Immer diese Einzelfälle

Liederbuch der Burschenschafter

von Renate Kromp © Bild: Ian Ehm/News

Ahnte man nicht schon zuvor, welche "Vorteile" der neue Regierungssprecher im Pressefoyer nach dem Ministerrat haben könnte, so wurde das diesen Mittwoch recht anschaulich demonstriert: Unangenehme Themen werden nach unten durchgereicht. Zu erwarten war, dass sich Bundeskanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Heinz-Christian Strache beim allwöchentlichen Pressebriefing nach der Regierungssitzung kritischen Fragen zu jenem Liederbuch der Burschenschaft "Germania zu Wiener Neustadt" stellen müssen, in dem Antisemitismus und Nationalsozialismus gehuldigt wird. Die Frage etwa, ob jemand als Spitzenkandidat der FPÖ Niederösterreich akzeptabel ist, der immerhin Vizevorsitzender dieser Ewiggestrigen ist (oder nunmehr war), konnte allerdings nicht gestellt werden. Die Frage, ob sich die ÖVP einen Koalitionspartner ausgesucht hat, der Abgrenzungsprobleme zur NS-Ideologie hat und dem Ansehen Österreichs im In-und Ausland schadet, auch nicht.

Die Verabschiedung der österreichischen Olympioniken durch die Regierungsspitze ging nämlich vor. Und so lag es an Sprecher Peter Launsky-Tieffenthal, auf die via Twitter geäußerte Empörung von Sebastian Kurz zu verweisen. Natürlich: Hier hat der Kanzler die angemessenen Worte gefunden. Die Frage ist aber: Reicht das?

Schon während der Regierungsverhandlungen hatten besonnene Menschen in der ÖVP ein mulmiges Gefühl angesichts der großen Zahl an schlagenden Burschenschaftern auf der anderen Seite des Verhandlungstisches. In Gesprächen hört man auch heraus, dass nicht wenige Türkise auf eine Koalition mit Neos und Grünen gehofft hätten. Doch die ging sich nicht aus, und für einen neuerlichen Versuch mit der SPÖ hatte man diese einfach zu gründlich vorgeführt.

Blieb die FPÖ, und mit deren Regierungsmitgliedern macht Kurz nun auf Augenhöhe und amikal. Das Verständnis für den Juniorpartner geht so weit, dass sich vorerst kein Spitzen-Türkiser zu einer Rücktrittsaufforderung an Udo Landbauer durchringen konnte. Man fragt sich nur: Wie lange will Kurz in dieser Koalition wirklich ausharren?

Ein Politiker, der so langfristig plant wie Kurz, denkt vielleicht auch darüber nach, was später eigentlich in Zeitgeschichtebüchern über seine Kanzlerschaft zu lesen sein soll. Wahrscheinlich hätte er gerne, dass es in Richtung großer Reformer geht. Nach derzeitigem Stand wird ihm eher der Nachruf bleiben, im Gedenkjahr 2018,80 Jahre nach dem "Anschluss" Österreichs, eine Partei mit solchem Gedankengut in die Regierung gehievt zu haben.

Er wird sich dann nicht damit rechtfertigen können, dass er damals noch jung war. Diese Masche wenden derzeit nämlich schon FPÖ-Politiker zur Erklärung ihrer Fehltritte an.

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