Warum die Wurstsemmel
zuhause anders schmeckt

Über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten. Wir haben es dennoch versucht und Prof. Klaus Dürrschmid im Sensorik-Labor an der Boku Wien besucht. Im Interview erklärt der Lebensmittelsensoriker, warum die Wurstsemmel zuhause anders schmeckt als beim Fleischhauer und wieso Frauen grundsätzlich den besseren Geschmack haben.

von Nachgefragt - Warum die Wurstsemmel
zuhause anders schmeckt © Bild: iStockPhoto.com/Leonsbox

Kann man nach heutigem Stand der Wissenschaft schon über Geschmack streiten?
Über Geschmack kann man zwar nicht streiten, man kann ihn aber erforschen und ihn damit auf eine objektivierte Ebene heben. Man wird dann erkennen, dass die Geschmäcker einfach unterschiedlich sind, um ein weiteres Sprichwort zu strapazieren.

Menschen sind in ihrer Wahrnehmung und in ihren Wahrnehmungsfähigkeiten nicht gleich, sondern durchaus unterschiedlich, verursacht durch genetische Unterschiede, Unterschiede im Alter und im Geschlecht bis hin zu Sozialisierungsunterschieden. Es gibt eine sensorische Bandbreite, die jedenfalls von der Wissenschaft erhoben werden kann, und innerhalb dieser bevorzugt der eine dieses, der andere jenes.

»Das Problem bei der Messung des Geschmacks ist es auf Menschen angewiesen zu sein«

Gibt es Grenzen bei der Messung von Geschmack?
Das Problem bei der Messung des Geschmacks ist es auf Menschen angewiesen zu sein (lacht) , die uns über ihre Geschmackswahrnehmungen Auskunft geben. Dieses „Messinstrument“ Mensch ist leider sehr anfällig auf bestimmte Fehler, Verzerrungen und Einflüsse von außen und die müssen in sensorischen Tests berücksichtigt werden. Mit entsprechenden Methoden lässt sich das ganz gut in den Griff bekommen, Fehler gänzlich auszuschließen ist aber noch nicht möglich.

Ist Schmecken der menschlichen Evolution unterworfen?
Ich fürchte das lässt sich nicht rekonstruieren. Es gibt ganz wenige Anhaltspunkte, die dafür sprechen würden, dass Geschmackssinnessysteme sich verändern, degenerieren oder sich im Gegenteil verbessern. Meine Vermutung wäre es, dass sich die Wahrnehmungsfähigkeit der Menschen seit Jahrhunderten nicht mehr maßgeblich geändert hat.

Aber der Geschmack, den man mit einem bestimmten Lebensmittel in Verbindung bringt, kann sich schon verändern, wenn der Rohstoff von der Lebensmittelindustrie zunehmend synthetisch ersetzt wird?
Ja, das ist natürlich denkbar. Wir wachsen alle in eine bestimmte Ernährungskultur rein und was wir erleben, werden die Wahrnehmungen, mit denen wir operieren.

Wir haben beispielsweise die Geruchs- und Geschmackswahrnehmungsfähigkeiten von 10-13-Jährigen untersucht und überrascht festgestellt, dass bei bestimmten Aromen nicht mehr der eigentliche Rohstoff von den Kindern zur Bezeichnung des Aromas genannt worden ist, sondern die Assoziation zu einem bestimmten Produkt aus dem Supermarkt.

Natürliche Rohstoffe haben häufig eine größere Variabilität und Komplexität als zugesetzte Aromastoffe und daher kann es durchaus sein, dass eine gewisse „Verarmung“ entsteht. Das hat aber nichts mit der Wahrnehmungsfähigkeit an sich zu tun.

Und warum schmeckt die Wurstsemmel vom Fleischhauer dann anders als die selbstgemachte zuhause?
Einerseits ist natürlich der Einfluss der Situation ein anderer, meistens kauft man sich ja eine Wurstsemmel, wenn man einen schnellen Hunger und einen speziellen Gusto drauf hat. Das heißt, man hat einen ganz anderen Antrieb, eine Wurstsemmel zu essen. Aber nicht nur die Situation ist anders: Man kann davon ausgehen, dass die Wurst und womöglich auch die Semmel frischer ist als die zuhause länger gelagerte und so fügt sich das dann zu einem ganz anderen Erlebnis zusammen.

