Wenn es um Leben und Tod geht

Ärzte, Juristen, Philosophen beraten in der Bioethikkommission den Bundeskanzler. Ihr Mitglied Peter Kampits über ungeahnte Herausforderungen in der Krise

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Gastkommentar - Wenn es um Leben und Tod geht

Die uns bedrohende Situation ist für alle Neuland, auch für die Mitglieder der Bioethikkommission. Es geht nicht nur um gesundheitspolitische Entscheidungen, sondern vor allem auch um die sogenannte Triage: eine direkte Entscheidung über Leben und Tod. Mehrere Personen sind unmittelbar lebensbedrohend betroffen, und nun ist zu entscheiden, wem Priorität in der Behandlung eingeräumt wird. Das Dilemma reicht weiter, als aus den Indikatoren medizinischer Art abzuleiten ist (Überlebenschancen, Schwere der Krankheit, Stadien möglicher Vorerkrankungen etc.). Es ist ein Problem der Ethik, die hier Orientierungshilfen bereitstellen sollte.

Die allgemeinen ethischen Prinzipien - Achtung der Würde und des Lebensrechtes aller Menschen, Nichtberücksichtigung des sozialen Status, des kalendarischen Alters oder einer von außen beurteilten "Lebensqualität" - sind zu wahren, aber zu theoretisch, um Handlungsanleitungen zu vermitteln. Auch bleibt die Frage, ob Ärzten, Pflegepersonal oder Sanitätern nicht Priorität eingeräumt werden sollte. Auf ihre Notsituation, die alle Grenzen sprengende physische und psychische Belastung, sei nur nebenbei hingewiesen.

Zentral wichtig in diesem Zusammenhang sind der freie Wille und die Autonomie des Erkrankten. Wenn der behandelnde Arzt in einer unausweichlichen Situation sozusagen noch Glück im Unglück hat, liegt eine Patientenverfügung vor, für die ich nachdrücklich plädiere. Muss der Arzt aber selbstständig und unter Zeitdruck über Behandlung oder ihre Einstellung entscheiden, kann er nur vorsichtig tastend und seinem Gewissen folgend handeln. Denn es gibt ethische Dilemmata, für die es keine Lösung geben kann, auch nicht die, Verantwortung auf ein Kollektiv abzuwälzen.

Immer wieder wird die Befürchtung laut, es könne nun zu einem sich verschärfenden Generationenkonflikt kommen: Die Jungen sind durch das Virus weitaus weniger gefährdet -sollen sie zugunsten der Alten in ihrer Lebensqualität, ihrer wirtschaftlichen Zukunft beeinträchtigt werden? Hier kann man nur eine Balance finden: Generationen übergreifend muss uns bewusst sein, dass wir alle etwas beizutragen haben. Eine neue Dimension der Verantwortung tritt auf, nämlich Verantwortung für etwas, das in der Zukunft liegt.

Hier wird auch die Frage laut, inwiefern sich eine Gesellschaft an Unmenschlichkeit zu gewöhnen beginnt. Wird man bei der nächsten Krise auf die Alten und Kranken schon etwas weniger Rücksicht nehmen? Droht eine inakzeptable Ideologie des "unwerten Lebens" zu greifen? Ich befürchte, dass das bevorsteht, wenn es uns nicht gelingt, uns aus der "Fortschrittsfalle der Medizin" zu befreien. Die alten Träume fast grenzenloser Lebensverlängerung sind fast wahr geworden. Wir haben verlernt, mit unserer Endlichkeit umzugehen. Und wenn diese Pandemie etwas wie einen Nutzen haben soll, so wäre es, dass wir uns unserer Vulnerabilität wieder bewusst werden: wie verwundbar trotz aller Digitalisierung und Globalisierung unser System geworden ist. Daran ändert auch die permanente Überinformation durch Medien nichts - im Gegenteil: Schrecken und Ängste werden zur Gewohnheit wie die Undurchsichtigkeit der Statistiken.

Eine verwandte Materie hält mich, auch auf Grund eigener erheblicher Erkrankungen, in Atem: Wie halten wir es mit der "aktiven", auf Ersuchen des Sterbenden geleisteten Sterbehilfe? Meine Position ist rein privat: Wenn ein Mensch autonom entscheidet, dass er nicht mehr leben will, weil ihm nur mehr ein vegetatives Leben an Apparaten bevorsteht, ist das zu respektieren. Und wenn jemand, der nicht mehr selbst in der Lage ist, sich zu helfen, zuvor unmissverständlich festgelegt hat, dass er Hilfe wünscht, sollte auch der assistierte Suizid entkriminalisiert werden. Dass 2007 der Grün-Abgeordnete Herbert Fux allein zum Sterben in die Schweiz fahren musste, weil seine Frau verhaftet worden wäre, wenn sie ihn begleitet hätte: Das war unmenschlich. Der Staat hat am Sterbebett nichts verloren.

Dieser Kommentar erschien ursprünglich in der News Ausgabe Nr. 16/20

Kommentare

Mailyn P.

Der Staat hat am Sterbebett nichts verloren....dem ist nichts hinzuzufügen.....allerdings, die meisten politischen Parteien tun in der Frage gewollte Sterbehilfe das was die Religionen, besonders die r.k. Kirche will. Nämlich diese verbieten. Kirche sagt, vor allem ÖVP macht...

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