"Keine neuen Anreize
für das Auto schaffen"

Klimaschutzministerin Leonore Gewessler erklärt, wie sie die Menschen in die Öffis locken will und warum Tempolimits gut für alle sind

von Politik - "Keine neuen Anreize
für das Auto schaffen" © Bild: Ricardo Herrgott

Sie verhandeln Ihr erstes Budget als Klimaschutzministerin. Wie mühsam ist es, dem Finanzminister mehr Geld abzuringen?
Wir sind mitten in den Verhandlungen. Aber wir sind uns einig, dass der Klimaschutz eines der zentralen Projekte dieser Regierung ist.

Und Klimaschutz braucht viel Energie, frischen Wind und viel Geld?
Klimaschutz braucht auch Investitionen. Wir arbeiten daran, dass wir Projekte schon im Übergangsbudget 2020 haben. Das diskutiere ich mit dem Finanzminister, aber das ist nicht mühsam.

Was muss denn im Budget stehen, damit man den Grünen nicht vorwerfen kann, sie hätten sich schon wieder von der ÖVP über den Tisch ziehen lassen?
Ich bitte um Verständnis, dass wir die Verhandlungen nicht über News führen. Sie können davon ausgehen, da wird ein Plus davorstehen, den Rest gibt es zur Budgetrede.

Eines Ihrer großen Projekte ist das 1-2-3-Ticket für den öffentlichen Verkehr. Kann man also davon ausgehen, dass im Budget mehr Investitionen in die Infrastruktur zu finden sein werden? Es muss ja auch dieses Angebot für die Öffi-Nutzer attraktiv sein.
Klimaschutz braucht den gesamten Instrumentenkoffer. Der Verkehrssektor ist leider seit vielen Jahren das Sorgenkind, weil hier die Emissionen in die falsche Richtung gehen. Sie steigen, statt zu sinken. Daher haben wir bei der Mobilität drei Aufgaben: erstens Infrastruktur zu schaffen. Das Zweite ist: Was ist auf dieser Infrastruktur unterwegs? In welchem Takt und in welcher Qualität gibt es öffentliche Verkehrsmittel? Das ist mir auch deswegen ein Anliegen, weil ich selber aus einem kleinen Dorf in der Steiermark komme. Ich weiß, wie das ist, wenn man Samstagabend ins Kino gehen will, und der Bus fährt vielleicht noch in die Stadt, aber nicht mehr zurück. Und drittens, das ist eines meiner wirklichen Herzensprojekte und erfreulicherweise bei vielen Menschen das beliebteste Projekt aus dem Regierungsprogramm: das 1-2-3-Ticket. Ein Euro pro Tag für ein Bundesland, zwei Euro für zwei und drei für ganz Österreich. Das alles soll dazu führen, dass öffentliche Mobilität die erste Wahl ist, weil sie bequem und leistbar ist.

Kritiker sagen, man fördert so nur Menschen, die ohnehin mit den Öffis fahren.
In einigen Bundesländern - Wien, Vorarlberg, Tirol, Salzburg -gibt es ja schon Vergleichbares. Und in all diesen Ländern zeigt sich, dass der Anteil der Öffi-Nutzer steigt. Darum möchte ich da rasch weiterkommen.

In vielen Bundesländern hat man jahrelang gegen den Protest der Bevölkerung Nebenbahnen stillgelegt. Könnten die nun wieder in Betrieb genommen werden?
Das öffentliche Netz wird auf vielen Bausteinen beruhen. Sein Rückgrat ist die Bahn, dann gibt es den Bus und bis in kleinere oder ländliche Gebiete wird vielleicht der letzte Kilometer ein Anrufsammeltaxi oder Ridesharing sein. Aber natürlich hat die Bahn eine zentrale Stellung in diesem System, deshalb wollen wir in Kapazitäten, die wir haben, aber auch in zusätzliche investieren. Mit einem Programm "Zielnetz 2040" schauen wir uns an: Wo wollen wir hin, welche Infrastruktur brauchen wir, damit wir die Klimaziele erreichen?

Investitionen in Infrastruktur, das hieß bisher: Autobahnen und Schnellstraßen. Jeder Landeshauptmann hatte da seine Lieblingsprojekte. Wie stehen Sie zu Autobahnwünschen, z. B. im Waldviertel?
Generell: Warum ist es wichtig, Infrastrukturprojekte zu diskutieren? Was ich jetzt baue, steuert das Mobilitätsverhalten für viele Jahrzehnte. Deshalb ist es so wichtig, dass man diese Projekte gesamthaft betrachtet. Wir wollen mit einem Mobilitätsmasterplan anschauen, was wir insgesamt für die Infrastrukturplanung tun müssen. Was brauchen wir, wenn wir garantiert mobil sein und unsere Klimaziele erreichen wollen? In diesem Rahmen sollen sich Projekte entwickeln.

