"Können uns ignorante
Politik nicht leisten"

Spätestens seit der Corona-Pandemie scheint die Welt endgültig aus den Fugen geraten zu sein. Oder etwa nicht? Die renommierte österreichische Physikerin Ille C. Gebeshuber gibt Hoffnung mit ihrem neuen Buch "Eine kurze Geschichte der Zukunft. Und wie wir sie weiterschreiben". Im News-Interview erklärt sie, wieso Zukunftspessimismus nicht angebracht ist und warum Frauen mehr mitreden sollten.

von Gesellschaft - "Können uns ignorante
Politik nicht leisten" © Bild: Privat
Ille C. Gebeshuber ist eine österreichische Physikerin und wurde 2017 Österreicherin des Jahres im Bereich Forschung. Sie ist eine der gefragtesten Expertinnen im Bereich Bionik und Nanotechnologie, die sowohl in den USA als auch in Malaysia forschte. Seit 2016 ist sie als Professorin am Institut für Angewandte Physik an der TU in Wien tätig und setzt dort die Ideen um, auf die sie im Regenwald gekommen ist. Ihr Buch "Wo die Maschinen wachsen" ist 2016 im Ecowin Verlag erschienen.

Frau Gebeshuber, wie stellen Sie sich die ideale Zukunft vor?
Ich stelle mir vor, dass die Menschheit im Einklang mit der Natur ihr Auskommen findet. Dass wir den Raubbau und andere negative vom Menschen induzierten Veränderungen stoppen und der Natur und damit auch uns eine schöne gemeinsame Zukunft ermöglichen.

Im Buch gebe ich deshalb Anregungen, wie sich die Gesellschaft, aber auch der einzelne ändern kann, um eine bessere Zukunft für alle zu ermöglichen. Wir haben ja nur zwei Alternativen: Entweder legen wir eine Bruchlandung hin, das wollen wir ja nicht - oder wir legen eine schöne, sanfte Landung hin, das sollten wir natürlich anstreben.

Wenn Sie Ihre Anliegen für die Zukunft priorisieren müssten, was wäre Ihrer Ansicht nach am wichtigsten?
Es gibt drei Prioritäten. Zum einen brauchen wir effizientere Systeme und Prozesse bei der Herstellung von Dingen, die wir brauchen, und beim Entsorgen von Dingen, die wir verwenden. Diese ganzen industrialisierten Prozesse, die wir im Laufe der letzten Jahrzehnte und Jahrhunderte aufgebaut haben, müssen wir uns dabei ganz genau anschauen.

Zum anderen benötigen wir langlebige Produkte und gute Lösungen. Es geht nicht, dass Leute Kleidung maximal ein halbes Jahr lang tragen und dann wegschmeißen. Man sollte stattdessen auf hohe Qualität setzen, das wäre ja auch für die Firmen gut, weil solche Waren einen höheren Wert haben und besser verkauft werden können.

Drittens sollten wir die Reduktion des Konsums anstreben. Das betrifft nicht nur die Regionalisierung von Nahrungsmitteln und die Reduktion des Fleischkonsums, das ist natürlich auch wichtig, sondern auch umweltbewussteres Reisen und die Anschaffung klügerer Technologien.

Welcher Zeitrahmen wäre für so ein Maßnahmen-Paket realistisch?
Ich denke, wir sitzen auf einem großen, trägen Schiff, und wenn man am Ruder dreht, bewegt sich kaum etwas sofort in die neue Richtung, die man einschlägt. Infolgedessen müssen wir die notwendigen Änderungen möglichst früh und intelligent angehen. Und „intelligent“ bedeutet in diesem Zusammenhang, dass man wenigstens versucht, die Interdependenzen von Problemen zu verstehen, denen wir uns gegenüberstehen.

