Recht, ist eine andere Frage. Ist auch völlig wurscht. Faktum ist, die Menschen fürchten sich davor. Genau deshalb ist es wichtig, zu erzählen, dass die Epidemie nicht vorbei ist. Wir befinden uns in einer Ruhephase, die wird viele Wochen dauern, aber in Österreich und auf der ganzen Welt wird es solche kleineren Covid Situationen immer wieder geben. Und wenn es uns weiterhin gelingt, die sofort einzugrenzen und in Quarantäne zu stecken, dann ist es möglich, keinen großen Ausbruch im Herbst zu haben. Spannend wird die Phase, wo die Grippezeit beginnt. Dann werden wir auch wieder intensiver mit Covid beschäftigt sein. Aber wir machen gleichzeitig gute Fortschritte bei der Behandlung und haben die Zahl der Intensivpatienten senken können.

Rational wird man sich also immer ein bisschen weniger fürchten müssen.
Ja, aber emotional ist es etwas anderes.

Wie bekommt man die Angst wieder aus den Köpfen?
"Fürchtet euch nicht!" ist eine Botschaft, die vielleicht den Kopf erreicht, aber nicht den Bauch. Also wird es ein Lernen sein müssen. Wir reden noch immer von einer Erkrankung, die die Welt erst seit wenigen Monaten kennt. Dieses Unbekannte zieht sich durch alles durch. Niemals wurden zu einer Krankheit so viele Publikationen in so kurzer Zeit gemacht.

Und trotzdem weiß man so wenig.
Und niemals zuvor waren auch die schlampigsten Geschichten plötzlich in wissenschaftlichen Magazinen zu finden, denn alle lechzen nach mehr Erkenntnis. Wir sind es als zivilisierte Gesellschaft nicht mehr gewohnt, mit Fragen konfrontiert zu sein, auf die es keine Antwort gibt. Wir gehen zum Arzt, der macht eine Diagnose, eine Therapie, und die Welt ist besser, sogar bei Problemen, die noch viel komplizierter sind als dieses Covid Virus. Aber hier ist es so, dass wir keine Erfahrungen haben und zu wenig wissen.

Gleichzeitig ist in den letzten Monaten etwas passiert, was Wissenschaftler immer fordern: Die Politik hat ihre Entscheidungen evidenzbasiert getroffen. Sollte das so bleiben?
Ich bin es mein ganzes Berufsleben lang gewohnt, mit vielen Zahlen zu arbeiten meist Finanzzahlen und Leistungszahlen aus dem Sozialsystem. Aber ich bin nicht begeistert davon, dass jetzt schon jede Excel Tabelle als wissenschaftliches Ergebnis gehandelt wird. Das ist der Nachteil von Excel und Powerpoint, dass du jeden Müll reinkippen kannst, und es schaut toll aus. Ich halte es für problematisch, wie wir im Moment mit Zahlen umgehen. Zahlen sind Zahlen und noch keine Information und schon gar kein Erkenntnisgewinn. Ich finde das ein bissl sehr populistisch, wie mit Zahlen umgegangen wird. Ich habe auch schon mit dem Gesundheitsminister diskutiert, dass ich diese Dashboards mit den Corona Zahlen für Verwirrungspolitik halte.

Es entsteht der Eindruck, jedes Ministerium, jedes Bundesland wacht eifersüchtig über seine Daten und es gibt einen Schönheitswettbewerb der Ansteckungszahlen.
Ich bin für volle Transparenz, aber fünf Zahlen sind noch keine Information. Weil man wissen muss, in welcher Qualität kommen die daher und was heißt das dann. Ein gutes Beispiel ist das Wort Covid Tote. Wir haben in der Zwischenzeit gelernt, das sind nicht zwingend Menschen, die an Covid, sondern auch mit Covid verstorben sind. Aber jedes Land zählt das unterschiedlich. Wir sind in Österreich in einem extrem bürokratisierten Land, was sich aus unserer Geschichte bis zur Nazizeit ergibt, und haben ein extremes Dokumentationssystem über unsere Bevölkerung.

Andere Länder haben ganz andere Datenqualitäten und das wollen wir dann vergleichen?
Darum sind Zahlen die Basis der Erkenntnis, aber nicht die Erkenntnis.

