In seinem Schreiben erklärte sich Gaddafis über Italiens Teilnahme an der NATO-Mission überrascht. Er sei sich jedoch im Klaren darüber, dass Berlusconi mit dem Militärangriff gegen Libyen nicht einverstanden war. "Ich glaube, dass Du noch die Möglichkeit zur Kehrtwende hast. Daher bitte ich Dich, Dich bei deinen westlichen Alliierten einzuschalten, um die Bombardierung zu stoppen, die unsere libyschen Brüder und unsere Kinder tötet", hieß es im Schreiben.
Die ehemalige Kolonialmacht Italien war bis zum Beginn des Anti-Gaddafi-Aufstandes Mitte Februar der engste Verbündete und wichtigste Handelspartner des libyschen Regimes in Europa. Im Jahr 2008 unterzeichneten beide Länder ein Freundschaftsabkommen, das die Stärkung der Beziehungen vorsah. Das Abkommen verbot die Nutzung italienischen Territoriums für Angriffe auf Libyen. Berlusconi bezeichnete den "Colonello", wie Gaddafi in Italien genannt wird, als persönlichen Freund. Mehrmals wurde Gaddafi von Berlusconi als Ehrengast in Rom empfangen.
Gaddafi hatte Italien wegen seiner Teilnahme an der in Libyen aktiven Militärallianz unter NATO-Regie des Verrats beschuldigt: "Zwischen uns und Italien herrscht offener Krieg. Was ist mit dem Freundschaftsvertrag geschehen, den Italien mit Libyen unterzeichnet hatte? Wo ist mein Freund Berlusconi? Italien hat sich für die Kolonialzeit in Libyen entschuldigt. Warum beteiligt sich Italien jetzt mit seinen Kampfflugzeugen an der Invasion Libyens?", fragte Gaddafi noch im vergangenen Mai. Berlusconi hatte sich wegen der Drohungen Gaddafis gegen Italien unbeeindruckt gezeigt.