Dafür braucht man Verständnis von komplexen Systemen, von der Naturwissenschaft, aber auch von der menschlichen Gemeinschaft. Es ist ganz leicht, ein Buch mit Lösungen zu schreiben, aber wenn es daran scheitert, dass die Leute es nicht annehmen, dann bringt das leider nichts. Es geht also auch darum, die Menschen dazu zu motivieren, dass sie die Veränderung wirklich wollen und sie dann auch leben. Wenn man den Leuten sagt, was sie selbst in ihrem Umfeld machen können, auch wenn es nur ein kleiner Schritt ist, dann kann es gelingen, Veränderung anzustoßen.

Der berühmte Butterfly-Effekt also?
Ja, genau. Wir alle können die schönen, bunten Schmetterlinge sein, die die große und wichtige Veränderung anstoßen.

»Wir können uns eine ignorante Politik nicht mehr leisten«

Scheitert das nicht an der Bequemlichkeit der Menschheit? Sei es konkret die eigene Bequemlichkeit, aber auch die Bequemlichkeit und Verselbständigung von Systemen, die sich etabliert haben?
Die Tendenz zu Bequemlichkeit ist immer da und zutiefst menschlich. Sie wird genau dann zum Problem, wenn machtgierige Populisten aus der Perspektive des kurzsichtigen Stimmenfangs heraus die Skepsis der Gesellschaft gegenüber notwendiger Veränderungen instrumentalisieren. Auf der sinkenden Titanic hätte ein Verleugner sicherlich einige gefunden, die eher mit ihm im Salon Champagner getrunken hätten, als zu den Rettungsbooten zu laufen.

Und heute ist es ähnlich. Unsere Gesellschaft ist noch in der Komfortzone, aber wir können uns eine ignorante Politik, die nur auf Stimmenmaximierung ausgerichtet ist, nicht mehr länger leisten. Die Umstände werden zusehends besorgniserregender, und das merken wir ja teilweise jetzt schon. Die Insekten verschwinden, die Monsunregen kommen aus ihrer Regelmäßigkeit heraus, auch die Meeresströmungen geraten zunehmend in ein Ungleichgewicht.

Dass die Menschheit eine Veränderung braucht, ist offensichtlich. Historisch gesehen musste es aber oft erst zu einem „Knall“ kommen, ehe sich etwas grundlegend in Gesellschaften geändert hat. Was müsste passieren, um das diesmal vermeiden zu können?
Das ist natürlich die Elferfrage. Als Menschheit sind wir am Stolpern – und immer mehr Leute erkennen meiner Meinung nach auch, dass wir uns kurz davor befinden hinzufallen. Aber wir müssen und können optimistisch sein; noch haben wir es in der Hand uns auszusuchen, wie wir landen werden.

»Die Pandemie hilft uns aufzuwachen, weil wir sehen, dass auch wir sehr angreifbar sind«

Glauben Sie, dass die gegenwärtige Pandemie nachhaltigen Einfluss auf unsere Gesellschaft haben wird?
Ich denke schon, dass die Pandemie uns hilft aufzuwachen, weil wir eben sehen, dass auch wir sehr angreifbar sind und dass wir natürlich auch ein Teil der Natur sind. Wir können noch so reich und mächtig sein, es kann uns jederzeit erwischen. Andererseits ist das Gedächtnis der Menschen kurz. Die spanische Grippe war so gut wie vergessen und sogar die Anschläge vom 11. September 2001 verblassen in der Erinnerung vieler.

Woraus konkret müssen wir aufwachen?
Die Leute haben in vielen Fällen aufgehört, sich als Teil der Natur zu sehen. Auch deshalb, weil eine verstärkte Spezialisierung in den Arbeitsbereichen stattgefunden hat. Man lebt in der eigenen Welt und sucht sich dort die für sich selbst passendsten Informationen. Und weil Menschen auf dieser Ebene Herrscherinnen und Herrscher sein können, glauben sie auch, über die Natur herrschen zu können. Bei dieser Sichtweise geht etwas ganz Wichtiges verloren, nämlich der Blick für das große Ganze. Die vermeintlichen Universallösungen, die sich in den kleinen Bereichen anwenden lassen, sind in einem großen Gesamtsystem katastrophal.

