Für immer schön

2019 schloss die damals 97-jährige Iris Apfel in New York einen Modelvertrag mit einer Topagentur ab. Für den Grazer Schönheitschirurgen Thomas Rappl ist Altern in Würde weniger eine Frage des Aussehens als des Stils. Die Best Ager Models nehmen zu und dürfen unperfekt sein.

von LIEBES LEBEN - Für immer schön © Bild: Nathan Murrell

Meine Klientin Sarah will hundertprozentig schön, jung und perfekt sein. Seit ihrem dreiundzwanzigsten Lebensjahr lässt sie sich Botox und Hyaluron injizieren, um, so sagt sie, für ihre Umgebung keine "optische Zumutung" zu sein. Sobald sie eine Nacht nicht hinreichend Schlaf hat, kann sie das Haus nur noch mit dunklen Sonnenbrillen verlassen: Niemand soll die Wassereinlagerungen unter den Augen sehen. Beauty-Doc Thomas Rappl: "Aus meiner Sicht bedeutet, in Würde zu altern, vor allem eine Frage des Stils, wobei natürlich ein gepflegtes Äußeres eine wichtige Rolle spielt. Die Würde zeichnet sich durch die innere Haltung, durch Gelassenheit, Respekt und Zurückhaltung aus." Diese Eigenschaften ermöglichen es, dem Alterungsprozess natürlich und differenziert zu begegnen. Aus Rappls Sicht hat würdevolles Altern nichts damit zu tun, ob man mit ästhetischen Eingriffen den Alterungsprozess bremsen möchte.

Und Sarah? Bringt sich um ihre Lebensqualität, wenn sie es mit Mitte zwanzig schon auf stete Optimierung anlegt. Fast immer liegt ein mangelndes Selbstvertrauen solch vernichtender Selbstkritik zugrunde: Sarah hat von Kindheit an das Gefühl, nie "gut genug" zu sein, sich Aufmerksamkeit, Wertschätzung und Liebe erst verdienen zu müssen. Vor allem Frauen sind in unserem Kulturkreis von oftmals unreflektierter Selbstkritik betroffen. Chirurg Thomas Rappl weiß, dass schon minimale Behandlungen das Selbstwertgefühl und die Selbstakzeptanz positiv aufladen können: "Neueste Publikationen weisen darauf hin, dass sogar eine simple Botulinumtoxin-Behandlung (Botox) einen positiven Einfluss auf das Wohlbefinden erzielt, sodass der Effekt auf einer anderen Ebene positive psychische Auswirkungen hinterlässt. Aus meiner Sicht sind überbehandelte, überspritzte ("overfilled syndrom") oder paralysierte Gesichter eine optische Katastrophe!"

Heutzutage ist schon (fast) alles möglich, wie es scheint. Altersgrenzen verschwimmen, und auch Sarahs Großmutter schwört auf Filler.

Wo liegt nun aber die Grenze des Machbaren und des Möglichen in der ästhetischen Chirurgie? Die Grenze des Machbaren wird Dr. Rappl zufolge immer weiter ausgedehnt. Selbst unrealistische Forderungen würden von unseriösen Behandlern durchgeführt. Die Grenzen des Machbaren seien tiefgreifende Verjüngungs-oder Straffungsoperationen ohne Narben, und die Vorstellung, alles auf nicht-chirurgischem Weg lösen zu können. Iris Apfel und Best Ager Models zeigen, dass Stil vor Schönheit geht.

Die Frage ist: Gibt es auch schöne Menschen mit ästhetischen Mängeln? Thomas Rappl: "Selbst die vollkommenste Schönheit wird verblassen, wenn Fadesse überwiegt und der Funke nicht überspringt. Auch wenn man sich die Supermodels genau betrachtet, so haben fast alle etwas, was aus der Norm fällt. Deswegen besteht die Herausforderung darin, die Natürlichkeit zu bewahren und die positiven Aspekte zum Erstrahlen zu bringen." Im nicht-chirurgischen Bereich stehen bei Männern Botulinumtoxin-Behandlungen im Vordergrund, bei Frauen sind es überwiegend Lippenbehandlungen und Faltenreduzierung. Im chirurgischen Bereich ist bei Männern die Augenlidstraffung am meisten gefragt. Bei Frauen sind es Brustoperationen, gefolgt von Augenlidstraffungen. Im Grunde kommt es jedoch ganz darauf an, sich in seiner Haut wohlzufühlen. Und sollte diese Haut dazu gestrafft werden müssen, ist ein Schönheitseingriff mithin psychologisch wirkungsvoll. Kommt aber die Perfektionismus-Lawine ins Rollen, kann das zu Jugendwahn und Depression führen. Und kann dann buchstäblich nicht mehr glattgehen.