"Die grüne Partei
muss sich neu erfinden"

Stefan Rothbart über die Zukunft der Grünen

Stefan Rothbart, Gemeinderat und Fraktionsleiter der Grünen Stattegg, gewährt tiefe und ehrliche Einblicke in die krisengebeutelte Partei. Im Interview mit News spricht er über den Anfang vom Ende, große Umbrüche, verpasste Chancen und warum er sich trotz allem noch bei den Grünen engagiert.

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Die Grünen - "Die grüne Partei
muss sich neu erfinden"

News: Verstehen Sie all die ehemaligen Grün-Wähler, die sich von der Partei abgewandt haben?

Stefan Rothbart: Aus einer persönlichen Perspektive verstehe ich sie. Es ist nachvollziehbar, ja.

Warum? Wo lässt sich bei den Grünen der „Anfang vom Ende“ festmachen?

Der Abstieg der Grünen hat nicht erst mit dem Abgang von Peter Pilz oder dem Rauswurf der Jungen Grünen begonnen, sondern bereits lange davor. Umfrage-Rohdaten zeigen einen Abwärtstrend von dem Zeitpunkt an, als Christian Kern damals die SPÖ übernommen hat. Einen zusätzlich markanten Einschnitt lässt sich bei der Übernahme der ÖVP durch Sebastian Kurz erkennen. Die Grünen haben auf die sich verändernde politische Situation nicht reagiert.

»Der Abstieg der Grünen hat nicht erst mit dem Abgang von Peter Pilz begonnen«

Was genau haben die Grünen falsch gemacht?

Wenn man die politische Landschaft in Europa ansieht, merkt man, dass traditionelle und staatstragende Parteien angegriffen und geschwächt sind. Österreich ist Teil dieser Entwicklung. Bei den Grünen hat man nicht gesehen, dass sich die politische Großwetterlage zu verändern beginnt. Neue Themen sind hochgekommen. Man hätte sich mehr Gedanken darüber machen müssen, wie man sich mitverändern kann.

Was meinen Sie damit?

Ich vergleiche das gerne mit Konzernen: Nokia war vor einigen Jahren noch der größte Mobiltelefonhersteller. Dann kam Apple. Das Smartphone wurde erfunden, plötzlich war ein besseres Produkt am Markt und Nokia verschwand von einem Tag auf den anderen. Auch bei den Großparteien haben sich die Player und politischen Programme geändert. Die Kommunikationskonzepte sind moderner geworden. Genauso wie Konzerne, kann man sich auch als politische Partei neuen Trends und Entwicklungen nicht entziehen. Im besten Fall setzt man selbst die Trends, wenn nicht, dann muss man sie trotzdem mitmachen.

Sie waren auch geschwächt – schließlich sind viele Ressourcen in die Präsidentschaftswahl geflossen. War es das, im Nachhinein betrachtet, wert? Van der Bellen hat diese Woche nun endgültig die neue Schwarz-Blaue Regierung angelobt.

Ich denke schon, dass es das wert war. Die Alternative wäre ein blauer Bundespräsident gewesen. Ich halte nichts von Alarmismus, aber ich finde es gut, dass der Bundespräsident ein politisches Gegengewicht darstellt. Ein Kräftegleichgewicht ist in einem demokratiepolitischen Prozess immer wünschenswert.

Was ist nach der Nationalratswahl intern passiert?

Vor der Wahl verharrten die Grünen lange in einem „politischen Elfenbeinturm“. Das heißt, egal, was sich politisch getan hat, die Grünen konnten davon nicht profitieren. Gleichzeitig schien es so, als ob ihnen aber auch nichts schaden könnte. Inhaltlich hat sich da nicht viel getan. Doch dann kam das dramatische Ergebnis der Nationalratswahl. Und der Elfenbeinturm stürzte ein. Ob das mittlerweile wirklich alle realisiert haben, ist eine andere Sache. Da bin ich mir nicht so sicher. Aber die Schonfrist ist längst vorbei. Das muss man mit einer deutlichen Klarheit sagen. Aus meiner Perspektive herrscht jetzt aber eine Offenheit kritischen Positionen gegenüber. Eine Offenheit, die vorher nicht existierte.

Was muss sich bei den Grünen nun ändern?

Vieles. Wenn man aus dem Parlament hinausgewählt wird und zwei Drittel seiner Wähler und Wählerinnen verliert, ist ja etwas Gröberes schief gelaufen. Jetzt zu sagen, es passt eh alles und wir müssen nur dieses oder jenes ändern, wäre einfach nur falsch. Die grüne Partei muss sich neu erfinden.

»Wenn man aus dem Parlament hinausgewählt wird und zwei Drittel seiner Wähler und Wählerinnen verliert, ist ja etwas Gröberes schief gelaufen.«

Und wie?

Seit 30 Jahren gibt es in Österreich grüne Politik. Das Wesentliche, wofür die Grünen eingetreten sind, ist passiert. Umweltschutz und viele gesellschaftspolitische Themen sind aus dem politischen Diskurs nicht mehr wegzudenken. Keine Partei kann es sich heutzutage leisten, gegen Umweltschutz oder Frauenrechte einzutreten. Das sind mitunter grüne politische Errungenschaften. Nun gilt es zu überlegen, was weitere Entwicklungsfelder grüner und linker Politik sein könnten.

Welche Entwicklungsfelder wären das?