In den Bundesländern argumentiert man dann oft, Autobahnen verhinderten das Aussterben des ländlichen Raums. Pendler kämen leichter zur Arbeit, Betriebe würden sich bei einer Autobahnabfahrt eher ansiedeln. Was wäre Ihr Gegenangebot?
Regionalentwicklung müssen wir breit sehen und breit diskutieren. Eines der zentralen Anliegen der Bundesregierung ist es, den ländlichen Raum attraktiv und lebenswert zu halten und zu machen. Dazu braucht es eine Infrastruktur, die man weiter sehen muss als nur Straße. Regionalentwicklung hat viele Aspekte, und das Schöne ist, dass Klimaschutz einer der wichtigsten ist. Wenn wir moderne Konzepte von Arbeit fördern, ist es leichter, vor Ort zu arbeiten, und man muss weniger pendeln. Erneuerbare Energien -ein Windrad macht Wertschöpfung vor Ort. Wer baut die Photovoltaik auf das Dach oder tauscht die Heizung? Das sind lokale Betriebe. Ich bin überzeugt, beim Wettbewerb der Zukunft geht es nicht mehr um das billigste Produkt, sondern um das ökologischste, regional erzeugte. Sich mit Weitblick und Klarheit darauf vorzubereiten und diesen Weg auch gemeinsam zu beschreiten, ist die Aufgabe der Klimaschutzpolitik. In Summe ist das ein Programm der Chancen.

Zu dem auch eine ökosoziale Steuerreform gehören wird. Viele befürchten, dass ihr Leben teurer wird, während die "Großen" nicht zur Kasse gebeten werden. Also, was werden wir spüren?
Die Grundidee der ökosozialen Steuerreform ist, dass man klimaschonendes Verhalten belohnt, klimaschädliches Verhalten bekommt hingegen einen Preis. Über Ausgleichsmaßnahmen soll sich das Ganze aber die Waage halten. Was ist der Sinn und Zweck? Das Steuersystem ist ein zentraler Hebel für den Klimaschutz. Wir wollen, dass es sich für jeden Einzelnen von uns und auch für die Wirtschaft rechnet, sich klimaschonend zu verhalten. Daher ist das eines der Projekte, die wir mit Hochdruck angehen, die Taskforce startet diese Woche. Sechs konkrete Maßnahmen, unter anderem die Flugticketabgabe oder die NoVA-Reform, sollen schon 2021 wirken, die langfristige Umgestaltung über die CO2-Bepreisung dann ab 2022.

Im Wahlkampf hat sich die ÖVP immer wieder für den "Pendler aus dem Waldviertel" ins Zeug gelegt, für den sich nichts verschlechtern dürfe. Was passiert denn z. B. mit der Pendlerpauschale? Von der profitieren ja eher Besserverdiener aus dem Speckgürtel größerer Städte.
Die Pendlerpauschale muss sozial gerechter werden. Derzeit ist es so: Je mehr man verdient, desto mehr hat man von ihr. Und sie muss ökologisch treffsicherer werden. Wie setzen wir Anreize, dass man mit Öffis fährt? Die Ungleichbehandlung zulasten der Öffis muss man in den Blick nehmen.

Plakativ gesagt: Der Anwalt aus z. B. Mödling, der mit dem Auto nach Wien in die Kanzlei fährt, wird eher schlechter aussteigen?
Die Pendlerpauschale ist tatsächlich eine der komplexeren Aufgaben, wie man das umgestaltet, aber deswegen umso spannender. Ich hab in meiner Familie jemand, der Schicht arbeitet. Um vier Uhr gibt es in der Steiermark in keinem Ort einen Bus. Das ist völlig klar, aber dort, wo es Alternativen gibt, muss ich nicht über das Steuersystem zusätzlich Anreize schaffen, dass man mit dem Auto fährt. Im Gegenteil.

Heißt das, man muss bei der Steuererklärung nachweisen, dass das Auto alternativlos ist? Klingt kompliziert
Wir werden darauf achten, dass jegliche Reform möglichst einfach und smart ist.

