Arbeit nur mit "Grünem Pass"? "Das ist nicht ausgeschlossen"

Nikolaus Forgó ist Experte für Digitalrecht und Mitglied des Datenschutzrates. Im Interview kritisiert er, dass der Rahmen für das geplante Zertifikat viel zu weit sei. "Es gibt Alternativen".

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Corona - Arbeit nur mit "Grünem Pass"? "Das ist nicht ausgeschlossen" © Bild: Ricardo Herrgott

Wer die Pandemiepolitik von Regierungen in Frage stellt, dem kann ziemlich schnell ziemlich starker Gegenwind ins Gesicht blasen. Weniger von Politikern, sondern aus den Medien. Mehrere Schauspieler wurden wegen ihrer ironisch vorgebrachten Kritik zuletzt sogar in fragwürdige politische Milieus gedrängt oder im Umfeld von Verschwörungstheoretikern verortet.

Nikolaus Forgó baut dem im Interview vor. "Fürs Protokoll", sagt der Leiter des Instituts für Innovation und Digitalisierung im Recht der Universität Wien: "Covid-19 ist eine schwere Erkrankung. Und mit sogenannten Corona-Leugnern habe ich nicht im Entferntesten etwas zu tun."

Mit kritischer Auseinandersetzung aber umso mehr. Der 1968 in Wien geborene Jurist bezweifelt nämlich Nutzen und rechtlichen Rahmen eines jener Instrumente, die Österreich (und Europa) nach gängiger Erzählung wieder mehr Freiheit nach den Einschränkungen des Pandemiejahrs zurückgeben sollen. Die Rede ist vom "Grünen Pass", der im Endausbau in Form eines digitalen Zertifikats am Smartphone -zum Beispiel -Reisen, Restaurantbesuche oder die Teilnahme an Veranstaltungen wieder ermöglichen soll.

Passend dazu: Kann mich mein Chef zum Impfen zwingen?

Für Forgó, der als Mitglied des Datenschutzrates auch die Bundesregierung berät, schwingt in der Idee dieses Dokuments eine unzulässige Unterstellung mit. Nämlich?"Dass es mit seiner Einführung allein um die Bekämpfung der Pandemie geht." Das tue es nämlich nicht. "Deshalb ist seine Sinnhaftigkeit zu hinterfragen."

Fundamental sogar, wie Forgó argumentiert. "Denn nach allem, was wir wissen, sind die epidemiologischen Voraussetzungen nicht erbracht." Ein deutlicher Standpunkt, den er so argumentiert: "Es ist möglich, dass jemand, der heute einen Test im Sinne eines ,Grünen Passes' macht, trotzdem morgen mit ebendiesem Zertifikat in der Hand jemanden anderen infiziert. Etwa im Rahmen einer Reise. Das Gleiche gilt auch für Geimpfte, bei denen bis heute nicht ganz klar ist, ob sie das Virus nun weitertragen können oder nicht." Forgó bemängelt also die fehlende Verlässlichkeit des Zertifikats, das gleichzeitig europaweite Mobilität ermöglichen soll. "Dabei haben wir im letzten Jahr vor allem gelernt, dass gerade die Einschränkung von Mobilität die Virusverbreitung dämpft."

Pandemiemaßnahmen ohne Grenzen

Aber ist Verharren im Status quo eine Alternative? Ist es nicht einzig der "Grüne Pass", der den am Boden liegenden -und gerade für Österreich so wichtigen - Fremdenverkehr wieder in Fahrt bringen könnte?

"Auch diese Erzählung birgt eine Unterstellung", glaubt der Rechtswissenschaftler, der aufgrund seiner Expertise im IT-Recht seit Beginn der Pandemie international zu einem besonders gefragten Vortragenden via Webcam aus dem Homeoffice wurde. "Bei allem Respekt vor den Interessen der Hoteliers: Der ,Grüne Pass' ist nicht das einzige Instrument, das wir dafür haben." Welche Alternativen sieht er also?

»Wenn ich eine Alternative ohne Datenbank im Hintergrund nutzen kann, tue ich das«

"Eine gute Alternative wäre ein transnationales Pandemiemanagement auf europäischer Ebene, in dem Grenzen zwischen Staaten keine Rolle spielen. Das Schengen-System funktioniert seit Jahrzehnten, warum sollte man also nicht Maßnahmen gegen regionale Virusherde von einer höheren Ebene aus steuern können?" Ein Zertifikat zum Wiedererlangen der Reisefreiheit wäre damit gar nicht nötig - die Mobilität würde nämlich nur dann eingeschränkt, wenn es in bestimmten Regionen wegen unkontrollierter Infektionsherde notwendig wäre.

