Gentechnik:
Fluch oder Segen?

Wo liegen die Risiken und welche Chancen birgt diese Technik?

Rund 3.300 Produkte in den heimischen Lebensmittelgeschäften tragen bereits das Label "Ohne Gentechnik hergestellt". Die Ablehnung gegenüber grüner Gentechnik ist groß. Wo liegen die Risiken und welche Chancen birgt diese Technik?

von Gene © Bild: Shutterstock.com

Die Weinreben sind rund zehn Zentimeter gr0ß. Sie wachsen in Reagenzgläsern im Kunstlicht an der Wiener Universität für Bodenkultur. Hier wachsen sie seit über 20 Jahren. Denn sie sind genmanipuliert. "Wir haben verschiedene Virusgene eingefügt, um die Reben resistent gegen Viruskrankheiten zu machen, die Weinreben befallen und einen großen wirtschaftlichen Schaden verursachen", erklärt Margit Laimer, Leiterin der Gruppe für Pflanzenbiotechnologie an der Boku.

Die Wissenschaftlerin glaubt an den Nutzen der sogenannten grünen Gentechnik, bei der das Erbgut der Pflanzen verändert wird. Die Züchtungsziele sind Pflanzen, die sich selbst gegen den Befall von Viren, Pilzen oder anderen Schädlingen schützen können. "Im Endeffekt wird durch diese verbesserte Schädlingsresistenz der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, Zeit und Energie reduziert und eine ökologische Entlastung erreicht", erklärt Laimer.

Das sei so nicht richtig, argumentieren die Gegner der grünen Gentechnik, etwa Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace oder Global 2000. "Diese Pflanzen sind so verändert, dass sie permanent Gift produzieren, damit sie von den Schädlingen nicht angegriffen werden", sagt Greenpeace-Landwirtschaftsexperte Sebastian Theissing-Matei. Herkömmliche Pflanzen würden hingegen nur dann mit Spritzmittel behandelt, wenn das auch tatsächlich notwendig wäre. Niemand wisse, wie sich das von der Pflanze ständig produzierte Gift auf den Menschen auswirke. "Für uns ist Gentechnik eine Technologie, die viele Risiken birgt, aber keinen Nutzen hat", sagt Theissing-Matei.

Goldener Reis

Gentechnik ist eine relativ junge Methode der Naturwissenschaften. Langfristige, eindeutige Studien über die Auswirkungen auf unsere Gesundheit oder die Umwelt gibt es nicht. Das macht vielen Menschen Angst.

Als erstes gentechnisch verändertes Lebensmittel wurde im Jahr 1994 in den USA die sogenannte Flavr-Savr-Tomate zugelassen. Ihr Erbgut wurde so verändert, dass das Enzym Polygalakturonase, das für die Reifung der Tomaten verantwortlich ist, kaum noch gebildet wird. Die Tomate wurde auch als "Anti-Matsch-Tomate" bekannt, da sie deutlich länger haltbar war als herkömmliche Tomaten.

Allerdings wurde sie nur vier Jahre später wieder vom Markt genommen. Denn die neue Tomate war nicht so rentabel wie ursprünglich erhofft.

Während die sogenannte weiße Gentechnik, die bei der industriellen Produktion unter anderem von Arzneimitteln wie Insulin eingesetzt wird, weitgehend unbestritten ist, wird die grüne Gentechnik in vielen Ländern - allen voran in Österreich und Deutschland - abgelehnt oder zumindest sehr skeptisch betrachtet.

Die Diskussion rund um die Gentechnik ist hochpolitisch. Das zeigt das Beispiel des "Goldenen Reis". Dieser Reis wurde so genmanipuliert, dass er große Mengen an Provitamin A erzeugt. Vor allem in Gegenden der Welt, in denen Reis ein Hauptnahrungsmittel und Vitamin-A-Mangel ein gravierendes Problem ist, könnte dieser eingesetzt werden, erhofften sich die Entwickler Ingo Potrykus und Peter Beyer. Denn laut Weltgesundheitsorganisation sterben oder erblinden jährlich rund zwei Millionen Menschen infolge eines Vitamin-A-Mangels.

Den Goldenen Reis gibt es bereits seit dem Jahr 2002. Doch als Lebensmittel erhältlich ist er nach wie vor nicht. Mittlerweile stellte sich sogar Patrick Moore, einer der Mitbegründer von Greenpeace, gegen die Umweltschutzorganisation und spricht von "moralischen Abgründen".

"Greenpeace ist nicht schuld, dass es den Goldenen Reis noch nicht als Lebensmittel gibt", verteidigt hingegen Sebastian Theissing-Matei die Umweltschutzorganisation. "Der Reis funktioniert als Produkt einfach nicht. Er hat ein Ertragsproblem. Außerdem ist der Glaube, dass das Problem mit einem gentechnisch veränderten Produkt lösbar wäre, ein Irrglaube. Das wäre vielleicht kurzfristig möglich, doch die Hintergründe sind viel komplexer. Es wäre wichtiger, die Ursachen zu beheben. Dazu zählen Armut oder der Zugang zu Land für jeden."

Bisher keine Freisetzungen

In Österreich werden keine gentechnisch veränderten Pflanzen im Freiland angebaut. Dafür wären eine Genehmigung und zuvor ein kostspieliges Zulassungsverfahren notwendig.

Forscherin Laimer unternahm bereits mehrere Anläufe, diese Genehmigung für die Freisetzung im kleinen Maßstab zu Forschungszwecken zu erhalten. "Ich wurde immer auf später vertröstet", sagt sie.

