Grüne Tragödie
und blauer Triumph

In Wien-Neubau kassierten die Grünen ihr stärkstes Minus. In Untersiebenbrunn kann die FPÖ bei der Nationalratswahl 13,7 Prozentpunkte dazugewinnen. Was ist passiert? News begab sich auf Lokalaugenschein.

von
Lokalaugenschein - Grüne Tragödie
und blauer Triumph

Wenn der Bobo leise Servus sagt

Wien-Neubau beherbergte einst den grünen Paradewähler. Nun fährt die Partei hier den größten Verlust ein. Eine Spurensuche im Gespräch mit ehemaligen Grün-Wählern.

Wien-Neubau
© Heinz Stephan Tesarek Wien-Nebau

Astrid sitzt im hintersten Winkel eines Trödelladens in der Neubaugasse im 7. Wiener Gemeindebezirk. In einem abgenutzten Lehnstuhl zwischen kitschigen Porzellanfiguren, Lampen aus früheren Zeiten und Plastikblumen zündet sich die Frau mit selbst gehäkelter Stola um die Schultern eine Zigarette nach der anderen an. Ein bisschen Trash, ein bisschen Vintage - genau das mag man hier im Epizentrum der Bobos.

Hinter ihr am Regal baumelt ein kleiner Teddybär mit blauem Lätzchen, auf dem in gelben Buchstaben "HC" steht. Astrid nimmt das einstige Werbegeschenk der FPÖ in die Hand. "Da stecken wir unsere Hutnadeln hinein", sagt sie und grinst hämisch beim Anblick des kleinen Voodoo-Bären. Hier in Wien-Neubau ist die FPÖ das kollektive Feindbild. Was nicht wundert, galt der Bezirk jahrelang als Hochburg der Grünen. Er war der erste in Wien mit einem grünen Bezirksvorsteher. Und bei den Nationalratswahlen 2013 bekam die Partei hier mit 32,4 Prozent die meisten Stimmen.

Bobostan rebelliert

Aber das in Wien gern leicht abschätzig genannte "Bobostan" hat sich verändert. Das zeigt das Ergebnis der Nationalratswahl, bei der die Grünen so viel wie nirgendwo anders in Österreich verloren haben, nämlich über 20 Prozentpunkte. Zwar muss die FPÖ hier immer noch als Synonym für verachtenswerte Politik herhalten, aber die Antithese dazu sind nicht mehr die Grünen. "Ich habe immer Grün gewählt. Aber es ist zu viel vorgefallen. Sie sind unwählbar geworden", meint Astrid, die in Neubau lebt und arbeitet. Besonders habe sie die Demontage von Peter Pilz gestört, aber auch der Rauswurf der Jungen Grünen sowie der Umbau der Mariahilfer Straße in eine Fußgängerzone seien ein "Schuss ins eigene Knie" gewesen. Schuld an derlei Fehlentscheidungen seien "diese keifenden Weiber Frau Vassilakou, Frau Glawischnig und Frau Korun - sie haben meine Partei zerstört". Deswegen habe sie diesmal auch die Liste Pilz gewählt. Weniger wegen Peter Pilz, sondern wegen Sebastian Bohrn Mena. "Er ist ein echter Tierschützer. Die Grünen haben ja schon lange nichts mehr wirklich Grünes gemacht", sagt die Neubauerin und dämpft eine Zigarette im übervollen Aschenbecher vor ihr aus.

Im Auszug aus dem Nationalrat sieht Astrid eine Chance für die Grünen. "Jetzt können sie sich neu aufstellen und eine echte Umweltschutz-Partei werden." Zudem solle sich die Partei um jene Themen kümmert, die die Leute beschäftigen. "Die Grünen sind so blauäugig. Viele, die über die Grenze gekommen sind, sind tatsächlich nicht gut. Da muss man aussortieren. Das kann man aber besprechen, ohne in Richtung Strache zu gehen."