Wir sehen in vielen Fällen die belebte Natur nur noch als Quelle für Rohstoffe und Senke für den Abfall, also nur aus der wirtschaftlichen Perspektive. Die ganzen Langzeitentwicklungen, die nicht nur gefährlich sind, sondern auch teuer, werden in vielen Fällen aber unterschätzt und verdrängt.

Sie fordern in Ihrem Buch einen neuen Qualitätsfokus – wie schnell könnte sich Ihrer Ansicht nach ein Verständnis etablieren, das reine Leistungsorientierung und permanente -steigerung gegen Nachhaltigkeit tauscht?
Viele Betriebe sehen Nachhaltigkeit negativ, weil sie Angst davor haben, dass es teuer ist, Produktionsmechanismen umstellen zu müssen. Was mich aber fasziniert, wenn ich mit Leuten aus der Industrie spreche – und ich arbeite ja sehr viel an dieser Brücke zwischen der angewandten Forschung und der industriellen Umsetzbarkeit – ist, dass es oft nur äußere Sachzwänge und Umstände sind, die die eine positive Transformation erschweren. Ändern sich die Regeln von oben durch Direktiven, kann man plötzlich ganz leicht darauf aufspringen und fallen notwendige Veränderungen viel leichter.

Ich glaube, beim Fokus auf Qualität können wir uns auch ein bisschen etwas von der weiblichen Sichtweise der Welt abschauen. Wenn mehr Frauen das Sagen haben, wird vielleicht auch auf mehr Qualität gepocht und nicht auf den so populären Trend, Maßzahlen zu erfüllen. Das ist schon ein sehr männliches Rennen, das ausgetragen wird.

Was wir dabei aber auf jeden Fall verhindern sollten, ist eine Vermännlichung der Frauen, die in die ganzen Männerdomänen einsteigen, umsteigen oder aufsteigen. Frauen haben so viel Wertvolles beizutragen und am gewinnbringendsten auf allen Ebenen ist es wohl, wenn weibliches und männliches Denken sich ergänzen.

»Vor die großen Probleme gestellt, wirkt es unlogisch, nur eine Hälfte der Menschheit in Bezug auf mögliche Lösungen zu befragen«

Hat uns eine Männerdominanz in die gegenwärtige Misere geführt?
Das ist wohl etwas zu kurz gegriffen. Wir müssen einfach die Art und Weise überdenken, wie sich die Wirtschaft in der Vergangenheit entwickelt hat. Wir sind von falschen Voraussetzungen ausgegangen, dass wir unbegrenzte Vorräte hätten, und haben unser Warenangebot dementsprechend daran angepasst.

Jetzt haben wir die Limitationen erkannt, die Grenzen des Planeten und Rohstoffe, die uns ausgehen. Da kommen wir in die Notwendigkeit hinein umzudenken, volkswirtschaftlich neu zu denken und zu hinterfragen, wie man die Dinge auf Qualität umstellen kann.

Der Wettkampf oder auch der Wettlauf ist schon ein sehr männlicher Zugang. Aber er hat auch viel erreicht. Nur, vor die großen Probleme gestellt, wirkt es unlogisch, nur eine Hälfte der Menschheit in Bezug auf mögliche Lösungen zu befragen. Man sollte die Chance auf mehr Stimmen, mehr Diskussion und andere Sichtweisen nutzen. Denn schon Einstein hat gesagt, dass man Probleme niemals mit derselben Denkweise lösen kann, durch die sie entstanden sind.

Mit einer veränderten Wahrnehmung von Qualität würde logischerweise auch das Konsumverhalten einhergehen – ist es da nicht ein massives Problem, dass nicht nur die einstige Mittelschicht dahinschmilzt, sondern auch die Armut generell zunimmt?
Das Wegschmelzen der Mittelschicht ist ein Problem. Allerdings stört weniger die Entmachtung der ärmeren Menschen, sondern die Tatsache, dass sich die wirklich reichen Mitbürger sich von der Gesellschafft zunehmend entkoppeln und oft keine Verantwortung wahrnehmen wollen. Hier gilt es positiv auf die Elite einzuwirken. Ein Anfang wäre vor allem, jenen Reichen mit Wertschätzung zu begegnen, die etwas zur Allgemeinheit beitragen. Und hier gibt es bereits gute Beispiele. Die Mächtigen werden früher oder später einsehen, dass die Unterstützung von Unterprivilegierten auf lange Sicht günstiger kommt, als die Finanzierung von Lobbies. Und es ist viel schöner reich in einer reichen Welt zu sein, als superreich in einer bettelarmen.

