Ein Leben lang in
Geld schwimmen

Grundeinkommen: 1.000 Euro pro Kopf und Nase und ohne Leistung - funktioniert das?

Die Befürworter des Grundeinkommens versprechen eine Welt ohne materielle Nöte und als Bonus die maximale berufliche Erfüllung. Doch das ganze Projekt scheint am Geld zu scheitern: Fließen keine oder nur noch wenig Steuern, kann es auch kein Grundeinkommen geben.

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Ausgedient - Ein Leben lang in
Geld schwimmen

Hannes G. lehnt sich entspannt zurück. Die Zahlungen, die pünktlich jeden Monatsersten auf seinem Konto landen, haben sein Leben eindeutig erleichtert. Und seit er realisiert hat, dass diese Gelder tatsächlich regelmäßig fließen, überlegt er ernsthaft, seinen faden Bürojob gegen eine spannendere Tätigkeit einzutauschen. Er könnte etwas Künstlerisches machen - Töpfern, zum Beispiel. Nicht, dass Hannes glauben würde, dass er besondere Talente in diesem Bereich mitbekommen hat, aber 1.000 Euro in der Hinterhand bieten doch die Möglichkeit, einiges ausprobieren. Und wenn er erst einmal mit seiner Freundin zusammengezogen ist und die Zwillinge auf der Welt sind, ist das Finanzielle sowieso kein Thema mehr: 4.000 Euro netto monatlich sollten der Kleinfamilie ein sorgenfreies Leben ermöglichen.

Ein schöner Gedanke? Durchaus. Immerhin geistert das Finanztransferkonzept eines bedingungslosen Grundeinkommens bereits seit vielen Jahren durch die Sozialpolitik - und die Köpfe vieler Menschen.

Tausend Theorien

Die Idee, dass der Staat jedes Mitglied seiner Gesellschaft mit der gleichen finanziellen Zuwendung -unabhängig von Alter, Vermögen, Beruf, Wohnort und Familiengröße - ohne irgendeine Art von Gegenleistungen fördert, stößt weltweit auf Interesse. Und hat dennoch genauso viele Unterstützer wie Gegner. Die Umsetzung lässt also noch auf sich warten. Lediglich einzelne Länder haben das Konzept ausprobiert: In Namibia wurden bereits zwei Jahre lang 8,60 Euro pro Einwohner und Monat ausbezahlt, Alaska fördert seine Bewohner mit einer Dividende von 950 Euro. In Brasilien hatte man das Grundeinkommen sogar schon in der Verfassung verankert, doch auch Gesetzespapier ist geduldig (mehr internationale Beispiele siehe Kasten auf der nächsten Doppelseite).

Der aktuellste Unterstützer der Idee ist Facebook-Gründer Mark Zuckerberg. Er hat erst vor wenigen Tagen das Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens als "Polster, mit dem wirklich jeder neue Ideen ausprobieren kann" bezeichnet und so bei vielen Kreativen im Silicon Valley einen Sturm der Begeisterung ausgelöst.

»Der Zwang zur Lohn-und Erwerbsarbeit wird mit dem bedingungslosen Grundeinkommen relativiert«

Dabei ist der Gedanke staatlichen Geldes ohne Gegenleistung kein neuer. Abwandlungen davon, etwa eine negative Einkommensteuer, hatten die englische Politikerin Juliet Rhys-Williams schon 1940 und der Ökonom Milton Friedman 1962 vorgeschlagen. In Deutschland gehen seit Jahren Proponenten mit dem Solidarischen Bürgergeld, dem Ulmer Transfergrenzenmodell, der Wertschöpfungssteuer und der Konsumbesteuerungs-Initiative des früheren DM-Geschäftsführers Götz Werner in die gleiche Richtung.