»Nur ist Sprache eben Konvention und wenn andere nichts damit anfangen, dann vermag das irritierend sein«

Wenn man einem Weinkritiker bei der Beschreibung von Weinen zuhört, muss man sich als Normalsterblicher das Lachen verkneifen. Kann man es auch übertreiben?
Menschen sind sprachlich unterschiedlich kreativ, ein Weinbegeisterter kann da schon eine poetische Privatsprache entwickeln (lacht) aber für ihn spiegelt es möglicherweise seine sensorische Wirklichkeit wider. Nur ist Sprache ist eben eine Konvention und wenn andere nichts damit anfangen, dann vermag das irritierend oder gar problematisch sein. Darum ist es bei professionellen Weinverkostungen ganz wichtig, sich auf diese sensorischen Parameter zu einigen oder die Sprache eben zumindest für die spezielle Prüfgruppe zu standardisieren.

Also findet Geschmack letztendlich auch über Sprache statt?
Ja, natürlich. Vor allem die Kommunikation unserer Wahrnehmung erfolgt in erster Linie über Sprache. Wenn es um Wein oder andere ähnliche Produkte geht, spielt auch noch etwas anderes eine Rolle, nämlich das Ringen um soziale Anerkennung. Manch ein Weinkenner will demonstrieren, wie wahrnehmungsfähig er ist und wie gut er in der Lage ist sein Wein-Fachwissen anzuwenden.

So wie die Lebensmittelindustrie in Werbungen überzeugen will, dass das eigene Produkt am besten ist?
Ja, wobei diese Beschreibungen meistens wahnsinnig trivial sind.

Um möglichst viele Leute anzusprechen?
Richtig, es muss allgemein verständlich sein, daher werden nur einfache Begriffe verwendet. „Sensory claiming“ ist der Fachausdruck dafür, eine Eigenschaft für sich bzw. eben für ein Produkt zu beanspruchen. Zum Beispiel „milder Käse“ oder „würziger Käse“, aber das war’s dann auch schon (lacht), die Komplexität solcher Beschreibungen ist meist sehr gering.

Sie erwähnen es in Ihrem Buch "Zungenbekenntnisse" beinahe als selbstverständlich: Seit wann hat sich Umami als Grundgeschmacksart etabliert?
Im frühen 20. Jahrhundert schon ist Natrium-Glutamat in Japan als eigener Geschmack entdeckt worden und als Grundgeschmacksart ist es seit 20 Jahren etabliert, weil man auf molekularbiologischer Ebene auch Rezeptoren für Aminosäuren in den Geschmackssinneszellen entdeckt hat. Diese Rezeptoren sind Voraussetzung dafür, dass ein elektrophysiologisches Signal entsteht, das ans Gehirn gesendet und dort in eine Geschmackswahrnehmung verarbeitet wird. Umami hat auch eine physiologische Relevanz, denn es ist für den Körper gut zu wissen, dass Aminosäuren in Lebensmitteln enthalten sind und von uns aufgenommen werden können.

Auch aus Ihrem Buch: Wer gern scharf isst, ist sexuell aktiv – Trifft der Umkehrschluss auch zu?
(Lacht) Nein, so kann man das sicher nicht sagen. In diesen Publikationen ist darauf hingewiesen worden, dass es zwischen dem Chili-Konsum und dem Testosteronspiegel Zusammenhänge gibt. Je höher der Testosteron-Spiegel, desto höher der Chili-Konsum. Das waren natürlich keine exakt linearen Zusammenhänge, sondern vage Zusammenhänge mit einer großen Variabilität. Vom Hormonhaushalt auf den Chili-Konsum schließen zu wollen, ist sicher irreführend. Plausibler dagegen ist: Ein hoher Testosteronspiegel bewirkt erhöhte Risiko-Affinität, Männer gehen insgesamt höhere Risiken ein, in dem Fall das Risiko eines scharfen Gerichts.