Sich thematisch breiter aufzustellen, hält auch Student Sebastian für sinnvoll. Der 24-Jährige trägt Zopf und schwarzen Pullover und sitzt gerade mit Freunden in einem Café in der Burggasse. "Den Grünen geht es nur um Frauen und Umwelt. Aber sie sollten auch Lösungsvorschläge für aktuelle Themen bringen", sagt der einstige Grün-Wähler.

Zarte Wehmut

Ein paar Straßen weiter in der Kirchengasse wartet Melanie vor einem Kindergeschäft mit Bio-Stramplern und Bambus-Schmusetüchern auf ihre Freundin. Sie findet es schade, dass es die Grünen nicht in den Nationalrat geschafft haben. Die Gründe dafür seien aber klar. "Viele haben die SPÖ gewählt, um Schwarz-Blau zu verhindern. Das Genick gebrochen hat ihnen aber der Rauswurf von Peter Pilz", sagt die 37-jährige Angestellte.

Auch Bettina, Ärztin und Hobby-Footballerin, stören vor allem die innerparteilichen Querelen der Grünen wie das "Hin und Her bei der Heumarkt-Abstimmung und das Loswerden altbewährten Personals". Bisher habe sie immer Grün gewählt, diesmal aber Liste Pilz. "Wenn sie sich zusammenraufen, wähle ich sie auch wieder", so die 30-Jährige.

Sicher nicht mehr gewählt werden die Grünen hingegen von einer älteren Dame, die anonym bleiben will. Sie arbeitet seit 13 Jahren im Bezirk. "Ich habe früher Grün gewählt, aber seit dem Umbau der Mariahilfer Straße nicht mehr. Die Grünen sind wie eine Diktatur. Sie bestimmen einfach Dinge, die kein Mensch braucht." Vor lauter Zorn wähle sie jetzt Blau. "Und letzte Woche bin ich der FPÖ sogar beigetreten."

( von Valerie Krb)


Die Wahl am Stammtisch gewinnen

In der niederösterreichischen Gemeinde Untersiebenbrunn hat die FPÖ 13,7 Prozent zugelegt. Der bundespolitische Rückenwind ist günstig und das Team vor Ort engagiert.

Untersiebenbrunn
© Heinz Stephan Tesarek Untersiebenbrunn

Auf den ersten Blick sieht Untersiebenbrunn ruhig und nett aus. Einfamilienhäuser. Ein Bäcker, eine Kirche, eine Trafik zwei Gasthäuser, ein paar als harmlos beschriebene syrische Flüchtlinge. Aber man soll sich nicht täuschen. "Man hört sehr viel", erzählt eine Passantin, die mit ihren beiden Hunden spazieren geht. "Jeder fürchtet sich in der Dämmerung. Als Frau überhaupt." Aber noch scheint die Herbstsonne. Frau Helga, Lucy und Benji jausnen bei der Trafikantin ein Hundekeks und ziehen weiter.

Tischtennistisch

Die Bewohnerinnen und Bewohner von Untersiebenbrunn haben am vergangenen Sonntag bemerkenswert gewählt: Die FPÖ gewann 13,7 Prozent dazu und ist jetzt mit 40,3 Prozent stärkste Partei. Die SPÖ verlor im selben Ausmaß und belegt mit 27,5 Prozent nur mehr den zweiten Platz, knapp vor der ÖVP, die neun Prozent zulegen konnte. Warum? Die Antwort hat nicht nur mit Dämmerung und Flüchtlingen, sondern auch mit einem Tischtennistisch im Hinterzimmer des Gasthauses Summerer zu tun. Und mit Dieter Dorner.