Grüner Status für Arbeitsplatz? Möglich

"Mit dem seit Jahrzehnten bewährten Impfpass nach WHO-Standard verfügen wir zudem über ein Dokument, das schon jetzt verfügbar und ausreichend sicher ist." Bedenken in Sachen Fälschungssicherheit teilt er nicht. "Es ist doch deutlich wahrscheinlicher, dass sich jemand unkompliziert impfen lässt, als dass Normalbürger besonderen Aufwand betreiben, um mit gefälschten Impfzertifikaten vom Schwarzmarkt Urlaub im Salzkammergut zu machen."

Überhaupt sei Eile bei der Umsetzung von tief in die Grundrechte eingreifenden Vorhaben ein schlechter Ratgeber. "Und dennoch wird mit dem Argument ,es drängt' sowohl in Wien als auch in Brüssel das Projekt vorangetrieben." EU-Kommission und Wiener Bundesregierung hätten nämlich mit dieser Begründung auf die eigentlich laut Datenschutz-Grundverordnung verpflichtende Folgenabschätzung des Vorhabens verzichtet. Und ebendieser Prozess sei deutlich mehr als bloß Bürokratie.

"Hätte man die Folgenabschätzung gemacht, dann würden wir nun lebhafter darüber diskutieren, wofür und von wem die Daten aus dem ,Grünen Pass' künftig noch verwendet werden könnten." Forgó sagt, dass er den Teufel nicht an die Wand malen wolle, aber: "Weder die Union noch die österreichische Bundesregierung haben ausgeschlossen, dass künftig auch Private die Daten des Zertifikats nutzen."

Arbeitgeber zum Beispiel, die fragen, ob jemand geimpft ist oder "nur" krank war und damit ein Risiko trägt, unter den Folgen von Long Covid zu leiden. In den unterbliebenen Folgenabschätzungen hätten Experten zumindest dargestellt, was so ein Zertifikat bedeuten kann. Nämlich, dass man für das Wiedererlangen von Reisefreiheit womöglich in Kauf nimmt, dass ein anderer den Job bekommt, weil der eben nicht unter Long-Covid-Symptomen leidet. " Natürlich, das kann man paranoid finden. Man kann aber auch versuchen, solche Prozesse auf eine solide Basis zu stellen."

Zentrale Datenbank als Risiko

Und Österreich?"Österreich", glaub Forgó, "geht in Bezug auf die Sicherheit des digitalen Zertifikats nach jetzigem Stand ein besonderes Risiko ein." Im Hintergrund sei eine zentrale Infrastruktur geplant. "Zentrale Datenbanken stellen bei so sensiblen Informationen wie Gesundheitsdaten jedoch eine potenzielle Gefahrenquelle dar."

Länder wie die Niederlande würden diesbezüglich bessere, vor allem aber sicherere Wege gehen. Ebendort speichere man die sensiblen Informationen in der digitalen Variante des Zertifikats ausschließlich dezentral auf den Endgeräten der Nutzer und versehe sie mit Verschlüsselungen. "Bei einem Angriff oder Datenleak beschränkt sich der Schaden dann auf einzelne Personen. Geschieht das jedoch bei einer Datenbank, sind mit einem Schlag Hunderttausende - oder mehr - betroffen."

Ob Forgó selbst den "Grünen Pass" in der österreichischen Variante nutzen werde? "Ich bin Rechtswissenschaftler und würde eine allfällige Verpflichtung dazu natürlich befolgen. Wenn ich jedoch eine alternative, sichere und ordentlich geprüfte Möglichkeit ohne zentrale Datenbank im Hintergrund verwenden kann, dann werde ich das tun."

Der Plan der Regierung

Ab 19. Mai sind Covid-Geimpfte mit Genesenen und negativ Getesteten gleichgestellt. Sie dürfen dann auch ohne gültiges Testergebnis und nur mit Impfnachweis -zum Beispiel -zum Friseur oder ins Restaurant. Gültig ist der Nachweis frühestens drei Wochen nach Erhalt der ersten Impfdosis. Zu Beginn kommt noch der Impfpass in Papierform zum Einsatz. Später, geplant ist ab Juni, soll der Covid-Status für alle mittels QR-Code am Smartphone erfolgen.

Kaum Abstimmung Unklar ist, wie die EU-Mitgliedstaaten ihre zum Teil unterschiedlichen technischen Lösungen gegenseitig anerkennen. Österreich drängt mit dem Argument des eminent wichtigen Tourismus auf besonders rasches Vorgehen und arbeitet deshalb an einer Einzellösung. Bundeskanzler Sebastian Kurz rechtfertigt das damit, dass die Wirtschaft keine Zeit mehr habe, auf eine EU-Lösung zu warten. Kommt diese Lösung doch, bleibt der Republik das Risiko unnötiger Kosten.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich im News 18/2021.