Zwischen Totenkult
und Naturschauplatz

Im Herbst sehnen wir uns nach mehr Ruhe. Warum nicht Orte der Erinnerung und der besonderen Besinnung bei einem längeren Friedhofs-Spaziergang besuchen? Erstaunlich, wie viel Kraft man bei diesen beseelten Wanderungen tankt.

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Friedhöfe - Zwischen Totenkult
und Naturschauplatz

Wer kennt sie nicht, "die schöne Leich'"? Sie war im kaiserlichen Wien -jedenfalls für bestimmte Gesellschaftsschichten -ein Muss, und auch heute noch verspüren WienerInnen eine gewisse Faszination für den Tod. Gerade jetzt im Herbst und rund um Allerheiligen geben sich viele von uns gerne einer leicht morbiden Stimmung hin, die sich mit einem Spaziergang über Wiens Friedhöfe angenehm vertiefen lässt.

Sehenswert ist zum Beispiel der Berg-und Waldfriedhof in der Gemeindeberggasse in Ober St. Veit. Er zählt mit seinem feudalen Mausoleum und dem Weitblick auf Wien wohl zu den schönsten Wiens. Mit 35.886 Quadratmetern und 4.655 Gräbern hat er eine überschaubare Größe. Idyllisch zieht er sich vom Eingangsbereich über eine Anhöhe bis fast zum Wienerwald hinauf. Während man an der oberen Friedhofsmauer beeindruckende Grabmäler besichtigen kann, stößt man rechts vom Eingang auf einige Ehrengräber. Etwa auf jenes der ehemaligen Hietzing-Bewohner Egon Schiele und seiner Frau Edith, die beide innerhalb weniger Tage im Oktober 1918 an der Spanischen Grippe verstarben.

Größte Begräbnisstätte

Der Zentralfriedhof wiederum erfüllt eine überaus bedeutende Funktion. Nicht zuletzt, da die Preise für die Grabstellennutzung hier um einiges günstiger sind als auf den anderen, stärker nachgefragten und beengteren Wiener Friedhöfen. Die letzte Ruhestätte in Simmering gilt als zweitgrößter Friedhof Europas. Zahlen, die beeindrucken: Die Gesamtfläche beträgt 2,5 Quadratkilometer und umfasst 330.000 Gräber. Rund 17.000 Bäume und Hecken mit einer Gesamtlänge von rund 40 Kilometern zieren das Areal. Täglich finden hier zwischen 20 und 25 Beerdigungen statt.

Damit ist er so groß, dass es unmöglich scheint, all seine Besonderheiten und sehenswerten Grabstätten zu entdecken. Doch wer sich mit einem Audioguide auf den Weg macht, kann sich sicher sein, keinen der interessanten Orte zu verpassen. Ausleihen kann man ihn übrigens gegen Vorlage eines Lichtbildausweises und Bezahlung der Leihgebühr von sechs Euro beim Portier am Tor 2. Zu sehen gibt es viel: von pompösen Grabmälern über Gedenkstätten, darunter rund 1.000 Ehrengräber, bis hin zu schlichten Gräbern.

Rund drei Millionen Menschen aller Konfessionen sind am Zentralfriedhof begraben. Die einen finden hier ihre letzte Ruhe, andere ziehen sich an diesen Ort schon zu Lebzeiten gerne für ein Weilchen zurück. 1999 wurde beim Tor 3 ein Landschaftspark angelegt, der Besuchern Ruhe zum Krafttanken und Meditieren geben soll.

Gräber der Unbekannten

Dass der Tod in Wien auch ganz still sein kann, zeigt das Gegenstück zur größten Ruhestätte: der Friedhof der Namenlosen. Hier sucht man vergebens nach Prunk und Protz. Er ist auch nicht einfach zu finden. Nur ein paar Schilder am Wegesrand weisen auf diesen Ort beim Stromkilometer 1.918, mitten im Alberner Hafen, hin. Hier sind Menschen begraben, die zwischen 1845 und 1939 von der Donau angeschwemmt wurden. Von vielen blieb die Identität unbekannt. Den Toten, meist Menschen, die den Freitod gewählt hatten, oder Verunglückte, wurde auch kein pompöses Begräbnis zugestanden. Lediglich Kreuze mit den Aufschriften "namenlos","männlich" oder "weiblich" weisen auf die armen Seelen hin.

