Marko Arnautović: Ein verhaltensauffälliger Volksheld

Ob Marko Arnautović gut spielt, ist nicht entscheidend: Er steht auf dem Platz, um dem Nationalteam Kraft zu geben. Die Geschichte eines verhaltensauffälligen Volkshelden

von
Fußball - Marko Arnautović: Ein verhaltensauffälliger Volksheld

Einmal stand er allein vor dem Tor und vernebelte. Zweimal wollte er im Strafraum abdrücken, traf dann aber den Ball nicht so richtig. Sprints in die Tiefe? Ließ er wegen konditioneller Mängel und brütender Hitze aus. Tempodribblings? Mangels Beschleunigung unmöglich. Dafür dirigierte er lautstark und wild gestikulierend das Tempo der Hinterleute - und deckte ab und zu mit seinem wuchtigen Körper den Ball ab.

Rein sportlich betrachtet war dieser Marko Arnautović beim Eins-zu-null-Sieg der Österreicher gegen die Ukraine -der am 43. Jahrestag von Córdoba den Aufstieg ins EM-Achtelfinale fixierte - wohl so ziemlich der schlechteste Österreicher auf dem Platz. Doch das macht nichts, denn einer wie er wird mit seinen 32 Jahren längst nicht mehr nach rein sportlichen Maßstäben gemessen, er hat sich als Phänomen verselbständigt.

»Was ich will, das mache ich. Ich werde mich für keinen Menschen dieser Welt ändern, für keinen«

"Bei Ausnahmespielern wie ihm ist ganz einfach auch die Präsenz auf dem Platz ein Faktor", räumt sein um elf Jahre jüngerer (und schnellerer) Nebenspieler Christoph Baumgartner ehrfurchtsvoll ein. Ein "absolutes Mentalitätsviech" sei er. Und der Gegner, so Baumgartner, sei meist so sehr auf den "Arnie" konzentriert, dass für seine Mitspieler "größere Bewegungsräume" entstünden. Und Arnautović selbst, der glänzt derweil allein durch Anwesenheit. Wenn er denn gerade weder verletzt noch gesperrt ist. "Er ist neben Alaba der Anführer auf dem Platz, das macht ihn für das Team so wichtig", schwärmt sogar ORF-Analytiker Herbert Prohaska. Und der galt bislang als einer der härtesten Arnautović-Kritiker. Und als Sprachrohr jener, die dem muskelbepackten, tattooübersäten Kicker im Türsteherformat vorwarfen, er vergeude mutwillig sein großes Talent.

© News Ricardo Herrgott Im Hintergrund die Mühle, im Vordergrund der Wirbelwind: Bei Twente Enschede wurde Arnautović zum Goalgetter

Aber Ausnahmespieler, Anführer, Mentalitätsviech und aufreizend arroganter Held eines österreichischen Fußball-Sommermärchens, wie wird man das eigentlich? "Durch einen unerschütterlichen Glauben an sich selbst, so stark, dass er sich an guten Tagen auf die ganze Mannschaft überträgt", sagt sein ehemaliger Trainer Peter Flicker, der den Teenager Marko sechzehnjährig in die Herrenmannschaft des Floridsdorfer AC einbaute und so den Grundstein zu dessen Karriere legte.

Das unerziehbare Kind

"Was ich will, das mache ich. Ich werde mich für keinen Menschen dieser Welt ändern, für keinen", sagte der protzig-glamouröse Social-Media-Selbstvermarkter, der nur ganz selten längere Interviews gibt, einmal im News-Gespräch. Und erklärt damit, weshalb sich seine Kickerkarriere auch als Skandalchronik lesen lässt.

Erst kam da der holländische Mittelständler Twente Enschede daher, der den spindeldürren Wiener mit gerade einmal 17 Jahren engagierte, im Fitnessstudio aufpäppelte und so zum Goalgetter machte. Bereits in den Niederlanden soll Arnautović einen Gegenspieler rassistisch beschimpft haben, doch da Aussage gegen Aussage stand und keine Ohrenzeugen dingfest gemacht werden konnten, stellte der Fußballverband die Ermittlungen ein.

