Grüne: Wie überlebt man
außerhalb des Parlaments?

Aus dem Nationalrat zu fliegen war bisher stets ein "Todesurteil" für Parteien

Auch bevor heute das Endergebnis verkündet wird, ist fix, dass die Grünen dem neuen Nationalrat nicht mehr angehören. Für eine Partei der Super-GAU: Politisch, organisatorisch und finanziell. Noch nie hat es eine Gruppe in Österreich geschafft, ein zweites Mal einzuziehen. Doch die Chancen der Grünen stehen noch vergleichsweise gut.

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NR-Wahl - Grüne: Wie überlebt man
außerhalb des Parlaments?

Es war ein wehmütiges Bild, das die grüne Bildungssprecherin Sigi Maurer Montagabend auf Twitter teilte: Gläser und eine Flasche Sekt auf einem Balkon, im Hintergrund die Abenddämmerung über der Wiener Innenstadt: "Wir betrinken uns mal auf dem Balkon vom noch-grünen Parlamentsklub. Ich war echt sehr gerne Abgeordnete", schrieb sie dazu. Nach 31 Jahren waren die Grünen am Vortag aus dem Nationalrat geflogen. Mit maximal 3,9 Prozent (das Endergebnis gibt es erst am Donnerstag) scheiterten sie knapp an der Vier-Prozent-Hürde. Noch am Dienstag, als deutlich wurde, dass es auch mit Wahlkarten nicht reichen wird, traten Parteichefin Ingrid Felipe und Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek von ihren Ämtern zurück.

Die Partei, seit Jahrzehnten als vierte politische Kraft im Land etabliert, steht vor einem Trümmerhaufen. Erwartet hatte dieses Ergebnis wohl kaum jemand von ihnen: Obwohl sämtliche Umfragen einen massiven Absturz vorhersagten, sahen sie auch alle knapp wieder im Nationalrat. Ausgerechnet Peter Pilz, der 1986 unter den ersten grünen Abgeordneten war, überholte mit seiner Abspaltung die Mutterpartei – und bleibt dem Parlament erhalten. Wie kann es mit den Grünen nun weitergehen? Für eine Oppositionspartei ist das Wirken im Nationalrat der Kern ihrer politischen Arbeit. Auch personell und finanziell ist der Parlamentsklub quasi das Herzstück. Hier hatten die Grünen zuletzt rund 80 Mitarbeiter (diese verlieren ebenso ihren Job wie etwa 40 Parteiangestellte) und erhielten 2017 3,4 Millionen Euro Klubförderung.

Im Video: Grüne Schadensbegrenzung in den Ländern

Die größte mediale Bühne verschwindet

Bundespolitisch verlieren sie damit fast jede Mitwirkungsmöglichkeit und die größte politmediale Bühne des Landes. Außerparlamentarische Parteien werden in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Auch der ORF muss ihnen gesetzlich keine Beachtung schenken. Historisch betrachtet war der Nichteinzug in den Nationalrat daher bisher stets der "Todesstoß" für österreichische Parteien: Noch nie hat eine einmal rausgefallene Partei später den Wiedereinzug geschafft. Für KPÖ, LIF und BZÖ war mit dem erstmaligen Scheitern Schluss. Und dennoch verfügen die Grünen wohl über die bisher besten Voraussetzungen einer Partei, sich eines Tages wieder zurück in das Parlament zu kämpfen.

»Historisch betrachtet war der Nichteinzug in den Nationalrat bisher stets der "Todesstoß" für österreichische Parteien«

Wichtig, um die Krise "durchtauchen" zu können, wird vor allem die Verankerung der Grünen auch in den Ländern sein. Die Partei ist in allen neun Landtagen vertreten, in fünf Ländern ist man sogar an der Regierung beteiligt. Zunächst werden die Landesparteien den Bundes-Grünen finanziell aushelfen müssen: Die Bundespartei hat fünf Millionen Euro Schulden. Hier würden sich die Landesorganisationen aber "solidarisch" zeigen, hieß es. Dennoch wurde bereits am Mittwoch neben dem Abbau fast aller Mitarbeiter auch der Auszug aus der Parteizentrale am Wiener Rooseveltplatz bekannt gegeben. Danach wird es auch an den Landesparteien liegen, mit ihrer Arbeit in den Landtagen und Landesregierungen dafür zu sorgen, dass die Grünen nicht völlig aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit verschwinden.

Neben der Struktur auch politische Vorteile

Zugleich besteht für die Landes-Grünen aber die Gefahr, vom Absturz der Bundespartei mitgerissen zu werden. Im Frühjahr nächsten Jahres stehen vier Landtagswahlen (Tirol, Kärnten, Niederösterreich und Salzburg) an. Bundespolitische Tendenzen schlagen sich hier in aller Regel nieder. Ebenso ist es aber möglich, mit positiven Ergebnisse eine "Trendwende" zu signalisieren. Von den Ländern abgesehen sind die Grünen noch auf lokaler Ebene mit hunderten Gemeinderäten, im EU-Parlament und im Bundesrat vertreten. Neben strukturellen Vorteilen gegenüber früher ausgeschiedenen Parteien gibt es auch politische: Viele frühere Grünwähler gaben bei dieser Wahl der SPÖ ihre Stimme, um Platz eins für Sebastian Kurz und eine schwarz-blaue Koalition zu verhindern. Diese Situation könnte bei der nächsten Wahl eine andere sein. Und es ist völlig unklar, wie es mit der grünen Hauptkonkurrenz, der Liste Pilz, weitergeht. Zerstreitet sich die ideologisch recht bunte Truppe etwa, könnten auch hier Wähler in die grüne Heimat zurückkehren.