"Der Zwang zur Lohn-und Erwerbsarbeit wird mit dem bedingungslosen Grundeinkommen relativiert", umreißt Karl Reitter, Philosoph und Mitglied des Netzwerkes Grundeinkommen und sozialer Zusammenhalt, das Konzept. Dass auf diese Weise auch Armut vermieden werden könne, hält er hingegen bloß für "einen schönen Nebeneffekt". Viel auffallender ist, dass "die überwiegende Anzahl der Arbeitsstunden jenseits von Lohn-und Erwerbstätigkeit" geleistet werden. Betreuungspflichten für Kinder, Pflegetätigkeiten für ältere Verwandte und auch ehrenamtliche Arbeit nehmen eben einen immer größeren Raum in unserer Gesellschaft ein. "Man muss sich die Frage stellen, wo die Arbeit aufhört und die Lohnarbeit beginnt", so Reitter. Wichtig ist ihm, dass man vom Grundeinkommen "in Würde" leben kann: "Ein echtes Grundeinkommen würde 25 bis 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erfordern."

Schwere Entscheidung

Genau diese Ziffer stößt Wirtschaftsforscher Markus Marterbauer von der Arbeiterkammer Wien sauer auf: "1.000 Euro Grundeinkommen im Monat pro Einwohner kosten 100 Milliarden Euro im Jahr." Diese Summe entspreche ziemlich genau der Höhe der staatlichen Sozialleistungen. Was für den Experten im Umkehrschluss bedeutet, dass sich der Staat Ausgaben wie Familienbeihilfe, Arbeitslosengeld oder Gesundheitsvorsorge künftig nicht mehr leisten kann: "Es läuft auf die Frage hinaus: Grundeinkommen oder Sozialstaat?" Die Folgen einer Entscheidung fürs Grundeinkommen sind aus Sicht Marterbauers verheerend: "Jeder müsste sofort beginnen, für jeden erdenklichen Fall privat vorzusorgen: für Erkrankungen, für Pflege und für die Pension."

Für den Wirtschaftsforscher sind die Verfechter des Grundeinkommens zudem ideologisch gefärbten Gruppen zuzuordnen: den Neoliberalen und den Vertretern der katholischen Soziallehre. "Erstere lehnen den Sozialstaat ab, den anderen ist der soziale Fortschritt ein Anliegen."

Daniel Häni sieht sich indes zu keiner Gruppe zugehörig und lehnt ein Schreckensszenario der Eigenvorsorge, wie zuvor ausgeführt, gänzlich ab. Der Schweizer Unternehmer kämpft seit Jahren fürs Grundeinkommen und verfolgt dabei einen weit mehrheitsfähigeren Ansatz. Er und seine Mitstreiter wollen "kein zusätzliches, sondern ein grundsätzliches Einkommen". Wer 2.000 Euro netto verdient, hat nach diesem Konzept bereits automatisch 1.000 Euro Grundeinkommen. Außerdem bekommen alle ohne Einkommen die gleiche Summe ausbezahlt.

Ein Konzept, das der Vorsitzende der Unabhängigen Gewerkschafter, Markus Koza, für nicht gerecht hält: "Indem das Grundeinkommen aufs bisherige Arbeitseinkommen aufgeschlagen wird, wird bereits zwischen Gutverdienern in Vollbeschäftigung und schlechtverdienenden Teilzeitarbeitenden unterschieden."

Arbeitslose Privatiers

Dabei ist Häni in der Auslegung der Anspruchsberechtigten weit weniger radikal als andere: "Vielleicht bekommen Kinder nur die Hälfte, Pensionisten aber den vollen Betrag, um Altersarmut zu vermeiden. Auch hier sollte sich die Vernunft durchsetzen." Ähnlich wie Grundeinkommen-Befürworter Reitter setzt der Betreiber des Kaffeehauses Mitte in Basel vor allem auf die Freiheit des Einzelnen: "Das ist keine Geldverteilung, sondern eine Machtumverteilung." Ziel sei es, dass die Menschen der Arbeit nachgehen, die sie wirklich machen wollen. Häni hat auch nicht die Befürchtung, dass auf diese Weise ein Heer an Privatiers herangezüchtet werden könnte: "Es gibt Umfragen und Studien, die zeigen, dass lediglich zwei Prozent der Menschen gar nicht arbeiten wollen." Alle anderen würden sich weiterhin ihrem - oder einem anderen - Beruf widmen.