Spielerisch genial und auch sonst bedingungslos offensiv: Wäre dieses kecke Bürscherl nicht wie gemacht für den Kader des selbst als exzentrisch verschrieenen Startrainers José Mourinho? Oh ja, wäre es, und so wechselte Arnautović doch tatsächlich zu Inter Mailand. Aber auch Mourinho scheiterte an der absoluten Selbstbestimmtheit des Stürmers: Arnautović spielte nicht, weil er schlecht trainierte, und trainierte schlecht, weil er nicht spielte. Und so warf der Coach der Italiener eines Tages gernervt das Handtuch: "Marko hat den Charakter eines Kindes."

Spiel am heißen Asphalt

Das große Kind aus der Wiener Vorstadt wurde volley zu Werder Bremen weitergereicht, wo man es zu nachtschlafender Stunde in seinem weißen Porsche Panamera gestoppte. Die Polizei hielt Arnautović vor, er sei viel zu rasant unterwegs gewesen, nein, nein, nicht am grünen Rasen, sondern am heißen Asphalt. Der Tempobolzer selbst witterte indes Behördenwillkür und schritt zum verbalen Gegenpressing. Die daraus resultierende Anzeige sickerte allerdings an die Öffentlichkeit, und der Angezeigte wurde von seinem Verein gefeuert. Immerhin, das wusste man, war Ähnliches ja bereits ein Jahr zuvor passiert, als Arnautović -diesmal im Porsche Cayenne, diesmal daheim in Floridsdorf - ebenfalls einen arglos kontrollierenden Beamten in Manndeckung nahm: "Ich verdiene so viel, ich kaufe dein Leben."

© News Ricardo Herrgott Protz am Comer See: Obwohl er für Inter Mailand kaum spielte, residierte er bereits mit 20 Jahren wie ein Superstar

Doch bald schon sollte er noch viel, viel mehr verdienen: Der englische Abstiegskandidat Stoke City nämlich nahm den Austroserben unter Vertrag, dann der Londoner Traditionsklub West Ham United. Der ewige Problemboy, mittlerweile durch Heirat und Familie leidlich domestiziert, scorte regelmäßig uns wurde aber auch zum Antreiber und Assistgeber.

Doch da kein ganz großer Klub anbeißen wollte und das widerborstige Wunderkind bereits jenseits der 30 war, verabschiedete es sich dank eines hochdotierten Engagements bei Shanghai Dongya F.C. in die chinesischen Liga. Und damit in den sportlichen Vorruhestand. In Asien stand Arnautović wegen Corona und Quarantäne mehr im Abseits als auf dem Platz -um sich nun, auf der Großbühne einer Europameisterschaft, noch einmal den ganz großen Kick zu geben: Bei der EM schießt er das Siegestor gegen Nordmazedonien. Nur Sekunden später jubelt er sich in Rage und beleidigt die Mutter eines albanischstämmigen Gegenspielers unflätig.

Zehnmal reden, einmal denken

Aber warum macht er das, dieser Fußballverrückte, nicht einmal, sonder immer wieder? Weil er, so erklärt er sich das selber, eben "zehmal spricht und einmal denkt, anstatt zehnmal zu denken und einmal zu sprechen". Doch das ist mehr als unschuldig-naives Verplappern, das sind unkontrollierbare Emotionen. Aber das würde sich einer wie Arnautović niemals eingestehen. Fast schon lustvoll stilisiert er sich stattdessen zum sozialen Outcast: Da er, der Revoluzzer aus den Fußballkäfigen der Wiener Peripherie, dort die kleinkarierte, hinterfotzige Gegenwelt mit ihrer uniformierten Ordnungsmacht. "Ich habe eben dieses Bad-Boy-Image -sobald etwas gut geht, bin ich der Gott von Österreich und Weltklasse", sagte er im News-Interview. "Aber sobald ich ein Feuerzeug auf den Boden fallen lasse, und die Medien sehen das, reden gleich alle von einer Explosion." Einen Arnautović, sagt Arnautović, den wolle man "natürlich kaputt machen", auf den trete man ein. Nichts gegen die Polizei -aber die habe es geschafft, ihn, "den verrückten kleinen Jungen", so richtig auseinanderzunehmen.