In den Beraterstäben saßen aber etliche Mathematiker.
Ja, aber ich merke an meinem eigenen Stab, dass alle zu euphorisch sind, schnelle Excel Tabellen zu veröffentlichen. Wir hatten da eine Bezirksstatistik, da ist der dritte Bezirk extrem raufgeschnalzt oh Gott, was ist dort für ein Cluster. Die Erklärung war ganz einfach: Dort sitzt der Ärztefunkdienst, der die Abstriche genommen hat, und alle unleserlichen Adressen sind dort zugeordnet worden. Das zeigt: Zahlen gehören interpretiert. Wir gehen in Österreich ein bissl schlampert damit um.

Innenminister Karl Nehammer und Sie interpretieren Zahlen jedenfalls ein bisschen unterschiedlich. Da gibt es auf gut Wienerisch einen ziemlichen Wickel. Selbstkritisch: Haben Sie da etwas falsch gemacht?
Ich hab zunächst einmal 14 Tage lang gar nichts gesagt. Aber irgendwann platzt auch mir der Kragen, wenn ich täglich Falschinformationen, die gezielt rausgeschickt werden, korrigieren muss mit keinerlei Informationsgewinn für die Menschen. Darum ist der Konflikt mit Nehammer eskaliert. Ihm ging es nie um Zahlen. Wir haben oft genug in Konferenzen besprochen, dass das so nicht geht: Aber wenn in der ÖVP beschlossen wird, dass man ein Bund Land Spiel spielen will, aus politischen Gründen, dann muss die Stadtregierung sagen: Jetzt ist Schluss. Da geht es um reine Parteipolitik. Wir haben jetzt in der Stadtregierung die Parteipolitik lange ausgeklammert. Ich weiß natürlich auch, dass im Oktober Wahlen sind, aber ich halte es für falsch, mit einer Epidemie Parteipolitik zu machen. Ich halte es einfach für falsch. Vielleicht ist das ein Fehler, vielleicht werden es die Wählerinnen und Wähler nicht danken. Aber in solchen Fragen ist mein Maßstab mein Spiegel daheim, und in den will ich mich schauen.

Auf diesem Boden entsteht auch die Spekulation, dass Wien womöglich einen weiteren Shutdown verordnet bekommt, weil die Covid-Zahlen nicht ausreichend zurückgehen, oder zumindest die jetzigen Maßnahmen weniger schnell gelockert werden als in anderen Bundesländern. Der Bundeskanzler hat ja regionale Abstufungen angekündigt.
Ich empfehle der Bundesregierung, diese Strategie nicht haben zu wollen. Weil klar ist, dass sich die Wienerinnen und Wiener das sicher nicht gefallen lassen. Davon bin ich einfach überzeugt. Nur weil wir eine andere Strategie fahren, werden es die Menschen hier nicht goutieren, dass man glaubt, dass man sie bestrafen kann. Das ist überhaupt ein sehr komischer Mechanismus, der da eingerissen ist, dass wir so tun, als wären wir in einem Land, wo der Fürst gnädig oder nicht gnädig ist. Ist der Herr Bundeskanzler zufrieden oder nicht -bei allem Respekt, das ist, ehrlich gesagt, völlig wurscht. Wir sind noch immer in einem demokratischen Land. Wir sind dazu da, der Bevölkerung zu dienen, daher halte ich auch nichts davon, den Menschen Angst zu machen. Unser Job ist es, die Angst zu nehmen. Dafür bekommen wir unsere Gage. Wir reden immer noch von einer Gesundheitsfrage, nicht von einer Gunst-und Gnadenfrage. Das erinnert mich ja an meinen Geschichtsunterricht: das 19. Jahrhundert - wenn der Kaiser zufrieden ist, erlässt er die Steuern. Wenn wir heute davon reden, die Corona-Maßnahmen regional zu lockern, steht das schlicht im Epidemiegesetz von 1950. Ich finde es ziemlich ulkig, dass jetzt so getan wird, als würde die Bundesregierung das neu erfinden. Kurzes Gesetz lesen würde reichen.

Die meisten Menschen lesen keine Gesetze, sondern bekommen von der Politik Botschaften übermittelt. Etwa als es um das vermeintliche Besuchsverbot ging, das gar nicht verordnet war.
Ja, eigentlich haben wir Politiker eine Übersetzungsaufgabe: zu erklären, was in den Gesetzen steht. Stattdessen wurde von der Bundesregierung eine kleine Netflix-Serie gedreht. Das war nicht gut.

Schauen wir in die Zukunft mit dem Coronavirus. Worauf müssen wir uns noch gefasst machen?
Eine wichtige Frage ist: War es gescheit, Wirtschaft und Tourismus hinunterzufahren und die Arbeitslosenzahlen in die Höhe? Es gehört ein echter Fokus darauf, wie wir das Land wieder in Schwung kriegen. Wir haben eine dramatische Rezession vor uns, hören ständig Frohbotschaften über Hilfspakete, aber keiner erzählt, was vor uns steht. Wir wissen, dass diese Rezession im Gesundheitssystem einschlagen wird.

Weil durch Arbeitslosigkeit, Firmenpleiten oder Kurzarbeit Beiträge fehlen?
Ja, und ich höre nichts von einem großen Unterstützungspaket zu diesem Thema. Da geht es nicht um Kredite, da geht es um echtes Geld, um Subventionen in das Gesundheitssystem. Im Gegensatz zur Pensionsversicherung gibt es hier keine gesetzliche Regelung, dass ein Minus vom Staat ausgeglichen werden muss.

Von welchen Summen reden wir bei einem Hilfspaket für das Gesundheitssystem?
Zunächst einmal von hunderten Millionen Euro, aber es würde mich nicht überraschen, wenn bis 2021 locker die Milliardengrenze überschritten wird. Das werden wir letztlich alle in der Gesundheitsversorgung zu spüren bekommen. Für das Gesundheitssystem lernen wir aber zurzeit auch in anderen wesentlichen Fragen: Bei der Versorgung mit Medikamenten und Schutzausrüstung ist das System extrem konzentriert. Wenn die zwei, drei Produktionsstätten, die es dafür gibt, ein Problem haben, hat die ganze Welt ein Problem.

Jetzt haben wir gelernt, dass der freie Markt eben nicht alles reguliert. Gelernt ja, aber handelt die Politik auch?
Gute Frage, jetzt haben wir einmal Lippenbekenntnisse gehört, warten wir auf die Umsetzung. Man wird im Vergaberecht etwas ändern müssen, weil das Kriterium "krisensicheres Produzieren" nicht definiert ist. Eine österreichische Firma zu bevorzugen, widerspricht eigentlich dem EU-Recht. Daher wird man überlegen müssen, wie man das hinkriegt, um sich nicht wieder in der Abhängigkeit von Fliegern aus Shanghai wiederzufinden.

Wie steht es um die Wiener Vorsorge für den Herbst?
Die Betreuungseinrichtung in der Messehalle werden wir in absehbarer Zeit nicht mehr brauchen und schließen. Für den Herbst planen wir aber eine ähnliche Einrichtung an einer anderen Örtlichkeit. Für Masken und Schutzanzüge haben wir schon im Februar eine eigene Beschaffungsstruktur zusammengestellt, um nicht auf Lieferungen des Bundes angewiesen zu sein. Wir haben eine gesicherte Lieferung alle zwei Wochen aus Shanghai, daher haben wir unsere Lager jetzt wieder fast voll. Was wir aber schon vor der Krise erkennen mussten, die Abhängigkeit von zwei Staaten, auch bei vielen Medikamenten und Wirkstoffen -da gibt es einen Regulierungsbedarf. Das wird den Börsen nicht gefallen. Aber es wird der Bevölkerung gefallen und es wird der Versorgungssicherheit gefallen. Es wird nicht reichen, wenn wir in Europa die freie Weltwirtschaft hochhalten und andere Staaten machen auf Nationalismus.

Weltweit wird mit Hochdruck an einem Corona-Impfstoff geforscht. Wären Sie für eine Impfpflicht?
Nein, ich bin nach wie vor nicht für eine Impfpflicht. Das höchste Gut ist die Freiheit der Menschen. Die gibt es oder die gibt es nicht. Das ist wirklich eine Frage von Schwarz und Weiß. Ich bin der Meinung, der Staat hat Behandlungen nicht anzuordnen.

Eine Impfpflicht klingt ja so easy. Aber was sind die Konsequenzen? Wer bestimmt darüber, wer geimpft werden muss, und wie wird das kontrolliert? Machen wir dann Razzien? Fixieren wir dann die Leute und nageln ihnen die Nadel in den Arm, oder wie stellt man sich das vor?

Müssen die Leute Strafe zahlen und, wenn ja, wie viel? Ein Monatsgehalt oder mehr? Steckt man jene, die nicht geimpft sind, in Quarantäne? Wenn man über eine Impfpflicht redet, muss man diese grauslichen Fragen auch beantworten. Ich gehöre zu den Menschen, die gerne über den überübernächsten Schritt nachdenken. Daher bin ich dagegen, Menschen zwangszubehandeln. Ich bin auch dagegen, dass der Staat Menschen bestraft.