Vom Auto zum Tempo 140, das mit 1. März abgeschafft wird. Die Vorschläge des Umweltbundesamtes (UBA) für den Verkehrssektor gehen viel weiter: Tempo 100, um die Klimaziele zu erreichen. Wie stehen Sie dazu?
Kurz zu 140: Gerade im Verkehrssektor ist die Aufgabe riesig, daher muss man jeden Schritt in die falsche Richtung korrigieren. Jede Tonne CO2 macht einen Unterschied. Rückkehr zu Tempo 130 ist einfach die Rückkehr zur Normalgeschwindigkeit. Das UBA hat sich auf einer breiten Basis angeschaut, welche Maßnahmen es gibt und wie sie auf Klima und Gesellschaft wirken. Der öffentliche Verkehr ist da eine zentrale Stellschraube, aber auch "aktive Mobilität" - Anreize fürs Radfahren oder Zufußgehen. Und man hat sich auch angesehen, was Tempolimits bedeuten. Die Berechnungen zeigen, dass wir schon einen großen Schritt für die CO2-Bilanz machen würden, wenn wir uns einfach an die geltenden Limits halten würden. Das heißt, der erste Schritt wird sein, bei Tempolimits wirklich gut hinzuschauen.

Heißt das, die "Messtoleranz" von ein paar km/h -je nach Bundesland verschieden - muss weg?
Wir haben im Regierungsprogramm vereinbart, die sogenannten Messtoleranzen österreichweit zu vereinheitlichen. Wir appellieren hier an die zuständigen Länder, auf ihre Bezirksverwaltungsbehörden und Stadtpolizeikommandos einzuwirken. Der Hintergrund ist auch ein ökologischer: Laut Studie der TU Graz im Auftrag der AK Wien könnten allein durch Einhalten des Tempolimits für Lkw im hochrangigen Straßennetz fünf Prozent der CO2-Emissionen eingespart werden. Hochgerechnet auf alle Fahrzeuge, auch abseits der Autobahnen, geht es um ein Potenzial von 150.000 Tonnen CO2

Das Tempolimit zu senken wäre politisches Harakiri, das Sie nicht riskieren wollen?
Ich möchte die Diskussion nicht so eng führen. Mindestens genauso wichtig ist, wie wir es etwa über sinnvolle Rahmenbedingungen schaffen, dass emissionsfreie Pkw der Standard werden.

Norwegen peilt an, dass ab 2025 alle neu zugelassenen Fahrzeuge ohne fossile Treibstoffe fahren müssen. Und Österreich?
Wir haben uns darauf verständigt, dass das so rasch wie möglich passieren soll. Wir sind im europäischen Schnitt nicht schlecht, aber mit 2,8 Prozent der Neuzulassungen haben wir wirklich noch Luft nach oben.

Fossile Energieträger sollen auch beim Heizen bald Geschichte sein. Auch das ist für den Laien eher kompliziert, eine Wohnung von Gas oder Öl auf erneuerbare Energie umzustellen. Wird es da Unterstützung geben?
Der Gebäudebestand ist ein zentraler Baustein in der Klimapolitik. Wenn wir es schaffen, dass unsere Häuser weniger Energie brauchen und diese auch noch selber, etwa durch Photovoltaik, produzieren, haben wir einen Riesenschritt gemacht. Dazu braucht es viele verschiedene Maßnahmen. Zum Beispiel ist es bei Mehrfamilienhäusern immer noch ziemlich kompliziert, die Zustimmung für eine Photovoltaikanlage am Dach zu bekommen. Das muss einfacher werden. Das Zweite ist: Wie schaffen wir mehr erneuerbare Energien für Heizen und Kühlen? Da gibt es gute Alternativen: Nah-und Fernwärme, Geothermie, aber das geht nicht von heute auf morgen. Bis 2035 wollen wir keine Öl-, Gas- und Kohleheizungen mehr in Österreich haben. Da müssen wir gut überlegen, wie wir die 600.000 Haushalte, in denen es solche Heizungen gibt, sozial gestaffelt unterstützen, dass sie das gut hinbekommen. Das werden wir jetzt mit den Ländern entwickeln.

Eine letzte Frage zu Mochovce: Block drei geht demnächst in Betrieb, die Sicherheitsbedenken sind nicht kleiner geworden. Was tun Sie?
Ich habe mich die letzten Jahre meines beruflichen Lebens bei Global 2000 und auch davor sehr intensiv mit dem Thema beschäftigt und bin auch jetzt eine Antiatomkämpferin. Wir werden alle rechtlichen, politischen und diplomatischen Hebel nützen, wenn es um unsere Sicherheit geht. Die Slowakei hat zuletzt wieder Dokumente veröffentlicht, die wir auf Herz und Nieren prüfen. Aber unser Ansinnen bleibt, dass Sicherheitsüberprüfungen transparent und unter internationaler Expertenbeteiligung erfolgen. Daran arbeiten wir mit Hochdruck.

Dieses Interview ist ursprünglich in der Printausgabe von News (09/2020) erschienen!