Das Corona-Dilemma
der Oppositionsparteien

In Krisenzeiten von der Oppositionsbank aus zu agieren, ist für SPÖ, FPÖ und Neos besonders hart. Die Parteien stecken in einem Dilemma, das sich kurzfristig nur schwierig beseitigen lässt. Ein Gastkommentar von Politikberater Feri Thierry.

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Gastkommentar - Das Corona-Dilemma
der Oppositionsparteien
© Markus Tordik
Feri Thierry ist Politikberater und seit über 30 Jahren im politischen Feld unterwegs. Er ist heute Managing Partner von 365 Sherpas Consulting und auf die Bereiche Public Affairs und Politische Kommunikation spezialisiert.

Die Rhetorik einer Partei ist mehr als der Aufbau einer Rede: Sie umfasst auch ihre Verhaltensweise sowie Formulierungen („Wordings“) und Tonalität ihrer Kommunikation – maßgeblich geprägt durch die Menschen, die für diese Parteien in der Öffentlichkeit sprechen. Diese Rhetorik der drei Oppositionsparteien in Österreich zu analysieren, ist gerade jetzt in Zeiten der Corona-Krise kein leichtes Unterfangen. Denn Themenlage und Kommunikationsstile sind derzeit völlig anders als zu üblichen Zeiten: weit weniger vielfältig, dafür viel fokussierter. Das bedeutet eine große Herausforderung für die Rhetorik der Oppositionsparteien.

Seit März 2020 ist die Bundesregierung – und mit ihr zumindest partiell auch alle Landesregierungen – im permanenten Krisenmodus. Die Ministerinnen und Minister erfüllen in erster Linie und großteils eine Funktion, die normalerweise nur punktuell gefragt ist: die des Krisen-Managements. In Krisen ist politische Kommunikation von Funktionsträgerinnen und -trägern stark anlassbezogen, kurzfristig und operativ – und hat als Hauptziel das Schaffen von Vertrauen und Sicherheitsgefühl. Für längerfristiges Themensetting, nachhaltige Reformen und große Programme ist da kaum Platz. Damit einher geht enorme Präsenz für die Exekutive: Fast täglich müssen Ministerinnen und Minister angesichts neuer Entwicklungen der Krise nicht nur dazu Stellung beziehen, sondern gleich Lösungen anbieten und dabei Sicherheit vermitteln.

Das bedeutet für die Opposition im Umkehrschluss mangelnde Präsenz und wenig Raum für ihr Leistungsangebot. SPÖ, FPÖ und NEOS taten sich in den ersten Monaten entsprechend schwer, überhaupt wahrgenommen zu werden. In dieser Spielanlage spielen nur die Regierungsparteien am Feld, die Opposition sitzt auf der Zuschauerbank oder – im ungüstigeren Fall – sie streitet in der Kabine.

Die Spielanlage ist aber nur ein Faktor, der die Rhetorik der Oppositionsparteien bestimmt. Genauso bedeutend sind zwei weitere Faktoren: Die Positionierung, das Selbstverständnis einer Partei prägt auch die Rhetorik, ihre gesamte Kommunikation. Versteht sich die Partei als staatstragend, tut sie sich schwer mit einer zu aggressiven Kommunikationslinie. Und nicht zuletzt ist es auch eine Frage der Persönlichkeiten, die für die Partei öffentlich sprechen. Die Führungsperson einer Partei kann die eigene Rhetorik nur graduell anpassen, will sie nicht unauthentisch werden. Denn mangelnde Authentizität ist Gift in der Kommunikation und in Folge für die eigenen Vertrauenswerte.

Wie sehen diese beiden weiteren Faktoren nun bei den derzeitigen Oppositionsparteien aus?

Die SPÖ ist in ihrem Selbstverständnis und ihrer Tradition eine Exekutivpartei – gewohnt zu regieren. Daher ist der staatstragende, verantwortungsvolle Auftritt der charakteristische Kommunikationsstil. Und das lässt sich nicht von einem Tag auf den anderen Tag ändern, wenn die Partei in Opposition geht. Vor allem auch, wenn die SPÖ in drei Bundesländern nach wie vor regiert und als Mehrheitsbeschafferin im Nationalrat (bei Zwei-Drittel-Gesetzesmaterien) und im Bundesrat zum Zug kommen kann. Mit ihrer Parteichefin Pamela Rendi-Wagner hat die SPÖ zudem eine Frau an ihrer Spitze, die ihre politische Erfahrung in der Exekutive gemacht hat: zunächst als Sektionschefin für Öffentliche Gesundheit und dann als Gesundheitsministerin. Würde sie als kläffender Hund auftreten, wäre es völlig unauthentisch. Mittlerweile sind wir aber in einer Phase, in der Rendi-Wagner mit ihrer Persönlichkeit und ihrem Stil gut durchkommt: mit Expertinnenwissen und ruhig im Tonfall.

Die FPÖ hat den Großteil ihrer Parteigeschichte in Opposition verbracht – und diese Rolle immer durchaus leidenschaftlich gelebt. In diese Rolle ist sie nach Ibiza wieder zurückgestiegen, aber durchaus mit Trennungsschmerz zu ihrer Zeit in der Bundesregierung. In der Doppelspitze von Norbert Hofer und Herbert Kickl manifestiert sich das deutlich: Der eine klingt immer noch wie ein Regierungsmitglied oder Bundespräsidentschaftskandidat, der andere überbrüllt gerne alle anderen und manchmal sogar sich selbst. Zunächst wird sich wohl der Kickl-Stil durchsetzen, denn der ist zwar mit einem Wähler:innenanteil von etwa 15 % limitiert, aber zur Stabilisierung der aktuellen Wähler:innenschaft gut geeignet. Erst wenn die FPÖ darüber hinaus wachsen will, muss sie sich stilistisch, also auch in ihrer Rhetorik, für sensiblere Gemüter öffnen.

NEOS schließlich propagierte bereits in ihrem Gründungsnarrativ evidenzbasierte und inhaltsgetriebene Politik – und erhebt dazu einen klaren Gestaltungsanspruch. Dazu kommt eine Wähler:innenschaft, die überdurchschnittlich gebildet und damit weniger offen für laute Brachialkommunikation ist. Damit hat NEOS in der Opposition ein Dilemma, das sich nicht immer leicht auflösen lässt. Parteivorsitzende Beate Meinl-Reisinger wandert merkbar auf diesem Grat, manche ihrer Abgeordnete haben sich für die laute, aggressive Kommunikation entschieden, von den anderen ist derzeit wenig zu hören. Ein weiterer Haken der Sachorientierung: Wenn man im Nachhinein darauf hinweist, gewisse Entwicklungen immer vorausgesagt zu haben, wird aus Expertise leicht Besserwisserei. Und die ist unbeliebt.

Alle drei Oppositionsparteien sind somit in einem Dilemma, das sie allesamt hemmt in einer ungebremsten Kampfrhetorik und im Wettbewerb der stärksten Oppositionspartei. Am leichtesten tut sich noch die FPÖ, die zu ihrem über viele Jahre praktizierten Stil zurückkehrt. Für die anderen bleibt es eine tägliche Herausforderung. Sie können und müssen darauf bauen, dass die Zeit der Krise vorbeigeht und wieder Platz für andere Themen und eine andere Rhetorik ist.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. News.at macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.