Prohaska & Koller
Der WM-Gipfel

Beide waren Teamchef, beide hatten Erfolg. Aber echte Haberer waren sie nie. Für die Weltmeisterschaft sind Herbert Prohaska und Marcel Koller nun Arbeitskollegen. Ankick zum ersten gemeinsamen Interview

von Freundschaftsspiel - Prohaska & Koller
Der WM-Gipfel © Bild: Ricardo Herrgott News Ricardo Herrgott

Es war ein frostiger Spätherbst. Als Marcel Koller im November 2011 zur allgemeinen Über­raschung zu Österreichs neuem Fußballteamchef bestellt wurde, formulierte Herbert Prohaska: „Ohne Koller nahetreten zu wollen: Solche Trainer haben wir bei uns genügend. Ein Didi Kühbauer zeigt es gerade vor, ein Andreas Herzog ist sicher um nichts schlechter als Koller, hätte mindestens genauso gut den Teamchefjob gemacht. Der erste Schweizer Teamchef in Österreich wird sich an den Erfolgen der heimischen Trainer messen lassen müssen und wird es sehr schwer haben.“

Emotionen im Windschatten

Prohaska – der Publikumsliebling, die Legende, der Träger des Goldenen Ehrenzeichens für Verdienste um die Republik Österreich – hatte anlässlich der Personalie seine persönliche Meinung formuliert. Was er, wie er heute unumwunden zugibt, nicht ahnte und auch nicht wollte: So ziemlich alle, die damals im heimischen Fußball etwas zu sagen hatten, sprachen sich in „Schneckerls“ Windschatten in hochemotionalen Statements gegen den frisch verpflichteten Fußball-Fremdarbeiter aus.

Doch mit Koller kam auch der Erfolg, und spätestens mit der Qualifikation für die EM 2016 verwandelten sich die Ressentiments in verhaltenes Wohlwollen. Dennoch blieb der zurückhaltende Schweizer den Wiener Fußballzirkeln konsequent fern – und auch das Verhältnis zwischen Prohaska und Koller blieb freundlich unterkühlt. Nun, da der ORF 220 Stunden live von der WM in Russland überträgt und neben seinem langjährigen TV-Analytiker Prohaska eigens für das Großereignis auch Koller als Experten verpflichtete, sind die beiden Ex-Teamchefs urplötzlich Teamkollegen. In News geben sie ihr erstes gemeinsames Interview.

Lockere Einstiegsfrage an Österreichs höchstrangige Fußballexperten: Wer wird Weltmeister?
Prohaska: Das ist kein Wissen, das ist ein Wunsch: Brasilien. Denn die erste WM, die ich als Kind komplett gesehen habe, war im Jahr 1970 in Mexiko, dort spielte die beste brasilianische Nationalmannschaft, die ich je gesehen habe. Seither bin ich – nach Österreich und Italien – Brasilien-Fan. Brasilianer im Herzen? Nein, im Herzen nicht, im Herzen bin ich Österreicher, aber Brasilien ist und bleibt für mich eine Faszination.
Koller: Mir geht es ähnlich wie dem Herbert, auch ich habe 1970 im Fernsehen meine erste WM mitverfolgt – sogar in Farbe. Mein Vater hat vorher noch eigens einen Farbfernseher gekauft. Als kleiner Junge habe ich ein Brasilien-Trikot bekommen, in dem habe ich dann selbst immer gespielt, deswegen habe ich eine gute Beziehung zu Brasilien. Auch ich denke, dass sie heuer zur Favoritengruppe gehören. Dennoch sage ich: Spanien wird Weltmeister.

Sie waren beide erfolgreiche Klubtrainer und Teamchefs, mittlerweile haben Sie beide den Schritt vom Coach zum Analytiker vollzogen: Was hat dieser Perspektivenwechsel mit Ihnen gemacht?
Prohaska: Die entscheidendste Veränderung ist, dass ich viel, viel besser schlafe und viel weniger Verantwortung trage. Für den Analytiker gibt es eine wesentlich höhere Lebensqualität: Sich ein Spiel anzuschauen, zu analysieren und Kritik anzubringen, ist der viel, viel einfachere Job. Trainer ist im Fußball vielleicht das interessanteste Geschäft, aber zu hundert Prozent auch das undankbarste. Denn als Trainer wirst du niemals danach beurteilt, wie du arbeitest, sondern ausschließlich nach deinen Resultaten: Gewinnst du, bist du ein Supertrainer, verlierst du, bist du plötzlich das Gegenteil. Und das ist natürlich schon immer eine große nervliche, psychische Belastung.

