Verbaute Zukunft: Beton statt Wiese

In Österreich wird zu viel Grünland verbaut. Laut türkis-grünem Regierungsprogramm sollen es bis 2030 nur noch 2,5 Hektar pro Tag sein. Doch bei welchem Eigenheim und bei welcher Straße müsste Schluss sein? Über den großen Konflikt zwischen Bauherren und Klimaschützern.

von Verbaute Zukunft: Beton statt Wiese © Bild: iStockphoto.com

Silbrig leuchtete der Pariser Triumphbogen dieser Tage weit über die Stadt in die Welt hinaus. Für das posthum verwirklichte letzte Werk der Verhüllungskünstler Christo und Jeanne-Claude wurde das knapp 50 Meter hohe und knapp 45 Meter breite Kriegsdenkmal von Helfern in 25.000 Quadratmeter Stoff gepackt. Auf den Boden gelegt würde der eine Menge Platz brauchen.

25.000 Quadratmeter oder 2,5 Hektar: genauso viel Fläche -also bis dahin unversiegelter Boden wie Grünland oder Äcker - soll künftig in Österreich verbaut werden dürfen. Pro Tag, wohlgemerkt. So steht es als Ziel bis 2030 im türkis-grünen Regierungsprogramm. Es ist nicht das erste derartige Bekenntnis. Schon 2002 schrieb die damalige Bundesregierung diese 2,5 Hektar maximal zulässiger Bodenverbrauch in ihre Nachhaltigkeitsstrategie. Um wie auch alle ihre Nachfolgerinnen bisher grandios zu scheitern.

Österreich ist "Europameister" im Versiegeln von Grünflächen. Auch wenn der tägliche Bodenverbrauch in den letzten zehn Jahren sukzessive zurückgegangen ist, lag er im Durchschnitt der letzten drei Jahre immer noch bei 11,5 Hektar pro Tag. Das sind 16 Fußballfelder oder viereinhalb verhüllte Triumphbögen. Innerhalb eines Jahres wird so die Grundfläche von ganz Eisenstadt verbaut. Auf der Website der österreichischen Hagelversicherung wird der Bodenverbrauch Quadratmeter für Quadratmeter mitgezählt und in Bauernhöfe "umgerechnet". Stand Montag am späten Vormittag: Seit Jahresanfang wurden in Österreich 276 Bauernhöfe plattgemacht, um dort Shoppingcenter, Betriebsflächen, Straßen, Parkplätze und Häuser zu errichten. Jedes Jahr verliert Österreich 0,5 Prozent seiner landwirtschaftlichen Flächen. Für die vergangenen 50 Jahre entspricht das der gesamten Ackerfläche Oberösterreichs.

Häuser für alle

Nach wie vor fahren die Bagger auf. Obwohl es in Österreich im europäischen Vergleich die größten Supermarktflächen (1,67 Quadratmeter pro Kopf, Italien: 1,03) und eines der dichtesten Straßennetze (15 Meter pro Kopf, in Deutschland sind es 7,9 Meter) gibt. Schon jetzt stehen in Österreich laut Statistik Austria genug Ein-und Zweifamilienhäuser herum, um allen Menschen in diesem Land den Traum vom Eigenheim zu ermöglichen, hat das Architekturzentrum Wien für seine Ausstellung "Boden für Alle", die derzeit in Salzburg zu Gast ist, ausgerechnet. Alle leer stehenden Häuser und Industrieflächen zusammengezählt, sind laut Umweltbundesamt 400 Millionen Quadratmeter ungenutzt.

