Ignorante Eliten als Auslöser für Rebellion von Randgruppen

Bernhard Heinzlmaier über Politik- und Wirtschaftseliten

von

Großbritannien tut sich schon lange durch neoliberale Politik hervor, besonders unter der Führung der konservativ-liberalen Regierung. Sozialausgaben werden gekürzt, Jugendzentren geschlossen, am Gesundheitswesen wird gespart, die Bildung für die Masse wurde auf niedrigstes Niveau reduziert. Wie es den sozialen Unterschichten geht, ist den Politik- und Wirtschaftseliten egal. Legitimiert fühlen sie sich in ihrer sozial ignoranten Haltung durch eine neoliberale Gesellschaftsideologie, die das Scheitern der Schwachen aus individuellem Leistungsversagen erklärt und staatliche Hilfen als kontraproduktive Störung des freien Marktes sieht, der, von der „unsichtbaren Hand“ geführt, am besten funktioniert, wenn die Politik ihn ungeregelt gewähren lässt. Mit Recht und mit Ironie hat Niklas Luhmann festgestellt, dass die „unsichtbare Hand“ des freien Marktes zunehmend an Arthrose zu leiden scheint. Trotzdem lässt man sie mehr denn je gewähren. Die Eliten in Politik und Wirtschaft haben ein Wissens- und Erfahrungsdefizit, was das Leben in sozial prekären Milieus betrifft. Ihnen fehlt die moralische Bildung, um mit Problemen der sozialen Ungleichheit verantwortungsvoll umzugehen. Es ist gar nicht so abwegig, wenn manche meinen, dass die Eliten mit ihrem schonungslos am eigenen Interesse ausgerichteten Handeln das Vorbild abgeben für die Randalierer, die ja auch ohne Rücksicht auf ihre Mitmenschen ihre spontanen Triebe und Interessen ausleben.

Wie viele Bankdirektoren und Spitzenpolitiker haben auch viele Jugendliche der Exklusionsmilieus den gesellschaftlichen Werte- und Normenkonsens aufgekündigt. Während die einen sich mit Tricks und Finten an den Börsen und in den Aufsichtsräten von Großkonzernen die Taschen füllen, plündern die anderen Geschäfte, zünden Autos an. Beide respektieren niemanden und nichts anderes als ihre egoistischen Interessen. In England rebellieren die Unterschichten, in Spanien protestieren die Studenten. Beide verfolgen nur ihre eigenen Interessen. Seit an europäischen Schulen, Fachhochschulen und Universitäten nicht mehr gebildet, sondern nur ausgebildet wird, ist der universell denkende Mensch, zur Selbstdistanzierung fähig und mit seinem Handeln an Prinzipien der Gleichheit, Gerechtigkeit und des Respekts vor der Würde des Menschen orientiert, Mangelware. An seine Stelle trat der egoistische Leistungsmensch. Der sucht primär den eigenen Vorteil und engagiert sich nie im Interesse anderer politisch.

In Österreich herrscht Ruhe. Dafür gibt es gute Gründe, denn im Großen und Ganzen ist die Situation der österreichischen Jugendlichen nicht schlecht. Zumindest im Vergleich. Es klingt wie ein schlechter Scherz, aber 8,2 % Jugendarbeitslosigkeit ist der zweitniedrigste Wert in Europa. Der Zugang zur Bildung ist noch relativ frei. Beides beruhigt und erhält die Ordnung. Doch nichts ist in Stein gemeißelt. Schon bei den nächsten Wahlen sind neoliberale Mehrheiten möglich, dann könnten Ruhe und Ordnung der Vergangenheit angehören: wenn Studiengebühren eingeführt, die Mittel des AMS gekürzt und Arbeitnehmer- und Arbeitnehmerinnenrechte beschnitten werden. Wer wird dann rebellieren? Am ehesten die Unterschichten, wie jetzt in London. Die Jugendlichen der Bildungsschichten werden sich wohl eher damit begnügen, bei Facebook Protestgruppen zu bilden und fleißig irgendwelche „Like“-Buttons zu drücken.