Hat Sie der Job mitunter auch an Ihre psychischen Grenzen gebracht?
Prohaska: Natürlich geht es auch an die Grenzen – ich habe als Teamchef in Valencia gegen Spanien null zu neun verloren, da waren die Grenzen eigentlich schon überschritten. Da hatte ich in den nächsten Wochen den Eindruck, es will kein Mensch mehr mit mir etwas zu tun haben, nicht einmal ein bissel, weil du ein totaler Loser bist. Du musst dann wieder von vorne anfangen, im Fußball wird dir nichts geschenkt – auch wenn du gut bezahlt wirst, musst du viele Dinge ­ertragen.

Herr Koller, Sie sind schwarzhaarig nach Österreich gekommen, mittlerweile sind Sie ehrenvoll ergraut. Ist das dem psychischen Druck geschuldet?
Koller: Der Druck ist immens hoch, das stimmt. Als ich in der Schweiz angefangen habe, war ich schwarz- und vollhaarig, dann bin ich nach Deutschland und grau geworden – und hier in Österreich sind mir dann die Haare ausgefallen. Das ist aber nicht ausschließlich der Job, das sind auch Alter und Gene.

Ohne despektierlich werden zu wollen – Sie bewegen sich beide rund um die 60. Ist dieses Geschäft mit all seinen Ausprägungen für Menschen dieses Alters einfach zu brutal?
Koller: Na ja, das glaube ich ­eigentlich nicht. Ich habe jetzt für diese WM als Analytiker zugesagt, aber ich sehe mich nach wie vor als Trainer. Ich war immer gerne unter Druck und hatte immer das Gefühl, ich kann gut damit umgehen. Natürlich gab es auch in meiner Karriere Situationen, wo ich mich fragte: Wie halte ich das nur aus, wie geht das? Aber es geht dann wieder, wenn man neue Wege sucht, Gespräche führt.

Sie sagen, Sie stehen gerne unter Druck.
Koller: Ja, ich kann damit umgehen. Wenn ich das einmal nicht mehr kann oder keine Lust mehr dazu habe, reagiere ich.

Herr Prohaska, Sie stehen nicht mehr gerne unter Druck?
Prohaska: Nein – aber man muss dazu sagen: Ich glaube nicht, dass das eine Alterserscheinung ist. Lucien Favre, der jetzt Borussia Dortmund übernimmt, ist auch bereits 60, Arsène Wenger ist 68. Die ganz besonders G’scheiten denken: Das, was die älteren Trainer trainieren, ist nur noch „oldschool“. Das ist ein kompletter Blödsinn! Wenn ich heute Trainer wäre, hätte ich ein Trainerteam von sechs, sieben Leuten herum und könnte hochmodern arbeiten. Es gibt sicher keinen unter den sogenannten „alten“ Trainern, der heute noch so trainieren lässt wie vor 20 Jahren. Und was den Druck betrifft: Das war zu jeder Zeit so. Ich bin davon überzeugt, dass der arme Liverpool-Torhüter Loris Karius nach zwei Patzern im Champions-League-­Finale vor 20 Jahren dasselbe miterlebt hätte. Den bedauere ich sehr, denn das kann ihn unter Umständen wirklich seine Karriere kosten: Es wird jetzt nicht unbedingt viele Vereine geben, die wollen, dass er bei ihnen im Tor steht.

© Ricardo Herrgott News Ricardo Herrgott „Deswegen stehen wir zwei auch nicht in kurzen Hosen da“ Marcel Koller über den Sexappeal des TV-Analytikers; „Ich trage viel weniger Verantwortung und schlafe viel, viel besser“ Herbert Prohaska über den Job des TV-Analytikers

Nach der Qualifikation für die EM in Frankreich 2016 waren wir bereits gefühlt Europameister, zumindest aber Geheimfavorit. Wie schwierig ist es denn, als österreichischer Teamchef die Erwartungshaltung – nein, nicht zu erfüllen, sondern einzudämmen?
Koller: Ich habe versucht, das innerhalb des Teams tief zu halten, aber über die Öffentlichkeit kannst du nicht bestimmen, nicht zu jedem hinlaufen und erklären, warum du seine Ansprüche vielleicht nicht erfüllen kannst.