»Es gibt in Österreich bereits doppelt so viel anthropogene Masse wie Biomasse«

Warum diese Zahlen bedenklich sind? Ein paar Beispiele: Versiegelte Böden erhöhen die Hochwassergefahr bei Extremwetter, wie es diesen Sommer mehrfach vorgekommen ist. Es gibt weniger freie Flächen, die Schadstoffe filtern, also gelangen diese leichter ins Grundwasser. Über Asphalt und Beton entstehen Hitzeinseln, die in Zeiten steigender Temperaturen eine zusätzliche Belastung sind. Die Artenvielfalt bei Pflanzen und Tieren schwindet. Auf zugebauten Äckern kann -eh, klar - nichts mehr angebaut werden. Wir werden bei Getreide und Feldfrüchten immer stärker von Importen abhängig. Regional konsumieren wird so immer schwieriger. Lange Transportwege belasten zusätzlich die Umwelt -und brauchen wieder Straßen.

Bei welchem Haus ist Schluss?

Bauen in Österreich -das ist ein emotionales Thema. Den meisten Menschen fällt es auf, wenn in einer vertrauten Umgebung eine Wiese nach der anderen verschwindet. Mehr oder weniger gelungene Einfamilienund Reihenhäuser, Wohnsiedlungen - wer schon schön wohnt, hätte gerne, dass Schluss ist mit dem Betonieren. Wer noch nicht am Ziel seiner Wünsche ist, meint, auf das eine Haus mehr, nämlich seines, komme es auch nicht an. Und wenn man schon baut, dann gerne in Grünruhelage, die Nachbarn möglichst außer Hör-und Sichtweite. Eine Straße bis zum Gartentürl sollte es natürlich auch geben.

In der Pandemie hat sich die Sehnsucht nach dem Wohnen im Grünen noch verstärkt. Das schlägt sich in den Preisen nieder: Laut Häuserpreisindex der Statistik Austria stiegen im letzten Jahr die Preise bei bestehenden Häusern um 11,5 Prozent, bei neuen Wohnungen und Fertigteilhäusern hingegen um "nur" um 4,3 Prozent. Auch das ist ein Grund dafür, dass viele lieber neu bauen. Bei Immobilien und Baugründen wird zudem einiges gehortet und auf noch weiter steigende Preise gewartet. Bei Umwidmungen von Grün-auf Bauland lässt sich viel Geld verdienen.

Wenig anders verhält es sich mit Straßenbauprojekten: Wer (endlich) im Grünen wohnt, will möglichst staufrei an den Arbeitsplatz, und der Transitverkehr soll sich nicht durch den Ort wälzen. Gegen neue Straßen spricht allerdings neben dem Bodenverbrauch, dass der Verkehr in Österreich einer der größten CO2-Emittenten ist. Alle Experten warnen: Neue Straßen ziehen mehr Autos an. Und natürlich auch neue Wohn-und Betriebsgebäude.

Ein zweites Hainburg?

Wie diese Interessen aufeinanderprallen, zeigt sich in Wien an den geplanten Trassen für Lobautunnel und Stadtstraße. Seit Ende August haben Klimaschützer mehrere Protestcamps errichtet und wollen den Bau stoppen. Schon wird die Situation mit dem in den 1980er-Jahren geplanten Kraftwerk Hainburg verglichen. Es war die Geburtsstunde der Grünen. Auch heute sind die Fronten verhärtet. Hier die Aktivisten, da Bürgermeister Michael Ludwig, der in Tunnel und Stadtstraße eine Entlastung der Südosttangente vom Transitverkehr und die nötige Infrastruktur für neue Stadtteile sieht.

© Österreichische Hagelversicherung - ÖHV Ein Luftbild aus dem Bezirk Wels, doch es könnte fast überall in Österreich sein. Parkplatz schlägt Wiese

Wien wächst. Bis 2048 wird die Bevölkerung um die Größe von Graz wachsen, rechnen die Stadtplaner vor. An den Stadträndern schießen die Wohnhausanlagen in die Höhe. Auch hier hadern die Alteingesessenen damit, dass Wiesen oder Gemüsegärtnereien (Wien verfügt immer noch über nennenswerte landwirtschaftliche Flächen) weichen müssen. Andererseits: Als ein Mittel gegen den Flächenverbrauch in Österreich wird Urbanisierung, die Verdichtung bestehender Ortschaften und Städte, genannt. Die SPÖ hat sich dieses Argument im Kampf im aktuellen Disput mit den Klimaschützern schon zu eigen gemacht: Wird nicht bei uns gebaut, dann eben in Niederösterreich auf der grünen Wiese, heißt es. Kommen Pendler über neue Straßen besser nach Wien, würde noch mehr im -nun durch den neuen Klimabonus auch noch finanziell bevorzugten -Speckgürtel gebaut, lautet das grüne Gegenargument.