Zweite Chance

Auch diese Zahl hält Koza für zu optimistisch. Es könnte sehr wohl passieren, dass Tausenden Künstlern nur noch einige wenige Bauern gegenüberstehen. Und dass dringend benötigte Institutionen wie Krankenhäuser von heute auf morgen ohne Personal dastehen. Häni setzt hingegen auf die Selbstregulierungskraft des Marktes: "Bestimmte Tätigkeiten wie die Pflege werden dann wieder mehr wertgeschätzt werden." Das beinhalte auch eine bessere Bezahlung.

Aber auch Unternehmen mit niedrigem Renommee in der Arbeitsbevölkerung wie die Waffenproduktion müssten ebenfalls deutlich bessere Löhne als bisher bezahlen, um überhaupt Mitarbeiter zu bekommen, sagt Häni.

Der Schweizer verfolgt sein Ziel mit strikter Konsequenz, hat gemeinsam mit Mitstreitern bereits mehrere Bücher zum Thema herausgegeben und bewirbt die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens auch im derzeit laufenden Film "Free Lunch Society". Die Initiative konnte mit einer 2016 in der Schweiz abgehaltenen Volksabstimmung zudem erste Erfolge verbuchen. Statt den erwarteten 15 Prozent Ja-Stimmen kamen sie auf 23 Prozent und hoffen auf eine Wiederholung: "Nach der Abstimmung ist vor der Abstimmung: 69 Prozent aller Schweizer -auch die Mehrheit derer, die dagegen gestimmt haben -gehen davon aus, dass es eine zweite Abstimmung geben wird."

Verbesserter Sozialstaat

Aber auch Wirtschaftsforscher Marterbauer lehnt das Konzept eines Grundeinkommens nicht vollkommen ab. Er schlägt vor, den Sozialstaat in Richtung einer materiellen Grundsicherung auszubauen, in der Rechtsansprüche auf Kinderbetreuungsplätze und Pflegeplätze festgeschrieben werden: "Der Sozialstaat muss verbessert, nicht abgebaut werden." Immerhin sei er eine große soziale und wirtschaftliche Errungenschaft: "In den westeuropäischen Industrieländern wurde der Sozialstaat über Jahrzehnte aufgebaut. Dieses System hat sich bewährt, und das möchte jetzt natürlich niemand verlieren."

Kritische Masse

Gewerkschafter Koza stört sich hingegen allein schon am Begriff "bedingungsloses Grundeinkommen". Damit werde suggeriert, "dass es ein Einkommen ohne Arbeit und Wertschöpfung geben kann". Das sei ganz und gar nicht der Fall: "In unserer Gesellschaft wird Geld gegen Arbeit getauscht." Nur mit einem auf diese Weise erwirtschafteten Vermögen könnte auch der Konsum angefacht werden: "Dass ein Produkt einfach so daherkommt, ist eine Illusion." Außerdem bleibe eine große Haupteinnahmequelle außen vor. Koza: "Wo kommen die Steuereinnahmen her, wenn es keine Arbeit und damit keine Steuern und Lohnnebenkosten mehr gibt?" Auch wenn der Gedanke von selbstbestimmter Arbeit ein verführerischer ist: Damit der Staat ein Grundeinkommen finanzieren kann, muss er über entsprechende Polster im Budget verfügen. Und die größte Einnahmequelle sind die Steuern, und hier vor allem die Einnahmen aus Arbeit: "Wenn eine kritische Masse ganz aus dem Arbeitsleben ausscheidet, habe ich eine riesengroße ungeklärte Finanzierungsfrage." Koza rechnet Hänis Konzept vor: Bei einem Einkommen von 1.500 Euro netto würden 1.000 Euro aus dem Grundeinkommen und 500 Euro aus Teilzeitarbeit kommen: "Für die 500 Euro würden nach den derzeitigen Steuergesetzen aber so gut wie keine Steuern gezahlt." Nachsatz: "Ich verspreche Freiheit vom Arbeitszwang, aber die dafür notwendige Finanzierung kommt aus dieser Arbeit. Das kann nicht funktionieren."