Wie schwierig ist es, wenn die Leute wie bei der EM in Frankreich sagen: „Die Gruppenphase ist sicher zu überstehen, danach ist alles möglich“? Das Zitat stammt übrigens von Herrn Prohaska.
Prohaska: Leider Gottes ist bei Endrunden das erste Spiel richtungsweisend – und genau so war es bei uns in Frankreich. Nach einer großartigen Qualifikation kam als Auftaktgegner Ungarn, und wir alle gehen davon aus: So wie unsere Mannschaft beieinander ist, gewinnen wir gegen Ungarn sicher. Dann verlierst du – und das war für die Mannschaft eine neue, negative Erfahrung. Wir jubeln, wenn wir uns qualifizieren, und sind schwerst enttäuscht, wenn wir in der Gruppenphase scheitern. Bei mir, bei der WM 1998 in Frankreich, war das genauso. Viele in Österreich sind gute Fans, aber rasch zu Tode betrübt, weil sie die Gegner falsch einschätzen. 1998 hieß es bei unserem Gegner Kamerun: „Na gut, gegen die Afrikaner werden wir wohl gewinnen.“ Aber die waren zweifacher Afrikacup-Sieger. Und bei Chile hieß es: „Na, Brasilien oder Argentinien sind die jetzt auch nicht.“ Aber dort spielten als Stürmer Zamorano und ein gewisser Salas, für dessen Transfer zu Juventus mehr gezahlt wurde, als damals unsere gesamte Liga wert war.

Herr Prohaska, als Marcel Koller zum Teamchef bestellt wurde, meinten Sie „Trainer wie ihn haben wir selber genug“, halb Fußball-Österreich ist darauf aufgesprungen, und am Ende waren Sie der Böse. Wie schwierig ist es, eine Legende zu sein?
Prohaska: Na ja, das Ganze hat mich zumindest gelehrt, dass ich besser nachdenken muss, was ich sage, weil es plötzlich viel mehr Gewicht bekommt, als wenn das irgendwer anderer sagt. Aber so ist das nun einmal im Leben: Auch wenn ich jetzt bereits 63 werde – man lernt nicht aus. Ich hätte das besser nicht gesagt, weil ich nicht abschätzen konnte, dass das so ein großes Thema wird. Ich habe aber nie etwas gegen den Marcel Koller gehabt, sondern war nur für eine österreichische Lösung.

Herr Koller, wie haben Sie das damals empfunden?
Koller: Ach, ich weiß nicht, ob ich das jetzt alles wieder aufblasen soll. Ich glaube, dass es völlig normal ist, dass, wenn ein Ausländer als Nationaltrainer kommt, viele gerne einen eigenen gehabt hätten.
Prohaska: Aber auch mein Einstieg war nicht spaßig. Als ich zum Teamchef bestellt wurde und schon meinen Vertrag unterschrieben in der Tasche hatte, hat „Täglich Alles“ eine ­Umfrage gestartet: Wer soll Teamchef sein: der Constantini oder der Prohaska? Obwohl ich längst unterschrieben hatte, haben die wochenlang gevotet und das auch noch mit falschen Zahlen belegt. Es hieß damals, 200.000 hätten für den Constantini gestimmt und 4.000 für mich. Aber gut, der Marcel hat mir dann immerhin was zufleiß gemacht und sich qualifiziert (lacht).

Und Sie sind in den Keller lachen gegangen?
Prohaska: Nein, ich habe mich riesig gefreut: Das kann mir jeder abnehmen. Es war nicht so, dass ich etwas gesagt habe und danach total angefressen gewesen wäre, weil ich mich geirrt hatte – nein.

Im Kern ging es darum: Sie wollten, dass in Österreich ein Österreicher Teamchef ist. Warum ist das so wichtig?
Prohaska: Ich meinte immer, das Ideal ist ein deutschsprachiger Trainer, ich habe ja auch nichts gegen den Franco Foda. Aber ich wäre gerne dabei gewesen, um zu hören, wie das der Otto Rehhagel damals in Griechenland sprachlich gehandhabt hat.