»Negative Einflüsse werden stärker wahrgenommen als positive«

Warum verbreitet sich schlechter Geruch vergleichsweise rasend schnell und guter eher nicht?
Unser Geruchssystem ist eigentlich dazu da, um Veränderungen festzustellen. Wenn etwas so wie immer riecht, nehmen wir es in der Regel nicht bewusst wahr. Nur bei Änderungen werden wir sofort hellhörig und der Geruch fällt auf.

Vor allem bei Änderungen, die für uns gefährlich sein können, wo es zum Beispiel um verdorbene Lebensmittel, Feuer oder Gase geht, die eine bestimmte Gesundheitsbedrohung darstellen. Hinzu kommt, dass negative Einflüsse stärker wahrgenommen werden als positive. Was auffällig ist und uns bedrohen könnte, bekommt eine höhere Aufmerksamkeit als das, was normal oder angenehm ist.

Wie bzw. wie oft empfehlen Sie, den eigenen Geschmackssinn zu trainieren?
Die täglichen Mahlzeiten sind der beste Zeitpunkt, um seine Wahrnehmungsfähigkeiten zu trainieren! Man sollte also nicht maßlos und unreflektiert Dinge in sich hineinessen, sondern auch mal darüber nachdenken, wonach das Essen schmeckt, riecht und welche Beschaffenheit es hat. Auch darüber zu reden, ermöglicht eine Schärfung der Sinne, wenn man die richtigen Kommunikationspartner dazu hat.

Schon beim Kochen kann man an einzelnen Zutaten riechen oder sie einmal kosten, bevor man sie weiterverarbeitet. Wenn man den Geruch isoliert bewusst wahrnimmt, dann kann man ihn in Zukunft weitaus leichter erkennen und benennen.

Braucht man dazu nicht auch ein gewisses Talent?
Manche Leute sind darin wahnsinnig gut, haben ein unglaublich gutes sensorisches Gedächtnis und eine hohe sensorische Intelligenz, bei anderen funktioniert es einfach schlechter. Im Mittel sind die Frauen den Männern überlegen, was Erinnerungsvermögen und Schwellwerte vor allem von Gerüchen betrifft. Sie nehmen Duftstoffe bei deutlich niedrigeren Konzentrationen wahr als Männer.

Sind Frauen in der Geschmackswahrnehmung Männern also überlegen? Haben sie den besseren Geschmack, wenn man so will?
Im Durchschnitt, ja! Unter Frauen gibt es auch mehr Super-Tasterinnen - das sind Personen, die eine erhöhte Dichte von Geschmackspapillen besitzen und schon eine besonders niedrige Konzentration an Geschmacksstoffen wahrnehmen.

In vielen Parametern sind Frauen diesbezüglich besser als Männer. Interessanterweise zeigt sich diese bessere Wahrnehmungsfähigkeit , sobald die Pubertät einsetzt. Davor haben Buben und Mädchen die annähernd die gleiche Identifikationsleistung und die gleichen Schwellwerte. Die verbesserte Wahrnehmung beginnt mit dem Einsetzen der Hormonproduktion und beginnt sich erst nach der Menopause wieder dem Niveau der Männer anzugleichen, Frauen haben aber auch im höheren Alter im Durchschnitt noch ein wenig die Nase vorne.

© Uni Boku Wien

Zur Person: Prof. Dipl.-Ing. Dr. Klaus Dürrschmid leitet das Labor für Sensorik u. Konsumentenwissenschaften am Institut für Lebensmittelwissenschaften an der Universität für Bodenkultur in Wien. Er ist Präsident des European Sensory Networks und gründete das Sensorik Netzwerk Österreich. Die Lebensmittelsensorik beschäftigt sich mit der sinnlichen Wahrnehmung von Lebensmitteln und den daraus folgenden verhaltenssteuernden.Erwartungen, Erinnerungen und Emotionen. Dürrschmid ist privat leidenschaftlicher Koch, Feinschmecker und Sammler alter Kochbücher.

Haben Sie Lust, mehr über das Thema zu erfahren? Das Buch „Zungenbekenntnisse“ enthält neben aktuellen spannenden Erkenntnissen aus der Wissenschaft auch Anleitungen zu Selbstexperimenten – denn unser Geschmacksempfinden lässt sich trainieren und ist weit vielseitiger als uns bekannt.

© Brandstätter Verlag

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