Generation Corona: Die Stiefkinder der Politik

Sie ist verzweifelt, doch von der Politik bekommt sie meist Sonntagsreden zu hören: die Generation Corona. Auch abseits der Pandemie sind Politiker nur selten an Anliegen der Jungen interessiert. Dabei zahlen die am Ende.

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Generation Corona: Die Stiefkinder der Politik

Ab einem gewissen Punkt muss man sagen, wagen wir den Schritt zurück in die Normalität", sagt Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm in der "ZiB 2". Endlich keine Masken mehr im Klassenzimmer? Doch noch auf Skikurs fahren? Endlich wieder nachts durch die Klubs ziehen? Das würden Jugendliche nach bald zwei Jahren Coronapandemie gerne wieder normal finden. Die Staatssekretärin hingegen versteht in diesem Fall darunter: Eine verpflichtende mündliche Matura ist heuer zumutbar. Keine jugendliche Widerrede ihrerseits also gegenüber Bildungsminister Martin Polaschek, der auf den verständnisvolleren Heinz Faßmann folgte.

Schulstreik wegen Matura

Den Widerspruch müssen jene, die es betrifft, in Schulstreiks und Demonstrationen schon selber formulieren. An die 100 Schulsprecherinnen und -sprecher in Österreich - und etliche Erwachsene - finden: Die Teenager des heurigen Maturajahrgangs haben die bisher meiste Schulzeit unter den absurden Umständen der Pandemie verbracht. Sie haben in der Schule und im Leben viel versäumt.

Und doch sollen sie im Gegensatz zu den Jahren 2021 und 2020 verpflichtend zur "Mündlichen" antreten. Politiker, die das hinter sich haben, sprechen von einem "großen" Tag im Leben. Viele andere träumen ihr Leben lang davon - und zwar nicht in angenehm bunten Farben - und stellen auch ohne Corona die Frage nach dem Sinn dieses Rituals.

Die Staatssekretärin sucht derweil den Applaus jener, die von der Maturafrage nicht unmittelbar betroffen sind. Rund 50.000 Jugendliche würden jedes Jahr zu einer Lehrabschlussprüfung antreten, erklärt sie (gegenüber rund 40.000 Maturantinnen und Maturanten), und bei denen gebe es schließlich auch keine Erleichterungen. Aber auch Lehrlinge kämpfen mit den psychischen Auswirkungen der Krise und hätten daher solche verdient.

Misstrauen wächst

Über Jugendliche, ihren Chancen, ihre Ausbildung finden Politiker zwar viele salbungsvolle Worte. Wird Politik gemacht, kommt die Frage, wie sich diese auf jüngere Generationen auswirkt, aber meist erst ganz am Schluss - wenn überhaupt. Mit dem Kinderbonus an die Eltern scheint man sich vom Thema freikaufen zu wollen, als Wählerinnen und Wähler sind die Jungen ohnehin nicht so interessant - sie sind einfach zu wenige. Wer am Wahltag Großes will, stellt sich mit den Pensionisten gut. Die einschlägigen Teilorganisationen der großen Parteien gerieren sich als politische Macht, die Forderungen an die Regierung stellt, und werden gehört.

»Wir sehen große Enttäuschung auf Seiten der jungen Menschen. Sie verlieren das Vertrauen in die Demokratie«

Martina Zandonella, Autorin der Studie "Junge Menschen und Demokratie in Österreich"

Wozu das führt, lässt sich in der Sora-Studie "Junge Menschen und Demokratie in Österreich 2021" ablesen. Für alle Menschen im System Politik sollten deren Ergebnisse ernüchternd sein: "Wir sehen große Enttäuschung auf Seiten der jungen Menschen. Sie verlieren das Vertrauen in die Demokratie. Es ärgert sie, dass sie bei Entscheidungen nicht berücksichtigt werden", erklärt Studienautorin Martina Zandonella. Seit mehreren Jahren untersucht Sora die Zufriedenheit oder vielmehr wachsende Verdrossenheit der 16- bis 26-Jährigen. Vor allem in den beiden Corona-Jahren ist das Vertrauen in die Demokratie und ihre Institutionen spürbar gesunken. "Die jungen Leute sagen: ,Die Politik kümmert sich nicht um meine Lebensrealität'", berichtet Zandonella. Doch das gilt nicht nur beim Thema Corona.

Die von Plakolm nun adressierten Lehrlinge empfinden dieses Desinteresse oft noch stärker. Sie verdienen in der Ausbildung wenig. Laut Sora-Studie wenden sich vor allem jene Menschen, die sich in einer prekären finanziellen Lage befinden, stärker von der Politik ab. Bei vielen von ihnen kommt noch dazu: In den beiden Corona-Jahren haben sich sowohl ihre psychische Gesundheit als auch ihre wirtschaftliche Situation laut Umfrage verschlechtert.

Insgesamt sagen 27 Prozent der befragten Jugendlichen, die Demokratie sei "schwach", zehn Prozentpunkte mehr 2020. 70 Prozent halten Korruption für sehr oder eher großes Problem der heimischen Politik. Dabei hätten die 16-bis 26-Jährigen wichtige Anliegen an die Politik. Die wichtigsten drei Themen laut Jugend-Demokratie-Bericht: für 48 Prozent der Befragten die Pandemie, für 24 Prozent das Klima, für 13 Prozent ökonomische Sicherheit (Mehrfachnennungen möglich).