Anzeige und Alibi

Einmal, erzählt er, als er noch in Bremen kickte, sei ihm aus heiterem Himmel eine Anzeige in den Postkasten seiner schneeweißen Neubau-Villa im Nobelvorort Oberneuland geflattert: "Nur weil in Wien irgendein Arnautović eine laute Party feierte. Riesenaufregung, Riesentamtam - doch die Beamten haben im Eifer des Gefechtes anscheinend vergessen, sich von dem Herren den Ausweis zeigen zu lassen und gegen mich Anzeige erstattet." Und das, obwohl der vermeintliche Unruhestifter zum Zeitpunkt der Amtshandlung gerade in einem Auswärtsmatch für die Bremener auflief. "Verstehen Sie?", fragt Marko Arnautović. "Verstehen Sie, dass einen so was fertig macht?"

© imago/Gribaudi/ImagePhoto Zu ballverliebt: Arnautović mit Skandal-Kumpel Mario Balotelli

Nicht ganz, würde man antworten - wenn der, der da rhetorisch fragt, auch nur das geringste Interesse an anderen Meinungen hätte und nicht als weitestgehend beratungsresistent gelten würde. "Er wusste von Anfang an, dass er gut Fußball spielen kann", sagt Peter Flicker, sein Trainer aus Floridsdorfer Tagen. "Und weil er das weiß, glaubt er auch, am besten zu wissen, wie er dieses Ziel erreichen kann." Wer im Weg steht, wird im Idealfall ausgetanzt und im Normalfall weggecheckt. Arnautović, dieser Anti-Alaba auf allen Ebenen, wurde auf den Hartplätzen der Vorstadt groß, nicht in der Akademie von Bayern. Was er von klein auf lernte, war das Gesetz des Stärkeren, nicht jenes der Spielkultur.

Auf dem Feld, erklärt Patrick Bernatzky vom Bundesnetzwerk für Sportpsychologie, habe Arnautović die Rolle des "Emotional Leaders", des emotionalen Antreibers. "Die Verhaltenskreativität, die Typen wie ihn ausmachen, kann sich aber ganz plötzlich in alle Richtungen entwickeln, positive wie negative." Mentalcoach Bernatzky, der unter Teamchef Josef Hickersberger fürs Nationalteam tätig war: "Was bei Marko womöglich noch ausbaufähig wäre, ist seine Inhibitionsfähigkeit, also seine Fähigkeit, negative Emotionen zu kontrollieren."

Marko Prolo

Aber will er das denn auch? Und wenn ja, wozu? Zur Festigung der Marke Marko lebt er längst nicht mehr von konstanten Leistungen, sondern von periodischem Wirbel. Ein Arnautović wurde nie irgendwo Torschützenkönig, gewann in keiner Liga einen Meistertitel, rutschte nie in den Kader einen echten Weltklassemannschaft. In jener Phase, in der er mit Inter Mailand Champions-League-Sieger wurde, war der Angreifer zwar ab und zu im erweiterten Kader, kam aber auf keine einzige Einsatzminute. Dafür kursierten da diese Bilder: er, der vermeintliche Weltstar, auf der weit ausladenden Panoramaterrasse seiner Villa mit Outdoor-Pool, hoch über dem Comer See. Marko Prolo in Fetzenjeans und Designersneakers inmitten einer Welt des Großbürgertums und Industrieadels knotzend. Ist es das, was ihn zum Volkshelden macht?

"Arnautović steht wie kaum ein anderer österreichischer Sportler für einen Aufstieg ohne Anpassung, für ein neues Selbstbewusstsein der Unterklassen", befindet der Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier. "Er ist ein Rule Breaker, der, ähnlich wie Rapper, zum Spott mit Luxusund Prestigeprodukten kokettiert, der Karriere gemacht hat, ohne sich auch nur im Geringsten verbiegen zu müssen."

Am Samstag, wenn es gegen Italien geht, wird der Fußball-Rapper wieder wild gestikulierend seine Hintermannschaft dirigieren. Ihr Tempo wird er machen, nicht sein eigenes. Vielleicht trifft er den Ball diesmal besser und schießt ein Tor, vielleicht auch nicht. Egal, Marko Arnautović wird wieder sein Spiel machen.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der News Ausgabe Nr. 25-26/21

Kommentare

Jetzt nehmen wir Ausländer als Volkshelden? Wie weit ist unser Land schon im Sumpf? Österreich ade!Ich schäme mich für diese miese Gesellschaft!

Seite 1 von 1