»Ein Grundbetrag, der niedrige Pensionen aufstockt, macht durchaus Sinn«

Doch auch der Arbeitnehmervertreter kann sich vorstellen, einzelne Elemente des Grundeinkommens ins bestehende Sozialsystem zu übernehmen: "Ein Grundbetrag, der niedrige Pensionen aufstockt, macht durchaus Sinn." Beide Experten, Marterbauer wie Koza, würden zudem die Mindestsicherung (siehe Kasten vorherige Doppelseite) stärker in Richtung Grundsicherung ausbauen. "Dann bekommen das Geld diejenigen, die es brauchen", so Koza: "Ein Grundeinkommen ist ja in Wahrheit nicht besonders solidarisch." Tatsächlich wird die Debatte über das Grundeinkommen auch in Österreich vornehmlich in akademischen Kreisen geführt. Selbst Aktivist Häni, der gerne mal in Banken mit Schaufel und Geldmünzen posiert (siehe Titelbild) gibt zu, dass er auch in der Schweiz nicht so schnell mit einer Einführung seines Konzepts rechnet.

Würdevolles Leben

Die heimische Politik denkt gar in der Zwischenzeit über ein vollkommen entgegengesetztes Konzept nach, nämlich wie die verschärften Anforderungen des deutschen Arbeitslosengeldes Hartz IV auf österreichische Verhältnisse umgelegt werden könnten.

Bevor das aber kommt, prescht die Europäische Union mit sozialen Agenden vor. Gerade wurden konkrete Pläne für die Adaptierung der Standards präsentiert. Die "Soziale Säule" umfasst 20 Grundsätze: von Chancengleichheit am Arbeitsmarkt über Work-Life-Balance bis zur Gesundheitsversorgung (siehe Kasten rechts). Besonders spannend ist Punkt 14: Mindesteinkommen. "Wer nicht über ausreichende Mittel verfügt, hat in jedem Lebensabschnitt das Recht auf angemessene Mindesteinkommensleistung, die ein würdevolles Leben ermöglichen." Und der Zusatz klingt fast schon nach Grundeinkommen: "Für diejenigen, die in der Lage sind, zu arbeiten, sollten die Leistungen mit Anreizen zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt verbunden sein."

Gut möglich, dass die EU übers Hintertürchen unerwartete Initiativen einbringt. Denn auch wenn das Konzept des Grundeinkommens als Ganzes abgelehnt wird, einzelne Elemente werden gerne angenommen: Als Grundsicherung für die Ärmsten, als Armutsbekämpfung bei Mindestpensionisten oder als Rechtsanspruch auf Betreuungsplätze macht die Ausschüttung auch nach Meinung ansonsten skeptischer Experten durchaus Sinn.

Dazu kommt, dass Varianten eines Grundeinkommens auch bei uns schon derart in den Alltag eingeflossen sind, dass sie den meisten gar nicht mehr auffallen. "Die Familienbeihilfe ist doch über weite Strecken bereits ein Grundeinkommen für Kinder", sagt Gewerkschafter Koza. Ebenso wie das Kinderbetreuungsgeld (mit Ausnahme der einkommensabhängigen Variante) werden Zahlungen gießkannenartig über eine bestimmte Gruppe (hier: Mütter und Väter) verteilt. Die Beträge sind zwar weit entfernt von 4.000 Euro netto monatlich für eine vierköpfige Familie, sind aber für den Anfang gar nicht mal so schlecht.