Wobei die Schweizer ja zumindest annähernd deutschsprachig sind.
Prohaska: In seinem Fall ist es darum gegangen, dass er zwei Jahre nicht als Trainer gearbeitet hatte – und ich mich aber trotzdem viel zu wenig damit auseinandergesetzt habe.

Herr Koller, glauben Sie auch, dass das Engagement eines Teamchefs an dessen Sprache gebunden sein soll?
Koller: Es ist schon wichtig, dass du mit den Spielern sprechen kannst. Ob es nötig ist, das an eine Sprache zu binden? Entscheidend ist die Qualität.

Nun ist der eine von Ihnen Chefanalytiker beim ORF, der andere kommt quasi als „Rookie of the year“ dazu …
Prohaska: Kurzer Einwand: Es hat mich nie wer ernsthaft zum Chefanalytiker gemacht, das wurde immer nur scherzhaft gesagt. Es gibt keinen Chef!

Herr Koller, haben Sie sich auf diesen Job vorbereitet?
Koller: Bis jetzt habe ich mir viele Spiele angeschaut, mich mit den Teams befasst, aber ich werde mir, wenn es nicht so läuft, vielleicht vom Herbert den einen oder anderen Tipp holen.

Worauf muss Herr Koller denn besonders aufpassen?
Prohaska: Man muss lernen, dass man mit dem Sendungsverantwortlichen im Ohr verbunden ist und der dir, während du sprichst, was drein­redet. Am Anfang ist mir oft passiert, dass ich zu reden aufgehört habe, weil ich gehorcht habe.

Bis zu 45 Prozent des WM-Publikums sind Frauen. Wer von Ihnen beiden ist da das bessere Angebot?
Prohaska: Im Normalfall ist das der Jüngere, der noch mehr Haare hat. Wobei ich mir vorstellen könnte, dass die Damen viel lieber die Fußballer sehen als uns zwei – besonders, wenn sie sich das Leiberl ausziehen.
Koller: Deswegen stehen wir auch nicht in kurzen ­Hosen da.

Wie stehen Sie eigentlich heute zueinander – sind Sie Arbeitskollegen, Freunde?
Prohaska: Wenn ich jetzt einen Fragebogen auszufüllen hätte, dann würde dort schon eher Freundschaft stehen. Wobei während seines Jobs als Teamchefs noch gar keine Zeit war, eine große Freundschaft zu pflegen. Aber – und das sage ich jetzt nicht, um Süßholz zu raspeln: Dem ORF ist mit seiner Verpflichtung etwas Sensationelles gelungen. Denn auch wenn er nicht mehr Teamchef ist, ist er in diesem Land nach wie vor ein Sympathieträger.
Koller: Es ist natürlich eine ­Arbeitsbeziehung, aber es ist auch eine Fußballfreundschaft. Ich habe Herbert bereits geschätzt, als er gespielt hat. Aber wenn du den Teamchefjob hast …
Prohaska: Es war natürlich nicht einfach: Er war der Mann, von dem sie alle Erfolge erwarteten, ich der, der dort steht und das eine oder andere kritisiert – aber ich weiß, ich bin in der viel einfacheren Position. Ich weiß, dass man im Nach­hinein immer gescheiter ist. Es heißt immer, dass, wenn es nicht läuft, jene spielen sollen, die auf der Bank sitzen. Aber habe ich eine Garantie dafür, dass es mit denen dann nicht noch schlechter läuft? Trainer kritisieren ist nicht einfach …
Koller: … weil du ja nicht den Hintergrund hast und weißt, was gerade alles abgeht. Du warst zwar selber im Trainerjob und kennst gewisse Abläufe, aber aktuell fehlen dir die Informationen. Der Zuschauer will aber was hören – da tut man den Trainern und Spielern manchmal auch Unrecht.

Meine Herren, vielen Dank.
Prohaska: Gerne, aber jetzt muss ich wirklich gehen, weil daheim gibt’s heute Specklinsen mit Knödeln.

Dieses Interview erschien ursprünglich in der Printausgabe 23 2018

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