In fragwürdigen Kursen sollen
Chinesinnen "erzogen" werden

Während sich in vielen Ländern immer mehr Aktivisten für Frauenrechte einsetzen, scheint es bei einer der größten Wirtschaftsmächte der Welt eine gegenläufige Entwicklung zu geben.

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Gesellschaft - In fragwürdigen Kursen sollen
Chinesinnen "erzogen" werden

Alleinstehende Frauen haben in China ab 27 Jahren kaum mehr Chancen auf dem Heiratsmarkt. „Shengnü“ werden sie genannt, „übrig gebliebene Frauen“. Ausgerechnet die „All China Women's Federation“, eine 1949 gegründete staatliche Frauenrechtsorganisation, rief den Begriff 2007 ins Leben.


Mit einem emotionalen Werbespot hat eine Kosmetikfirma die Diskussion wieder aufleben lassen. In dem vierminütigen Video berichten Betroffene über den großen sozialen und familiären Druck, der auf ihnen lastet. „Chinesen glauben, dass eine unverheiratete Frau unvollständig ist“, erzählt eine Frau. „In China ist es eine der wichtigsten Qualitäten, Eltern zu respektieren. Nicht zu heiraten ist das größte Zeichen von Geringschätzung“, sagt eine andere.

Das traditionelle Rollenbild der Frau lebt wieder auf. Darum haben in China seit einiger Zeit sogenannte „Sittenschulen“ Hochkonjunktur, wie die „Welt“ berichtet. Dahinter verbergen sich laut Aktivisten Schulen, in denen Frauen Kurse belegen können, um ein vermeintlich korrektes Benehmen zu lernen: etwa wie man Männern bedingungslos gehorcht, ebenfalls wird der Small-Talk mit den Geschäftspartnern der Ehemänner trainiert, zum Beispiel dass bei Ausländern Themen wie Gehalt oder Scheidung tabu sind.

»Intimsphäre ist in China neu«

Auch wird der korrekte Abstand zum Gesprächspartner geübt: „Intimsphäre ist in China neu“, sagt Sara Jane Ho, Gründerin einer Etikette-Schule. Auf dem Lehrplan sollen zudem Nachhilfe in Sachen Haushaltsführung und die Anpassung an die angeblich traditionelle Frauenrolle in der Volksrepublik stehen, heißt es.
Die BBC veröffentlichte im vergangenen Jahr heimlich aufgenommene Bilder, auf denen Frauen zu sehen sind, die auf dem Boden kniend putzen. Andere Schülerinnen hätten in einer der Schulen gelernt, dass man auf Anweisungen des Ehemannes immer mit dem Satz „Ja, kein Problem, sofort“ antworten soll, berichtete damals die BBC.


Obwohl Chinas Frauen in der Wirtschaft Weltspitze sind und sie Jobs in der Wissenschaft und in führenden Unternehmen ausüben,werden vor allem Führungspositionen in der Volksrepublik noch immer weitestgehend von Männern besetzt. In den vordersten Reihen der Politik fehlen Frauen bis heute. Insgesamt sind zehn Chinesinnen Mitglieder im Zentralkomitee der Parte

Ungleichgewicht in der Gesellschaft


Statt Karriere zu machen, sollen Frauen — unter Staatsgründer Mao Tsetung nach 1949 noch staatlich gefördert — nun wieder heiraten und sich um den dringend benötigten Nachwuchs kümmern. Peking dürfte damit auch auf ein Ungleichgewicht in der Gesellschaft reagieren: Schätzungen zufolge leben heute in China zwischen 30 und 40 Millionen mehr Männer als Frauen.

Krasser Geburtenüberschuss von Burschen

Schuld an der Herabstufung Chinas ist der krasse Geburtenüberschuss von Burschen im Vergleich zu Mädchen wegen der zahlreichen Mädchenabtreibungen. Das spiegelt die traditionelle Geringschätzung weiblichen Nachwuchses wider. Sie wurde von den mehr als drei Jahrzehnten erzwungener Ein-Kind-Politik noch verstärkt.

Im November veröffentlichte das Davoser Weltwirtschaftsforum seinen neuen, seit 2006 jährlich erhobenen Gleichberechtigungsindex. Fast überall weitet sich die Kluft aus. China fiel 2017 unter 144 untersuchten Ländern zum dritten Mal hintereinander um einen Platz zurück (auf Rang 100).