Alles andere als versteckt, zwischen der stark frequentierten Leberstraße und der Südosttangente, liegt der Sankt Marxer Friedhof. Dennoch schaltet man beim Betreten des 60.000 Quadratmeter großen Geländes sofort in den Ruhemodus. Denn hier verbinden sich Gedenkstätte, Kulturdenkmal und Erholungsgebiet auf anschauliche Weise. Nach der Errichtung des Zentralfriedhofes 1874 wurde der St. Marxer Friedhof zunächst als überflüssig empfunden und stillgelegt.

Viele Jahrzehnte lang lag er verlassen da und verwilderte mit der Zeit. Bis es ab 1946 langsam zur Renaissance kam. Heute steht die letzte Ruhestätte im 3. Bezirk unter Denkmalschutz und ist dicht mit Bäumen und Sträuchern bewachsen. Besucher kommen übrigens nicht nur, um Mozarts Grab zu besichtigen, sondern vor allem im Frühling. Denn der Friedhof gilt als eines der dichtest mit Flieder bewachsenen Gebiete Wiens.

Auf der Gedenktour sollte man unbedingt einen Besuch des Hernalser Friedhofs, auf einem Abhang des Schafbergs gelegen, einplanen. Nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte eine umfassende Renovierung der großteils zerstörten Gräber. Im Zuge dessen wurden unzählige Arkaden neu gepflanzt und ein großflächiger Urnenhain eingerichtet. Auch hier fanden Schauspieler, Politiker und Künstler wie der Sänger Hansi Lang ihre letzte Ruhestätte.

Eine mystische Wanderung im November ist gut für die Seele. Die Großstadt hat einen ohnehin sehr schnell wieder.

Friedhöfe in Wien

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Friedhof St. Marx

Er steht unter Denkmalschutz. Er ist von einer unverputzten Ziegelmauer umgeben, deren südöstliche Seite die Bezirksgrenze zum 11. Bezirk, Simmering, bildet. Fläche: rund 60.000 Quadratmeter mit 5.635 erhaltenen Gräbern. Die wohl bekannteste Grabstätte hat hier Wolfgang Amadeus Mozart.

Friedhof der Namenlosen

Im Alberner Hafen wurden vor allem bis 1939 Leichen angeschwemmt, die man nicht zuordnen konnte. Es waren Suizid-oder Stromopfer. Ein Teil des in zwei Hälften geteilten Friedhofs ist verwildert. Lediglich ein einsames Eisenkreuz weist in diesem Teil auf die Verstorbenen hin. Der andere Bereich wird von ehrenamtlichen Mitarbeitern gepflegt. Die Kreuze sind lediglich mit Aufschriften wie "namenlos","weiblich" oder "männlich" gekennzeichnet.

Hernalser Friedhof

Der Friedhof mit schöner Arkadenallee liegt auf einem Abhang des Schafbergs. Vor 1830 wurde dieses mittlerweile 161.069 Quadratmeter große Areal für den Weinbau genutzt. Unter den 21.864 Grabstellen befinden sich 29 Ehrengräber von Politikern und Künstlern.

Zentralfriedhof

Er gilt als zweitgrößter Friedhof Europas und umfasst über 2,5 Quadratkilometer mit 330.000 Grabstellen. Für fast alle Konfessionen gibt es hier eigene Zonen. Tipp: Wöchentlich werden Führungen zu unterschiedlichen Themen veranstaltet. Infos: www.wiensehen.at/zentralfriedhof

Jüdischer Friedhof

Der älteste erhaltene jüdische Friedhof Wiens, im 9. Bezirk in der Seegasse, wurde Anfang des 14. Jahrhunderts eröffnet und blieb bis 1943 unverändert. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges, in dem ein Großteil der Gräber zerstört wurde, konnten 280 der ursprünglich 931 Grabsteine wieder aufgestellt werden. Der Friedhof erstreckt sich über rund 2.000 Quadratmeter.