Fortschritt oder Verlust der Souveränität? Österreich ratifiziert Lissabonner EU-Vertrag

Mit Stimmen der Koalitionsparteien und Grünen FPÖ pochte weiteres Mal auf eine Volksabstimmung

Fortschritt oder Verlust der Souveränität? Österreich ratifiziert Lissabonner EU-Vertrag

Der Kontrakt bringt unter anderem einen ständigen Ratspräsidenten, einen neuen Außenrepräsentanten sowie eine Erleichterung der gemeinsamen Politik in den Bereichen Inneres und Justiz. Eine Verkleinerung der Kommission ist für 2014 anvisiert.

Rolle des EU-Parlaments gestärkt
Ferner werden durch den Vertrag von Lissabon die Position des Europäischen Parlaments sowie die Rolle der nationalen Parlamente gestärkt. Ermöglicht werden durch den Vertrag auch europäische Volksbegehren. Österreich ist das achte Land, das den Reformvertrag ratifiziert.

Freiheitliche und Orange hatten gleich zu Beginn der Sitzung vergeblich versucht, den Reformvertrag von der Tagesordnung zu nehmen. Das BZÖ ärgerte sich, weil die Ratifizierung stattfand, ehe noch die Landesvolksbefragung im orange-regierten Kärnten durchgeführt werden konnte, die FPÖ pochte ein weiteres Mal auf eine Volksabstimmung. Genutzt hat der Protest nichts. Die anderen Fraktionen schmetterten das Begehr ab.

Strache verteilt Maulkörbe
So warf sich FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache auch gleich besonders aufmunitioniert in die rhetorische Schlacht. Kanzler und Vizekanzler überreichte er Maulkörbe, um den Hals geschlungen hatte er einen rot-weiß-roten Schal, um seinem Patriotismus aktuell einen fußballerischen Touch zu geben. Missfallen erregte das beim Österreichischen Fußballbund, der sich parteipolitisch missbraucht sah.

Strache wollte eigentlich aber gar nicht den ÖFB treffen sondern die Reformvertragsbefürworter. Alles mögliche Böse erwartet sich der FPÖ-Chef vom Lissabonner Werk, sogar die Todestrafe sah er im Vertrag versteckt - eine Aussage, die von allen vier anderen Fraktionen als falsch bzw. als "Hirngespinst" (BZÖ-Chef Peter Westenthaler) klassifiziert wurde. Strache focht das nicht an, er sah die Neutralität ein weiteres Mal ausgehöhlt und einen Anschlag auf die österreichische Verfassung. Der Bundesadler werde nach Brüssel geschickt, um als gekochtes Suppenhuhn wiederzukommen, grämte sich der freiheitliche Partei- und Klubobmann.

Nicht ganz so deftig gingen es die Orangen an. Vizeklubchef Herbert Scheibner gab sich gar als glühender Europäer: "Sind wir froh, dass die Europäische Union Schritt für Schritt zu einer Sicherheitsgemeinschaft wird. Wir sind die größten Nutznießer eines solchen Projektes." Klubobmann Peter Westenthaler war da schon zurückhaltender, erwartet er doch neue europäische Steuern und eine Zunahme der Transitlawine. Diese Kritik sah der mit einem rot-weiß-roten Taferl ("Österreich ist eine demokratische Republik, ihr Recht geht vom Volk aus") auftretende Fraktionschef nicht als anti-europäisch, ganz im Gegenteil: "Wir sehen uns als genauso gute Europäer, aber mit anderem Ansatz als Sie."

Koalition gegen "Panikmache"
Die Koalition lehnte jegliche "Panikmache" der Rechtsparteien ab. "Ihnen geht es nicht ums Volk, ihnen geht es nicht um die Volksabstimmung. Sie wollen nur raus aus der EU und da sollten Sie alleine bleiben in Österreich, denn wir wollen drinnen bleiben", schmetterte Kanzler Alfred Gusenbauer FPÖ- und BZÖ-Mandataren entgegen und erfreute sich an der Fortsetzung der "Erfolgsgeschichte" Europäische Union. Außenministerin Ursula Plassnik (V) meinte, man müsse den "Stimmen des Zorns" nun die "Stimmen der Zuversicht" entgegenhalten.

Die ÖVP hatte sich für die Debatte überhaupt europa-fesch gemacht. Auf den Abgeordneten-Tischchen waren Wimpel mit österreichischer und europäischer Fahne aufgestellt worden, alle Redner zeigten sich als glühende EU-Fans. Vizekanzler Wilhelm Molterer (V) betonte, dass die neue Einigung zu mehr Wohlstand führen werde. Altkanzler Wolfgang Schüssel erinnerte daran, was man der EU alles zu verdanken habe, vom Frieden seit dem Zweiten Weltkrieg bis zu effizienten Konsumentenschutz-Maßnahmen, etwa dem gemeinsamen europäischen Eintreten gegen giftige Substanzen in chinesischem Kinderspielzeug.

Ohne EU ein Zwerg?
Die selbe Argumentationslinie schlugen auch SPÖ und Grüne ein. SP-Klubchef Josef Cap sah ein Österreich ohne Verbund mit der EU bildlich als Zwerg - "und als Zwerg stehe ich im Garten und werde beregnet". Grünen-Klubobmann Alexander Van der Bellen attestierte Strache Größenwahn, wenn er glaube, dass sich Österreich mit seinen Anliegen im Alleingang besser durchsetzen könnte.

Das Reformpapier sah er zwar noch lange nicht als perfekt an, befand es aber doch für bedeutend besser als den Ist-Zustand. