Günther Platter - Der letzte Kaiser

Seit Waldheim gewählt wurde, seit Tschernobyl explodierte, seit Kanzler Kurz auf der Welt ist - so lange ist Günther Platter bereits in der Politik. Zu lange, als dass ihn die weltweite Kritik an seinem Corona-Management kratzen würde. Über die Machtpragmatik eines Unterschätzten

von Tirol - Günther Platter - Der letzte Kaiser © Bild: Ricardo Herrgott / News

Die isländischen Behörden klassifizieren Ischgl als Risikogebiet, stellen die alpine Partymeile auf eine Ebene mit der zentralchinesischen Corona- Wiege Wuhan und legen Quarantänemaßnahmen für Tirol-Heimkehrer fest. Das war am 5. März 2020. Am 7. März meldet Ischgl den ersten offiziellen Covid- Fall, einen Mitarbeiter der Après-Ski-Bar "Kitzloch". Doch was passierte am 6. März, im Zeitfenster zwischen den Schicksalstagen? Wo war der oberste Chef?

Dort, wo - aufpoppendes Virus hin, heraufdräuende Pandemie her -in Tirol die echte Musi spielt: im "Postgasthof Gemse" zu Zams, wo der örtliche Musikverein zur 72. Generalversammlung lud. Denn dem steht Günther Platter als Präsident vor. Und da er auch Präsident des gesamten Tiroler Blasmusikverbandes mit seinen 303 Kapellen und 15.650 aktiven Mitgliedern ist, ist seine Anwesenheit alternativlos. Immerhin gilt es, einen verdienten Kapellmeister zu verabschieden und den Taktstock in die Hände eines vielversprechenden Nachfolgers zu legen. Drei Tage später, am 9. März, wird bekannt, dass der "Kitzloch"-Mitarbeiter 15 weitere Menschen angesteckt hat -und Österreich hat seinen ersten Covid-Cluster.

Nur Platter, der dirigiert weiter, unbeirrt und ungehindert. Auch weil es, im Gegensatz zur Zamser Musi, keinen vielversprechenden Nachfolger gibt, dafür hat er selbst gesorgt. Ja mehr noch: Erst dieser Tage gab er bekannt, im Jahr 2023 erneut für das Amt des Landeshauptmanns zu kandidieren. "Eine gefährliche Drohung", sagt Andrea Haselwanter-Schneider, Vorsitzende der oppositionellen Liste Fritz.

Die größte Demütigung

Denn tatsächlich regiert in Tirol neben dem Landeshauptmann persönlich in erster Linie die Gefahr: In der Causa Ischgl etwa ermittelt die Staatsanwaltschaft, eine Hundertschaft privater Betroffener klagt. "Eine andere Tonalität in der Krisenkommunikation jenseits der Opferrolle wäre dringend gefragt, aber dazu sind Platter und seine Mitstreiter nicht fähig oder nicht willens", sagt der Tiroler Tourismus-Consulter Thomas Reisenzahn.

Als Tirol dann zum Zentrum der Südafrika-Mutante wurde, verweigerte der Landeschef bis zur letzten Sekunde die Einhaltung der vom Bund vorgegebenen Sicherheitsmaßnahmen. Als er selbst wiederum übers deutsche Eck nach Wien reisen wollte, verwehrte ihm sein bayerischer Amtskollege Markus Söder die Durchreise. "Die größte Demütigung, die einem Landeshauptmann passieren kann", sagt Professor Ferdinand Karlhofer, Politikwissenschaftler an der Universität Innsbruck.

Und Tirols einziges mobiles PCR-Testlabor? Das erhielt seit Herbst -ohne Ausschreibung - Aufträge in der Höhe von acht Millionen Euro für teilweise falsche Testergebnisse. "Wir haben diese Tests aus dem Labor-Truck bereits im September 2020 abgelehnt", sagt ein Gesellschafter einer touristisch stark verankerten Tiroler Unternehmensberatung. Der Anbieter HG Pharma hätte den Produktcheck nicht bestanden, sei "dubios" gewesen. "Dass das Land Tirol auf diese Akteure hineinfiel, ist schon etwas peinlich." Alles "gesetzeskonform, wir handelten aufgrund äußerst dringlicher und zwingender Gründe", heißt es dazu lapidar aus Platters PR-Abteilung.

Im gottlosen Rest der westlichen Welt wären das für den obersten Krisenmanager allesamt Rücktrittsgründe. Nicht so im Heiligen Land. Denn dort gibt auch weiter der oberste Blasmusiker, als Teenager noch Gitarrist einer Rockband, den Ton an. "Von außen betrachtet ist Platter das Gesicht der Krise, doch aus Innensicht ist er als Landeshauptmann vollkommen ungefährdet", konstatiert der aus Tirol stammende Politikberater und News-Kolumnist Peter Plaikner. Seit 13 Jahren ist Platter nunmehr Landeshauptmann, und wenn er, was außer Zweifel steht, auch die nächste Legislaturperiode durchhält, wird er unglaubliche zwei Jahrzehnte an der Spitze eines Bundeslandes gestanden sein. Phänomen Günther Platter -der letzte Landeskaiser, ein Politfossil wie aus unserer schnelllebigen Zeit gefallen. Mit seinen knapp 66 Jahren ein schon etwas angegrauter und im Grunde genommen auch sonst eher farbloser, hölzerner Gegenentwurf zu seinem jugendlichen Chef Sebastian Kurz und dessen Speed-Kills-Fetisch. Und dennoch dessen altkluger Bergkamerad, der den allmächtigen Bundesbasti gekonnt am Schmäh hält.

Vaterfigur und Junger Wilder

"Also ich in Tirol kenne nur Schwarz", sagte Platter etwa im News-Interview, auf die neue, türkise Parteitönung angesprochen. Aber praktisch im selben Atemzug sagte er auch: "Sebastian kann komplexe Themen rasch auf den Punkt bringen, das zeichnet ihn wirklich aus." Jedoch: "Wenn man etwas älter ist, lässt man sich in der Entscheidungsfindung vielleicht in manchen Bereichen den einen oder anderen Tag mehr Zeit." Auch wenn das Zitat aus einer Zeit vor Ischgl stammt, erwies es sich ab Februar 2020 als programmatisch.

Jeder habe eben seinen eigenen Stil, gibt sich Bergfex Günther gegenüber dem jungen Wilden vom Ballhausplatz konziliant - während er dessen grünen Regierungspartner in Person des ehemaligen Gesundheitsministers Rudi Anschober regelmäßig zur Verzweiflung trieb. Jetzt, im Zuge seiner Regierungsumbildung, hievte Platter mit VP-Landtagsvizepräsident Anton Mattle, der auch Bürgermeister von Galtür ist, als Wirtschaftslandesrat und Annette Leja, der bisherigen Geschäftsführerin des Sanatoriums Kettenbrücke, als Gesundheitslandesrätin zwei langjährige persönliche Vertraute in Spitzenpositionen.

Dafür setzte er ohne viel Aufhebens die gerade einmal 27-jährige Sophia Kircher, die gemeinsam mit Kurz bereits bei der Jungen ÖVP in Wien werkte und als dessen treue Gefolgsfrau gilt, auf den Posten der Landtagsvizepräsidentin -einen Job auf der realpolitischen Reservebank zwar, wo sie dem Landeschef nirgends reinpfuschen kann. Aber einen mit rund 9.000 Euro fett dotierten und durchaus prestigeträchtigen. Für seinen Kumpel, den Kanzler, ist das ein diskretes, fast schon devotes Respektsignal, beinahe schon vom Rang eines ein Herzibussi-Emojis. Denn immerhin, so hält das der Pragmatiker Platter, soll im ausgewiesenen Tourismusland Tirol auch der gelegentliche Wiener Gast das Gefühl haben, König zu sein.

Pathos, Stolz und Treue

Dafür aber sonst immer feste reinhauen gegen die skrupellos mächtige Bundesregierung, dazu noch eine veritable Überdosis lokalpatriotischen Pathos -so geht Populismus Marke Platter: "Ein Kranz von Bergen, stolz und hoch erhoben, umringt die Heimat, mein Tiroler Land", intoniert er, der ehrenamtliche Blasmusikpräsident, schon seit Jahrzehnten auf Brauchtumsfesten und deren brauchdümmlichen Ablegern immer und immer wieder die heimliche Landeshymne "Dem Land Tirol die Treue." Und zupft dazu -die letzte Reminiszenz an seine Zeit als pubertierender Rocker -inbrünstig die Gitarre. Und das kommt gut an beim Wahlvolk.