Politischer Aufholbedarf

Drei Themengebiete, in denen die Politik für die Jungen liefern muss. Denn sie leiden nicht nur aktuell an Corona-Maßnahmen oder ärgern sich über das Zaudern in der Klimapolitik. Sie werden am Ende für alles, was getan oder eben nicht getan wird, auch noch bezahlen.

Beispiel Coronakrise: Zwar fühlen sich die Jugendlichen von der Regierung übersehen, in anderen Bereichen ist allerdings sehr viel passiert. Agenda Austria rechnet vor: "Um die Coronakrise zu bewältigen hat der Staat große Unterstützungspakete veranlasst. Hier ist vor allem die Kurzarbeit zu nennen. Allein bis zum 15. Dezember 2021 kostete sie den Steuerzahler über neun Milliarden Euro. Dazu kommen noch einmal über 20 Milliarden Euro aus dem Covid-19-Krisenbewältigungsfonds und weiteren Hilfen. Wer soll das bezahlen? Der Bund hat die fast 30 Mrd. Euro durch Schulden finanziert, und wie es mit den Staatsschulden so ist, werden die in den kommenden Jahrzehnten von der jungen Generation abgetragen werden."

Aber immerhin: Die türkis-grüne Regierung hat die psychische Belastung dieser Altersgruppe erkannt und ein 13-Millionen-Euro-Paket für Hilfsmaßnahmen wie etwa mehr Schulpsychologen beschlossen.

Scheitern wird teuer

Das zweite Thema, das die Jungen beschäftigt: der Klimawandel. Vor Corona gab es große Fridays-For-Future-Streiks und oft wenig Verständnis. Dass sich Erwachsene damals über Fehlstunden an Streik-Freitagen alterierten, erscheint angesichts monatelanger Distance-Learning-Phasen seither absurd.

Immer unwahrscheinlicher wird, dass bei der Klimaerwärmung das 1,5-Grad-Ziel noch zu erreichen ist. Das wird nicht nur das Leben in vielen Regionen erschweren, Scheitern wird auch hier teuer. Internationale Studien ergeben, dass die wirtschaftlichen Kosten der Klimakrise höher sind als bisher angenommen. Das weltweite BIP würde durch Hochwasser, Dürren, Brände oder das Sinken der Arbeitsproduktivität bei Hitze um 37 Prozent sinken. Auch für Österreich wurden die Kosten des Nicht-Handelns in der Klimakrise berechnet: für 2020 beliefen sie sich auf 15 Milliarden Euro, Tendenz steigend - vor allem bei den Budgetposten Katastrophenmanagement und Gesundheit.

Auch hier gehen Jugendliche für ihre Interessen auf die Straße. Sie bekommen meist auch Aufmerksamkeit, geht ihr Engagement übers Demonstrieren hinaus und mündet in Aktionen wie die Baustellenbesetzung gegen Lobau-Tunnel und Wiener Stadtstraße, endet das Verständnis der vieler Politiker aber auch schon wieder. Die Lobau-Besetzerinnen und -Besetzer erhielten harsche Anwaltsbriefe der Stadt Wien. Ein Gespräch mit Verkehrsstadträtin Ulli Sima verlief enttäuschend: "Sima wollte mit uns nicht über Alternativen für dieses zerstörerische Projekt reden. Statt dessen fährt die Stadt Wien weiter mit dem Auto in die klimaschädliche Sackgasse", so die Klimaaktivistinnen nach dem Gespräch.

Zahlen und warten

Noch ein letztes Thema, bei dem die Jungen zahlen: das Pensionssystem. "Die jüngere Generation wird in der Zukunft auch eine Pension kriegen, die Frage ist ihre Höhe und auf wessen Kosten das passiert. Das Problem, welches das Pensionssystem in Schieflage bringt, ist eigentlich ein erfreuliches: Unser Lebensstandard steigt, dadurch leben wir länger. Die Lebenserwartung der Männer sollte von den heutigen 80,1 Jahren auf 85,2 Jahre bis ins Jahr 2050 steigen, bei Frauen von 84,7 auf 88,8 Jahren. In den nächsten Jahren gehen allerdings viele Babyboomer in Pension, die Belastung für Jüngere steigt. Dadurch ändert sich das Verhältnis der arbeitenden Bevölkerung und Pensionisten. Dies macht einen enormen finanziellen Druck auf das Pensionssystem und belastet zukünftige Generationen, da immer weniger Erwerbstätige für eine immer größere Anzahl an Pensionisten aufkommen müssen", erklärt man bei Agenda Austria.

Laut Statistik Austria wird die Zahl der über 65-Jährigen bis 2060 auf 2,76 Millionen anwachsen. Jene Jugendlichen, die heute von der Politik links liegen gelassen werden, werden dann selbst bald zur umworbenen Gruppe potenzieller Wählerinnen und Wähler gehören. Besser wäre es, sich schon heute im ihre Sorgen zu kümmern.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 4/2022 erschienen.