Seit 2013 arbeitet er mit einigen anderen Emsigen am Aufbau der FPÖ in der Gemeinde Untersiebenbrunn. Und füllt damit eine Lücke. "Wir machen einmal die Woche einen Stammtisch. Wir laden die Leute aktiv ein, zu uns zu kommen und Fragen zu stellen. Wir organisieren zweimal in der Woche einen Tischtennisabend, zu dem alle kommen können, nicht nur FPÖ-Sympathisanten. Man muss halt auf die Leute zugehen. Die anderen Parteien machen das nicht." Außerdem, räumt Dorner ein, komme ihnen der Bundestrend entgegen. "Die FPÖ war die erste Partei, die 2015 vor den Flüchtlingsströmen gewarnt hat. Strache macht seit Jahren einen guten Job als Parteichef. Und es wird bei uns nicht so viel gestritten. Das Streiten in der Politik stört die Leute am meisten."

Apathie

Im Gasthaus Summerer wird zwar nicht gestritten, aber politisiert. Holzvertäfelung, Resopaltische, die garantiert schon ein paar Jahre hier stehen. Ein Teller Speck auf dem Tisch. Bis vor ein paar Jahren, erzählt Helmut Szele, Schriftführer der FPÖ Untersiebenbrunn, waren die Verhältnisse hier geordnet. "Das war eine rote Ortschaft, der Rest war schwarz. Vier Kommunisten hat es gegeben, aber die sind schon gestorben. Jetzt gibt es wieder vier, aber wer die sind, weiß man nicht mehr." Früher habe er schwarz gewählt, erzählt Szele, "das war halt so". Aber seit ein paar Jahren ist alles anders. Ein wendiger Parteifunktionär, der die Apathie der etablierten Parteien geschickt zu nützen weiß, eine gesamtpolitische Situation, die viele Menschen verunsichert und nur schwer zu beantwortende Fragen aufwirft; die Bedingungen sind für die FPÖ derzeit ideal.

Zu achtzig Prozent, schätzt Helmut Szele, beschäftige die Leute die "Asylantengeschichte":"Ich komme als Selbstständiger viel herum. Wenn man früher um neun Uhr in der Früh in ein Café gegangen ist, ist nie politisiert worden. Jetzt ist das anders. Viele regt auf, dass die Einwanderer so viel Geld kriegen und bei uns müssen alte Leute mit 600 Euro im Monat auskommen."

Oder die Sache mit den Flüchtlingen im Ort. "Wir haben sie natürlich gerne aufgenommen. Aber jetzt stellt sich heraus, sie kommen zwar aus Syrien, aber gar nicht aus dem Kriegsgebiet. Und als man einen dazu bringen wollte, dass er in der Gemeinde mithilft, hat er gesagt, er zieht nach Wien, da zwingt ihn keiner zur Arbeit. Jetzt schaut die Sache natürlich schon ganz anders aus."

Schweinefleisch

Im Hinterzimmer, bei der Tischtennisrunde, sitzt ein anderer Kriegsflüchtling. Der Bosnier Samir Kobiljak und seine Frau Susi leben seit 1989 in Österreich, seit 2007 in Untersiebenbrunn. Im März eröffneten die beiden einen Greißler im Ort. "Dino's Feinkost", hört man, führt die besten Leberkässemmeln. Mehr Integration ist nicht denkbar. "Ich bin als Moslem geboren, aber ich liebe Schweinefleisch", sagt Samir. Und: "Es gibt Leute, die sagen Scheiß-Tschusch, aber noch mehr sagen: Das ist unser Bosnier." Wen er am Sonntag gewählt hat, will er nicht sagen. Er pflege zu allen im Ort gute Kontakte. Aber zumindest in einem Punkt könne er die Politik der FPÖ schon nachvollziehen: "Zuerst schau ich auf meine eigene Familie und dann auf die anderen. Bevor ich mich um Syrien kümmere, kümmere ich mich um mein eigenes Land."

Draußen ist es inzwischen dunkel geworden. Frau Helga ist hoffentlich schon zu Hause. Ominöse Gestalten sind in der Untersiebenbrunner Hauptstraße nicht zu sehen. Aber man soll sich nicht täuschen.

(von Anna Gasteiger)