Sie haben einst Ihren Vornamen geändert, um in wissenschaftlichen Publikationen nicht sofort als Frau aufzufallen. Müssten Sie sich heute der gleichen Entscheidung stellen wie damals?
Nein, das ginge jetzt auch gar nicht mehr, weil man jeden sofort googeln kann. Die Zeiten haben sich sowieso geändert, das war damals noch in der „Steinzeit“ der heutigen Physik.

Also besteht dieses Problem heutzutage nicht mehr?
Ich glaube, dass es schon noch Gebiete gibt, wo man als Frau sehr sonderbar angeschaut wird. Wenn man aber durch Qualität reinkommt, dann funktioniert es auch, dass man seinen Platz behauptet.

Ich habe mir im Studium noch anhören müssen: „Warum studieren Sie und stehen nicht daheim am Herd?“ Ich habe damals erwidert, dass Physik das Schönste sei, was es für mich gibt und dann bekam ich auch ein Lächeln zurück. Wir müssen uns heutzutage zum Glück weniger Sorgen machen, weil es viele gute und effektive Initiativen gibt.

Man sollte nicht den Fehler machen, dass man die Frauen zu besseren Männern werden lässt. Mir graut eigentlich vor einer Zukunft, in der man Frauen von Männern nicht unterscheiden kann. Es gibt Wunderbares in der weiblichen Welt, das derzeit Gefahr läuft verloren zu gehen. So wie die Wirtschaft im Moment generell aussieht, mag eine Vermännlichung der Frau attraktiv sein. Am Ende wollen wir aber doch nicht eine vereinheitlichte Masse.

Glauben Sie, dass man als Frau in Wissenschaft und Forschung in Österreich eher im Vor- oder Nachteil ist?
Es hängt im Moment noch ein bisschen vom Gebiet ab. In den Naturwissenschaften wird es zusehends leichter, in manchen Gebieten ist es bereits total akzeptiert. Die Waage schlägt vereinzelt sogar in die andere Richtung aus, dass man jetzt als Frau besondere Aufmerksamkeit bekommt.

»Die starke Vermännlichung von Frauen ist weder nachhaltig noch tragbar«

Wird sich die Corona-Krise auch auf die Karrieren von Forscherinnen auswirken?
Durch die Krise wird uns jetzt bewusst, dass die – ich sage es bewusst noch einmal – starke Vermännlichung von Frauen im gegenwärtigen Wirtschaftssystem bei großen Problemen weder nachhaltig noch tragbar ist.

Es ist ja ein Aufschrei durch die weibliche Wissenschaftswelt gegangen. Ich habe es in der Physik und in den Naturwissenschaften mitbekommen. Es war zum Teil zu vernehmen, dass alles verloren gegangen sei, was sich Frauen die letzten Jahre aufgebaut hätten. Es kam darauf an die Kinder selbst zu betreuen und alte Stereotype wurden schnell bedient. Die Liebe zur eigenen Familie und zur eigenen Lebensaufgabe wurde dabei kaum thematisiert. Und auch das ist dann wieder so eine Entwicklung, die uns nachdenken und aufwachen lassen sollte.

Zur Nachlese

In ihrem neuen Buch "Eine kurze Geschichte der Zukunft. Und wie wir sie weiterschreiben"* stellt sich die Physikerin Ille C. Gebeshuber gegen den Zukunfts-Fatalismus. Sie führt pointiert durch wegweisende Kapitel der Menschheitsgeschichte und schlägt von dort einen Bogen über die Gegenwart in die Zukunft. Dabei geht es um wissenschaftlichen Fortschritt, aber auch Begriffe wie Ehrfurcht vor der Schöpfung, Wahrheit und Verantwortung, Revolution und Evolution.

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