Ich glaube, man sollte sich wieder vermehrt auf den Umweltschutz konzentrieren. Klimaschutz an sich ist zu abstrakt, denn jeder denkt sich „Was kann ich als Einzelner schon für den Klimaschutz machen?“. Umweltschutz ist fassbarer, Umweltschutz ist zum Beispiel Müll zu trennen oder versuchen zu vermeiden. Das zweite große Themenfeld liegt in der Sozialpolitik. Man muss sich noch viel stärker Herausforderungen wie der Digitalisierung und der damit einhergehenden Veränderung des Arbeitsmarktes widmen. Wir stehen jetzt an einer Schwelle. Das Verhältnis zu Arbeit wird sich verändern wie sich auch das ganze Wirtschaftssystem verändern wird müssen. Ich bin überzeugt davon, dass die Grünen hier auf innovative Konzepte setzen sollten, wie beispielsweise auf das Bedingungslose Grundeinkommen.

Die Grünen sitzen derzeit auf einen Schuldenberg von fünf Millionen Euro. In Tirol, Kärnten, Salzburg und Niederösterreich wird es deshalb nur einen „reduzierten“ Wahlkampf geben. Wie wird sich das Ihrer Meinung nach auf die Ergebnisse auswirken?

Dazu habe ich zu wenig Einblick und es wäre meinen Kollegen in den anderen Bundesländern gegenüber nicht fair, hier eine Einschätzung abzugeben. Ich finde aber, dass die Stärke der Grünen auf der Kommunal- und Landesebene liegt. Die grüne Kernthematik lässt sich hier am besten umsetzen.

Zum Beispiel?

Zum Beispiel bei umwelt- und raumpolitischen Themen. In Österreich gibt es pro Tag einen Flächenverlust von 20 Hektar. Im europäischen Vergleich ist das ein negativer Rekordwert. Die Raumordnung ist eine Rechtsmaterie, die auf landes- und kommunalpolitischer Ebene entschieden wird. Deshalb wäre hier grüne Politik sehr gefragt. In den Gemeinden in Graz-Umgebung gibt es eine zehnprozentige Wachstumsrate, was die Verbauung betrifft. Wenn man hier nicht entgegensteuert, wäre schnell viel Grünfläche zubetoniert und damit auch Naherholungsflächen verloren. Es geht um die aktive Gestaltung unserer Lebensräume und um Lebensqualität.

Warum engagieren Sie sich noch bei den Grünen?

Ich engagiere mich bei den Grünen, weil ich überzeugt davon bin, dass es grüne Politik auf dieser Kommunalebene braucht. Grüne Politik muss unmittelbar bei den Wählern und Wählerinnen stattfinden, und das ist hier möglich. Es ist die persönlichste Ebene. Hier kann ich im Kleinen viele grüne Themen einfache und unbürokratisch verwirklichen. Ich persönlich habe den Anspruch, in meiner Gemeinde eben ein möglichst lebenswertes Umfeld zu entwickeln.

»Die Bevölkerung wird merken, dass es die Grünen braucht«

In ihrem Bundesland, der Steiermark, finden die Landtagswahlen erst 2020 statt. Wird es die Grünen bis dorthin überhaupt noch geben?

Auf jeden Fall. Eine Auflösung wird es davor nicht geben. Und ich bin mir sicher, dass die steirischen Grünen in den Landtag einziehen werden. Die Bevölkerung wird merken, dass es die Grünen braucht. Nur, weil sie auf Bundesebene abgewählt wurden, muss das nicht zwangsläufig auf die Landes- oder Kommunalpolitik zutreffen.

Am 17. Februar soll der Neustart der Partei erfolgen. Was kann man sich hier erwarten?

Ich glaube, hier kann man noch keine Einschätzung vornehmen. Der Entwicklungs- und Wandlungsprozess ist im Gange. Von meiner Basisperspektive aus gesehen, lässt sich aber noch nicht sagen, in welche Richtungen das gehen wird.

Was macht eine starke Linke 2018 aus?

Eine starke Linke gibt es 2018 nicht mehr. Der europaweite Trend ist, dass rechte Parteien hochgekommen sind, einige sogar in Regierungsverantwortung. Die linke Politik ist am absteigenden Ast. Wobei sich auch hier ein Nord-Süd-Gefälle feststellen lässt. In Nordeuropa sind eher rechte Parteien stark, in Südeuropa linke.

»Eine starke Linke gibt es 2018 nicht mehr«

Abhängig ist das allerdings immer von den Themen. Hier gibt es im Norden und Süden Überschneidungen. Ausschlaggebendes Moment ist die soziale Gerechtigkeit im Sinne einer Verteilungsgerechtigkeit. Jene Partei, die sich diesem Thema annimmt, wird Zukunft haben. Egal ob links oder rechts. Außerdem gehe ich davon aus, dass es irgendwann wieder eine politische Umkehrwende geben wird, wo linke Parteien im Aufwind sein werden.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Grünen in Österreich?

Ich wünsche mir, dass es in Zukunft eine grüne Partei geben wird. Und dass dieser Einbruch nur temporär sein wird. Dass wir daraus unsere Lehren ziehen und richtige Entscheidungen treffen, um in den nächsten Jahren zu einer politischen Kraft zu werden, die wieder mitspielt. Gesellschaftlich gesehen gibt es auf jeden Fall einen Bedarf für grüne Politik.

© Christian Plach

Stefan Rothbart studiert Geschichte, Politikwissenschaften, Global Studies, Wirtschafts- und Rechtsphilosopie an der Karl-Franzens-Universität Graz, ist freischaffender Autor und seit 2010 Gemeinderat sowie Fraktionsleiter der Grünen Stattegg.