Insomnie: Ab wann gestörter Schlaf krankhaft ist

Acht Prozent der Bevölkerung leiden an krankhafter Insomnie. Die Ursachen dafür - und wie der Schlaf verbessert werden kann.

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Gesundheit - Insomnie: Ab wann gestörter Schlaf krankhaft ist © Bild: iStockphoto.com

Nicht für alle Menschen bringt Schlaf die erwünschte Erholung. Im Gegenteil: Ein- und Durchschlafstörungen nehmen seit Jahren zu, die Pandemie verschärfte die Problematik zusätzlich. Betroffene wälzen sich im Bett von der linken zur rechten Seite und wieder zurück. Zu viele Gedanken schwirren im Kopf herum, abzuschalten und einzuschlafen, ist nur schwer möglich.

Kein Problem, solange dies nur ab und zu vorkomme, sagt Stefan Seidel von der MedUni Wien. "Jeder hat einmal einen Abend, an dem er nicht einschlafen kann." Der Neurologe und Leiter des Schlaflabors am AKH Wien erhob in einer aktuellen Studie mit mehr als 1.000 Teilnehmern, wie viele Österreicherinnen und Österreicher Schlafprobleme haben. Das Ergebnis: Acht Prozent leiden an krankhafter Insomnie. Diese liegt vor, wenn die Probleme drei Mal pro Woche für mindestens drei Monate auftreten. Zudem müssen Folgen für die Leistungsfähigkeit am Tag feststellbar sein.

Nur die Hälfte holt sich Hilfe

"Das ist ein Prozentsatz, wie er in anderen Ländern der Welt gefunden wurde", erklärt Seidel. Allerdings holt sich hierzulande nur die Hälfte der Betroffenen professionelle Hilfe. "Chronische Insomnie ist eine Volkskrankheit", sagt der Neurologe. Die, bedauert er, oft nicht ernst genommen werde. "Viel zu häufig wollen die Betroffenen die Probleme über Selbstmedikation lösen."

In den vergangenen Jahren erschienen unzählige Studien, die die Wichtigkeit von regelmäßigen und erholsamen Schlaf zeigen. Wer schlecht schläft, leidet nicht nur an Müdigkeit, Gereiztheit und Konzentrationsstörungen. Dauert die Schlaflosigkeit länger an, kann das eine Reihe körperlicher Erkrankungen nach sich ziehen. So ist Insomnie ein Risikofaktor für Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Übergewicht.

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"Der Schlaf ist zusätzlich für unser Gehirn wichtig. Es ist nicht so, dass wir dabei nur daliegen und nichts passiert", erklärt Schlafforscher Seidel. Vielmehr weiten sich die Synapsen, die für die Übertragung von Reizen von einer zur nächsten Nervenzelle sorgen. "Die Kanäle werden frei gelegt und neuronaler ,Müll' in der ersten Schlafhälfte abtransportiert. Unser Gehirn wird ausgeräumt. Besteht diese Möglichkeit nicht, altert unser Gehirn viel schneller." Und auch unsere Organe benötigen die regelmäßigen Ruhezeiten in der Nacht.

Häufigste Ursache Angst

Gesteuert wird unser Tag-Nacht-Rhythmus unter anderem vom Hormon Melatonin. Seine Produktion wird durch Tageslicht gebremst, sobald es dunkel wird, fängt die Zirbeldrüse an, Melatonin zu produzieren. Es sorgt dafür, dass wir müde werden. Doch was, wenn wir zwar müde sind, aber nicht einschlafen können?

Eine halbe Stunde wach im Bett zu liegen, ist für Seidel "Grenze des klinisch Akzeptablen". Dauert es häufig länger, bis jemand einschläft, stecken "bei rund zwei Dritteln bis drei Vierteln" der Fälle psychische Probleme dahinter.

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"Eine Schlafstörung heißt oft zu viel Angst. Schlaf ist ein Vorgang der Entspannung. Wenn jemand aber Angst hat, bedeutet das ein hohes Stresslevel. Das ist der Hauptgrund für Schlafstörungen", sagt Seidel.

Diese Angst muss dabei nicht auf den ersten Blick erkennbar sein, daher würden viele Menschen ein regelrechtes Doktor-Hopping betreiben, um der Ursache auf den Grund zu kommen. "Es ist oft schwer nachvollziehbar: Die Menschen haben das Bedürfnis, ganzheitlich gesehen zu werden. Doch bei Schlafstörungen herrscht ein eigentümlicher Dualismus vor. Viele beharren darauf, dass es etwas Körperliches sein muss, aber es liegen sozialpsychologische Gründe vor", weiß Seidel aus seiner Erfahrung. Jedoch wollen sich die Hälfte bis zwei Drittel nicht mit sich selbst auseinandersetzen.