Sie verlassen sich darauf, dass die Menschen ohnehin freiwillig zum Impfung gehen?
Wir haben zu motivieren, zu überzeugen. Wir haben jetzt ein Impfsystem, wo Impfen Privatsache ist. Man muss den Impfstoff und den Arzt privat bezahlen. Ich bin sehr dafür, zu diskutieren, dass Impfen ein Teil des Gesundheitssystems sein soll. Es darf nichts kosten, es muss leicht zugänglich sein, ohne dass man mehrmals zwischen Arzt und Apotheke hinund herpendeln muss. Ich will zu einer Stelle gehen, dort werde ich geimpft, und die Sache ist erledigt. Gescheit wäre dann auch noch ein österreichweites Dokumentationssystem, davon sind wir in Österreich leider meilenweit entfernt. Ich hoffe, im Parlament wird endlich der elektronische Impfpass beschlossen, von dem wir seit drei Jahren reden. Es muss möglich sein, das einfacher zu gestalten, dann wird auch die Impfhäufigkeit höher sein. Tun wir aber nicht, sondern verharren in einer theoretischen Diskussion.

Noch etwas, das die Grundrechte betrifft: eine Corona-App. Experten sagen, diese könnte die Clustersuche beschleunigen, und bei Corona geht es viel um den Faktor Zeit. Mittlerweile propagiert auch die Bundesregierung die Rot-Kreuz-App nicht mehr. Aber irgendeine Form der Überwachung wird ja angestrebt, auch wenn es um eine künftige Reisefreiheit geht.
Wir sind meilenweit davon entfernt. Ich habe diese App auch kritisiert, weil sie von Anfang an nicht funktioniert hat. Ich halte es für fatal, den Menschen G'schichtln zu drucken. Ich werd jetzt 57, warum sollte ich den Menschen G'schichteln drucken, nur weil ich jetzt Politiker bin? Es war von Anfang an klar, dass das nicht funktioniert, weil sich die Geräte nicht gekoppelt haben. Und dann wird erzählt: "Stopp Corona."

Wien will doch Digitalisierungshauptstadt sein - könnte man die App hier besser machen?
Ich glaub, man braucht das nicht. Ich finde, dass der Staat seinen Bürgern grundsätzlich Vertrauen entgegenzubringen hat. Imperativ! Der Staat hat den Bürgern zu dienen -und dann kommt einmal lang nix! Ich halte auch nichts davon, wenn der Staat seinen Bürgern droht. Auch nicht bei ansteckenden Krankheiten. Wir machen das ja auch nicht bei noch ansteckenderen Krankheiten wie Tuberkulose. Wir wären auch bei Aids nie auf die Idee gekommen. Es gibt viele Krankheiten, die ansteckender und tödlicher sind, und keiner käme auf die Idee, eine staatliche Kontrolle drüberzuhängen. Ich bin natürlich ein verspielter Bub und ich bin ein IT-Freak -zum Leidwesen unserer IT-Abteilung. Aber ich halte nichts davon, wenn man Technologien falsch einsetzt. Ich finde es schon spooky, wie viel Tracking es ohnehin schon gibt. Etwa bei den Verkehrsnachrichten am Handy. Und kein Mensch käme auf die Idee, dieses Tracking dafür zu verwenden, um herauszufiltern, wer gerade zu schnell fährt.

Der Aufschrei dagegen würde ganz laut von Wien bis Bregenz hallen.
Aber komischerweise schlägt das auch keiner vor.

Würde vielleicht auch viele Tote verhindern.
Sicher. Oder auch nicht. Ist auch gut so. Ich will ja niemand auf dumme Ideen bringen. Viele solche Maßnahmen wären möglich, aber das halte ich für eine totale Grenzüberschreitung. Wir reden immer noch von einer Krankheit und nicht von einem Todesvirus, wo aus uns allen Aliens werden.

ZUR PERSON: Peter Hacker, 56 Der Wiener hat das politische Handwerk beim legendären Bürgermeister Helmut Zilk gelernt, in dessen Büro für Bürgeranliegen er arbeitete. Danach war er Drogenkoordinator der Stadt, leitete den Fonds Soziales Wien und agierte ab 2015 als Flüchtlingskoordinator. 2018 holte ihn Michael Ludwig als Gesundheitsund Sozialstadtrat in sein Regierungsteam.

Das komplette Interview ist in der Printausgabe von News 22/2020 erschienen.