Wie also kann man das 2,5-Hektar-Ziel überhaupt erreichen? Im grünen Nationalratsklub ist Astrid Rössler Expertin für dieses Thema. Sie war bis 2018 Landeshauptmanns-Stellvertreterin in Salzburg und unter anderem für Raumordnung und Baurecht zuständig. "Die Zeiten sind vorbei, in denen man um den heißen Brei herumredet", sagt sie.

Was geschehen muss

Also Klartext für alle Häuslbauer: "Es gibt schon jetzt genug Ein- und Zweifamilienhäuser für alle", sagt Rössler. Nur besitzen manche Menschen gleich mehrere Immobilien. "Wie viel Bodenversiegelung und Rohstoffverbrauch für Veranlagungszwecke wollen wir uns noch leisten?", fragt also die grüne Politikerin. Vorrangig für Rössler ist, die Zersiedelung zu stoppen. "Es soll keine Einzelwidmungen abseits von vorhandener Infrastruktur in peripheren Lagen geben", lautet ihre Forderung. "Neues Bauland sollte nur noch fußläufig von Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel gewidmet werden."

Gemeinden würden für "das Haus am Waldrand" mittlerweile mehrere Parkplätze vorschreiben, die mitzuerrichten sind, zudem seien solche Immobilien mit hohen Infrastrukturkosten (Straße, Strom, Wasser, Kanal etc.) für die öffentliche Hand und viel neuem Asphalt verbunden. "Es gibt mehr Verkehr, weil die täglichen Wege nicht mehr fußläufig zu erledigen sind", erklärt Rössler. "Das wiederum müssen jene Leute ausbaden, die an den Haupteinfahrtsrouten wohnen. Und die ziehen dann ihrerseits ins Grüne." In ein neues Haus.

Wenn schon gebaut wird, lautet also die Devise, dann um den Ortskern herum und als "Verdichtung" mittendrin. Dabei, so der Rat der Politikerin, sollte man sich auch gleich überlegen, ob die gepflasterte Toreinfahrt und der Schottergarten, fein säuberlich gegen "Unkraut" abgedichtet durch mikroplastikhältiges Vlies, wirklich nötig seien.

Zu viele Parkplätze

Ein weiteres Handlungsfeld seien Gewerbeimmobilien, sagt Rössler. Nicht nur, dass es in Österreich sehr viele Einkaufszentren und Supermärkte gibt, diese hätten auch noch zu viele Parkplätze. "Da gibt es gigantische Asphaltflächen, die nie ausgelastet sind", sagt sie. Pro 20 Quadratmeter Geschäftsfläche sei ein Parkplatz vorgeschrieben. In der Praxis gebe es meist viel mehr, freie Parkplätze sollen den Kunden das Gefühl geben, auch im Laden freie Bahn zu haben. Künftig sollte es nur wenige Stellplätze vor dem Laden geben, sagt Rössler, der Rest müsse unter die Erde oder aufs Dach. Und: Pro vier Parkplätze eine Grüninsel."

Ein weiteres Thema bei den Gewerbeimmobilien seien die vielen ungenutzten Flächen. Elf Millionen Quadratmeter Industrie- und Gewerbebrachen kämen jedes Jahr dazu, erklärt Rössler. Gemeinden sollten diese Flächen nicht leichtfertig aufgeben, sondern eine sinnvolle Nachnutzung überlegen. Vorbildlich sind da jene Bauprojekte mitten in Wien, bei denen auf stillgelegten ÖBB-Bahnhöfen neue Stadtteile entstehen.

