Corona-
Matura

Reden ist Silber, Schreiben ist Gold - nach diesem Motto findet heuer die "Matura light" statt. Eine typisch österreichische und vor allem inkonsequente Entscheidung. Mit ein bisschen mehr Mut und Großzügigkeit hätte sich durchaus eine andere Lösung finden lassen

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Gastkommentar - Corona-
Matura

Besondere Zeiten erfordern besondere Maßnahmen. Diese Gleichung steht für zivilisierte Gesellschaften außer Streit. Zweifellos ist die Corona-Zeit eine ganz besondere. Es sind jetzt und in den nächsten Monaten, wenn nicht Jahren, besondere Bestimmungen notwendig. Eine betrifft unsere "heilige" Matura, das Initiationsritual des Bildungsbürgertums, das heuer offensichtlich nicht zur Krönung der vorakademischen Entwicklung führen kann. Nun soll diese Krönung um ihre Juwelen reduziert werden. Die sogenannte "Matura light" wurde erfunden. Nach dem Motto "Reden ist Silber, Schreiben ist Gold" entfällt die mündliche Reifeprüfung, die schriftliche wurde um ein Fach gekürzt und die Jahresnote wird in die Maturabeurteilung einbezogen. So weit, so gut, aber im Eigentlichen österreichisch inkonsequent. In der gegenwärtigen (Krisen-)Situation sollte man das traditionell austriakische Beamtendenken häuten.

Österreich hat sich im 20. Jahrhundert zweimal mitten in unendlich großen Katastrophen wiedergefunden, beim zweiten Mal wohl in der noch viel größeren. Gemeint sind der Erste und Zweite Weltkrieg sowie seine Folgen -und auch damals standen junge Menschen vor der Matura. In Österreich-Ungarn bestand seit dem Oktober 1914 die Möglichkeit einer "Kriegsmatura" auf freiwilliger Basis. Die formal erleichterte Reifeprüfung war nach Absolvierung der siebenten Gymnasialklasse möglich, das heißt nichts anderes und nur, dass man als Siebzehnjähriger zum Kanonenfutter mit Matura werden konnte. Bis zum Ende der sinnlosen Kämpfe im Jahr 1918 haben viele junge Männer die Kriegsmatura abgelegt. Beim zweiten Mal haben Österreich und die Matura nicht mehr existiert. Unser Land war nach dem Anschluss im Jahr 1938 Teil des Deutschen Reichs, in dem nach dem Angriff auf Polen das "Notabitur" erfunden wurde. Im Wesentlichen hat man den Schülern ein Abschlusszeugnis mit dem "Reifevermerk" mit an die Front gegeben. Nichts liegt mir ferner als Verordnungen aus einer unmenschlichen Zeit für das Lösen heutiger Fragen herbeizuzitieren. Nahe geht mir aber die Unsicherheit und oftmals Ängstlichkeit der angehenden Maturantinnen und Maturanten, die lang nicht gewusst haben, wie ihnen geschehen wird. Wir alle wissen genau, wie sich Maturantinnen und Maturanten vor der Reifeprüfung fühlen und welche Emotionen sie haben. Wir wissen es, weil wir entweder selbst, unsere Kinder oder Verwandte maturiert haben. Und wir haben die große Anspannung nicht vergessen.

Ich bin überzeugt, dass man sich in Österreich mit etwas Mut und Großzügigkeit, die uns in unserem Kleinstaat immer fehlt, auch für eine andere Lösung als die kompromissbehaftete Corona-Matura mit drei Fächern hätte entscheiden können. Eine angemessene, faire und gerechte Möglichkeit wäre es gewesen, das Abschlusszeugnis der achten, also der Maturaklasse, zum Reifezeugnis zu erklären. Wer die achte Klasse des Gymnasiums positiv absolviert hat, ist reif. Diese Tatsache bedarf keiner weiteren Diskussion. Wer die achte Klasse geschafft, wer immer strebend sich bemüht hat, den kann in einem Krisenfall eine sinnvolle Verordnung erlösen, ohne dass wir gleich die Keule der Anlassgesetzgebung schwingen. Im Übrigen halte ich es für lächerlich, jungen Menschen, die acht Klassen positiv absolviert haben, in dieser Situation Schwierigkeiten zu bereiten. Wir müssen nicht immer Paragraphen reiten, damit der Amtsschimmel wiehern kann. Rund um die kleinliche Maturadiskussion habe ich recherchiert und herausgefunden, dass in Österreich nicht wenige "Kriegsmaturanten" auf respektable Nachkriegskarrieren verweisen können. Vom Mitglied des Verfassungsgerichtshofs über Universitätsprofessoren bis zu angesehenen Ärzten habe ich einige gefunden. In meiner jahrzehntelangen Berufslaufbahn hatte ich selber dienstlich mit Rechtsanwälten und Ärzten mit Kriegsmatura zu tun. Es waren beileibe nicht die schlechtesten Vertreter ihres Berufsstands.

Dieser Gastkommentar erschien ursprünglich in der News Ausgabe Nr. 17/20

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