Kognitive Verhaltenstherapie

Als Beispiel für chronische Angst nennt Seidel jemanden, der länger in Sorge um sein krankes Kind war. Diese Person wacht in dieser Zeit öfters auf. Ist das Kind wieder gesund, kann diese Schlafstörung allerdings bleiben. "Sie wird dann aber nicht mehr mit dem auslösenden Ereignis in Zusammenhang gebracht, sondern einzig als Schlafstörung gesehen", erklärt der Neurologe. Hier helfe eine kognitive Verhaltenstherapie, die für den Mediziner der "der Goldstandard bei Insomnie" ist.

Eine junge Patientin Seidels etwa konnte in der Nacht gar nicht mehr schlafen. "Sie hatte aufgrund einer depressiven Phase schlecht geschlafen und sich schließlich vor der Nacht gefürchtet. Sie hat sich dann Ruhephasen untertags angewöhnt." Durch dieses Verhalten konnte sie jedoch ihrem Beruf nicht mehr nachgehen.

In diesen Fällen des "sozialen Jetlags" ist ein mehrmonatiger Prozess notwendig, um das Schlafverhalten wieder ins Lot zu bringen. Dazu ist einerseits der Einsatz des Schlafhormons Melatonin und hellen Lichts sowie strikte Regeln wie ein Schlafverbot am Tag notwendig. Begleitet werden muss dieser Prozess von einer Psychotherapie.

Schlafapnoe und Restless Legs

Die Dauer der nächtlichen Ruhephase ist individuell unterschiedlich und hängt unter anderem vom Alter ab. So empfehlen US-Experten der National Sleep Foundation für Sechs-bis 13-Jährige rund neun bis elf Stunden Schlaf, für Teenager und Erwachsene sind sieben bis neun Stunden optimal. Bei Senioren sinkt der Schlafbedarf auf sieben bis acht Stunden täglich.

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Gibt es auch Menschen, die mit weniger auskommen? "Es ist vorübergehend möglich, sich anzutrainieren, mit beispielsweise nur fünf Stunden auszukommen", erklärt Seidel. "Doch irgendwann beginnt jeder, das zu spüren."

Psychische Ursachen sind nicht der einzige Auslöser einer Insomnie. Bei einem Teil von Seidels Patienten steckt ein körperliches Problem dahinter. So leiden schätzungsweise zwei bis drei Prozent der Erwachsenen hierzulande an Schlafapnoe. Männer sind häufiger betroffen. Zudem steigt die Wahrscheinlichkeit für diese Erkrankung mit dem Alter. Bei der Schlafapnoe kommt es während der Nacht mehrmals zu Atemaussetzern. Dadurch wacht der Betroffene in der Früh nicht erholt auf.

Das Restless-Leg-Syndrom wiederum äußert sich durch einen quälenden Bewegungsdrang sowie Ziehen oder Kribbeln in den Beinen. Diese Symptome treten in Ruhesituationen auf und bessern sich durch Bewegung.

Zuerst zum Hausarzt

Generell empfiehlt der Neurologe, sich nicht zu viel Stress zu machen: "Wenn man einmal schlecht schläft, ist es gut, einfach zu sagen: ,Was soll's?'" Zudem rät er, Schlaf nicht durch Apps, Fitnessbänder und dergleichen zu überwachen. Das baue nur zusätzlichen Druck auf.

Ein abendliches Ritual fördere zudem das Einschlafen. "Ein warmer Tee aus Baldrian, Melisse und Passionsblume ist sicher gut. Einerseits haben diese Pflanzen einen Effekt, andererseits werden durch die Wärme die Gefäße geöffnet. Das ist physikalisch wichtig, um die Wärme aus dem Körperkern abzuleiten, und dies fördert den Einschlafvorgang", erklärt Seidel. Um zu sehen, ob ein Ritual die gewünschte Wirkung hat, ist etwas Geduld notwendig. Laut Seidel müsse man es zwei bis drei Wochen probieren, bevor man sehe, ob es förderlich ist.

Menschen, die danach immer noch schlecht schlafen, empfiehlt Seidel, zunächst den Hausarzt aufzusuchen. Dieser kann die Betroffenen an die richtigen Fachärzte weiterleiten, um der Ursache der Schlaflosigkeit auf den Grund zu gehen. Damit es möglichst schnell wieder eine gute Nacht wird.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich im News 37/2021.