»Es gibt schon jetzt genug Ein- und Zweifamilienhäuser. Wie viel Bodenversiegelung wollen wir uns noch leisten?«

Ein letzter Punkt sinnvoller Flächenmitnutzung, den Rössler vorbringt: Entlang von Straßen und Bahntrassen könne durch die richtigen Pflanzen ("Die Samen, die auf dem Heuboden liegen bleiben") Vielfalt und Artenschutz gesichert werden.

Immer wieder Widerstand

Die Entscheidung, wo was gebaut werden darf, liegt über die Raumordnungs- und Flächenwidmungszuständigkeit in erster Instanz bei den Gemeinden. In der politischen Debatte wird, zuletzt von den Neos, immer wieder gefordert, den Bürgermeistern diese Kompetenz zu entziehen. Dagegen verwahrt sich der Gemeindebund, dessen Präsident Alfred Riedl derzeit selbst dafür kritisiert wird, dass er bei Flächenumwidmungen in Grafenwörth viel Geld verdient hat. Astrid Rössler sieht den Handlungsbedarf bei den Ländern als nächster Instanz in den Verfahren: "Die Gesetze sind nicht so schlecht. Die Schwäche liegt im Vollzug, wo man genau hinschauen und auch einmal negative Bescheide ausstellen müsste."

Der Gemeindebund ist jedenfalls gegen fixe Flächenobergrenzen und fordert Reformen, die es den Kommunen u. a. ermöglichen, Bauland auf Vorrat zu erwerben, um es nachhaltig und leistbar einzusetzen. Rössler macht zudem noch den Vorschlag einer Gegenrechnung: Bei schwerwiegenden Projekten müssten dabei andere Flächen rückgewidmet oder ökologisch verbessert werden.

Zu viel "künstliche" Struktur

Helmut Haberl lehrt an der Universität für Bodenkultur und untersucht unter anderem mithilfe der Daten des europäischen Satelliten-Erdbeobachtungsprogramms Copernicus das Verhältnis von menschengemachter Struktur und Natur. Gemeint sind dabei nicht nur Häuser oder Straßen, sondern auch alles, was dort drinnen ist bzw. darauf fährt. Ergebnis: "Es gibt in Österreich etwa doppelt so viel anthropogene Masse wie Biomasse." Lange seien die anthropogenen Materialmengen und das BIP in gleichem Ausmaß gewachsen, "also rapide und exponentiell", erklärt Haberl. "Weltweit wächst die Masse an menschengemachten Materialien weiterhin massiv an." Und: "Wir verbrauchen immer mehr Ressourcen, um bereits bestehende Strukturen zu erhalten und zu verwenden. Gerade für Infrastrukturen, Gebäude, Straßenbau, Brücken und dergleichen sind gigantische Material- und Energiemengen notwendig."

Wo gebaut werden soll, mehrt sich der Widerstand - nicht nur rund um den Wiener Lobautunnel. Paul Enzendorfer etwa gehört zu jenen Menschen, die in Oberösterreich gegen die Westspange Steyr kämpfen. "Mitten durch die Felder" rund um seine Stadt würde diese Umfahrungsstraße führen, erklärt er, einige davon seien noch bewirtschaftet. "Manche Bauern haben sich vom Land schon ins Bockshorn jagen lassen, andere kämpfen, einer wurde per Bescheid gezwungen, Probebohrungen auf seinem Land zuzulassen. Es geht Richtung Enteignung."

Enzendorfer zweifelt nicht nur an der durch die Projektplaner versprochenen Verkehrsentlastung, er erwartet sogar noch mehr Autos und Lkw in der Region. Denn rund um die Westspange könnte sich ein Verkehrsnetz aufspannen, das bis zum slowenischen Seehafen Koper reicht. Güter, die dort abgeladen werden, könnten auf diesen Wegen weiter Richtung Nordeuropa transportiert werden. Dafür nötig: weiterer Straßen(aus)bau. Mehr Asphalt als Wiesen.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich im News 40/2021.