Zu Recht, meinen die Kritiker. "19 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe sind Biobetriebe. Sie bewirtschaften über 571.000 Hektar Land", sagt Gertraud Grabmann, die Obfrau von Bio Austria, einem Verband, dem 12.500 österreichische Biobäuerinnen und Biobauern angehören. "Wenn am Feld nebenan gentechnisch veränderte Pflanzen wachsen würden, so wäre eine Durchmischung der Pflanzen unausweichlich. Die Biobauern könnten gentechnikfreie Pflanzen dann nicht mehr garantieren." Außerdem, sagt sie, sei bei der Gentechnik bisher "nicht bewiesen, dass sie keine schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen und die Umwelt hat. Es gibt zu wenige unabhängige Studien dazu", erklärt Grabmann.

Ein wichtiger Punkt gegen Gentechnik ist für Grabmann auch, dass es kein Patent auf Leben geben dürfe.

Für Theissing-Matei von Greenpeace ist Österreichs Landwirtschaft für eine gefahrlose Freisetzung zu klein strukturiert. Er warnt: "Wenn gentechnisch veränderte Organismen freigesetzt werden, so ist eine Durchmischung unausweichlich. Und sind sie erst einmal freigesetzt, gibt es kein Zurück mehr. Egal, was passiert."

Österreichs Pioniere

Die Österreicher stehen der grünen Gentechnik sehr skeptisch gegenüber. Das ist spätestens seit dem Gentechnik-Volksbegehren klar. Vor genau 20 Jahren unterschrieben mehr als 1,2 Millionen Österreicherinnen und Österreicher, um sich gegen die Freisetzung von gentechnisch veränderten Pflanzen, gegen gentechnisch verändertes Essen und gegen Patente auf Leben auszusprechen.

Einer der Kritikpunkte damals: das häufig in importiertem Tierfutter enthaltene gentechnisch veränderte Soja.

In Österreich werden jährlich -ohne Gras und Heu - vier Millionen Tonnen verfüttert. 40 Prozent davon liefere die Mischfutterwirtschaft, erklärt Walter Emathinger, Leiter der Produktentwicklung der Firma Fixkraft-Futtermittel. Die Firma stellte als erstes österreichisches Futtermittelwerk die Produktion auf gentechnikfreies Futter um.

Denn nach wie vor wird vor allem in der Schweinemast in Österreich auch Gen-Soja verfüttert. Emathinger geht davon aus, dass in Österreich jährlich rund 0,6 Millionen Tonnen Soja benötigt werden. Davon seien 60 Prozent gentechnikfreie Ware.

"Es entspricht dem Kundenwunsch, Lebensmittel zu konsumieren, die nicht mit Gentechnik in Berührung gekommen sind. Diese Erwartungen sind länderweise sehr unterschiedlich. Während Österreich, Schweiz und Deutschland stark in diese Richtung tendieren, sind hingegen unsere nördlichen und östlichen Nachbarn daran völlig uninteressiert", sagt Emathinger.

Wer gentechnikfrei füttern will, muss allerdings auch bereit sein, mehr zu bezahlen. "Wenn es nicht mehr kostet, will jeder 'genfrei'. Aber es gibt auch Schmerzgrenzen. Die Preisschwankungen variierten im Lauf der letzten Jahre stark. Gentechnikfreies Soja kostete zwischen fünf bis 15 Prozent mehr als gentechnisch verändertes. Die Schere vergrößert sich aber laufend noch weiter. Derzeit liegen wir bei 25 Prozent Unterschied", weiß Emathinger.

Neue Technologien

Margit Laimer versucht mittlerweile nicht mehr, Genehmigungen für weitere Experimente mit ihren Weinreben einzuholen. Vor allem auch deshalb, weil die Zukunft für sie in der neuen sogenannten CRISPR-Technologie liegt. Dabei wird nicht mehr ein ganzes artfremdes Gen eingefügt oder abgeschaltet, vielmehr reicht die Veränderung einzelner Basen im Erbgut der Pflanze, damit die neuen gewünschten Eigenschaften entstehen.

Ob die so erzeugten Pflanzen irgendwann einmal freigesetzt werden dürfen, ist unklar. Denn derzeit wird diskutiert, ob diese neuen Technologien Gentechnik sind und den strengen Regelungen unterliegen werden. Nein, hofft die Wissenschaftlerin. Natürlich sind sie gentechnisch manipuliert, sagt hingegen die Arge Gentechnik-frei. "Sämtliche Prozesse, die in den Gen-Bestand von Pflanzen oder Tieren eingreifen, sind als gentechnische Verfahren zu bezeichnen", heißt es im Arge-Positionspapier.

Die Entscheidung liege jedenfalls beim Europäischen Gerichtshof und müsse bis April 2018 fallen, sagt Helmut Gaugitsch, Abteilungsleiter für biologische Sicherheit im Umweltbundesamt. Je nachdem, wie diese Entscheidung ausfällt, hätte das unterschiedliche Konsequenzen, wie diese neuen Züchtungsmethoden weiter behandelt werden, weiß Gaugitsch: "Entweder bleiben diese ungeregelt, oder es wird das bestehende EU-Gentechnikrecht ergänzt. Alternativ könnte eine grundsätzlich neue Regelung diskutiert und beschlossen werden, die den unterschiedlichen Eigenschaften der neuen Techniken Rechnung trägt."

Von dieser Entscheidung hängt also viel ab. Denn ohne Regelung müsste es keine klare Kennzeichnung geben. Für den Konsumenten wäre es dann schwierig bis unmöglich, herauszufinden, wie diese Produkte erzeugt wurden.