Noch zu Jahreswechsel - gut zehn Monate, nachdem Tirol und Ischgl von der Weltpresse zur globalen Seuchenzone erklärt wurden -hätten laut repräsentativer Umfrage 52 Prozent aller Tirolerinnen und Tiroler im Falle von Wahlen der Platter-Partei -der schwarzen, nicht der türkisen -ihre Stimme gegeben. Bei den echten Landtagswahlen zwei Jahre davor votierten (bei einem Zuwachs von knapp fünf Prozent) immerhin 44 Prozent für Platter.

Aber wie macht er das? Wer das wirklich begreifen will, muss weit, weit zurückblicken und Platter quasi in seiner historischen Dimension erfassen. Seit 35 Jahren, seit dem Jahre 1986, als Tschernobyl explodierte, Waldheim Präsident wurde und Kanzler Kurz das Licht der Welt erblickte, ist der Mann bereits in der Politik, war erst Gemeinderat in seiner Heimatstadt Zams, dann Kulturlandesrat, dann Verteidigungsminister, dann Innenminister und schließlich Landeshauptmann. Platter sei, auch wenn er oft unterschätzt werde, dank akkumulierter Erfahrung ein echter "Bauchpolitiker" geworden, sagt Politberater Plaikner. Und Politologe Karlhofer sagt: "Platter ist nach außen hin ein Verwalter und nach innen ein Drahtzieher." Einer, der ganz genau weiß, wo er anecken darf und wo nicht. Die Opposition reibt sich an ihm seit Jahren erfolglos auf, wie auch jetzt in der Causa HG Pharma. Ernsthafte Konkurrenten oder Widersacher hingegen macht sich Platter systematisch zu Freunden -nicht zuletzt in der aus Tirols einflussreichsten Unternehmern bestehenden "Adlerrunde".

Gehorsamer Inner Circle

Der Inner Circle Platters hingegen besteht nicht aus Mächtigen, sondern aus unverbrüchlich treuen Vasallen, die was sind, weil er das will. Und die daher wollen, was er sagt. Und die, obwohl an Jahren um einiges reifer, entfernt an Haiders willfährige Buberlpartie erinnern. "Er umgibt sich fast ausschließlich mit Ja-Sagern, nicht mit Menschen, die ihm sagen, dass wir in Tirol derzeit ein echtes Problem haben", sagt Liste-Fritz-Chefin Haselwanter-Schneider.

Martin Malaun, der Geschäftsführer der Landespartei, und Florian Kurzthaler, Chef der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit des Landes, sind da in erster Linie zu nennen. Auffällig ist die Kombination deswegen, weil Kurzthaler zunächst unter Malaun Vizegeschäftsführer der Partei war, eher er -ohne externe Ausschreibung -zum obersten PR-Mann des Landes avancierte. Und somit die Arbeit der Regierungsmannschaft promotet, die bis auf zwei versprengte Grünen-Politikerinnen ausschließlich aus Platters Leuten besteht. Und da die Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit wiederum direkt dem Landeshauptmann untersteht, haben sich die Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit von 2019 auf 2020 still und heimlich von 2,2 Millionen Euro auf 4,4 Millionen verdoppelt, das ergaben Recherchen der Liste Fritz. Alleine die Aufwendungen zum Thema Corona-Management -das regionale Gegenprogrammm zur vernichtenden Weltpresse -schlugen mit 2,5 Millionen zu Buche.

Das Land habe "allen Medien bis zur kleinsten Pimperlzeitung mit Hunderten ganzseitigen, komplett inhaltsfreien Werbeeinschaltungen jede kritische Berichterstattung ausgetrieben", wettert der über die Landesgrenzen hinaus bekannte Blogger, Bergbauer und Aktivist Markus Wilhelm. Im Land des letzten Kaisers fast schon Majestätsbeleidigung.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der News-Ausgabe Nr. 19/21

Kommentare

Sabrin777

Nackte Mädchen hier - https://bit.ly/3fDZohu

Seite 1 von 1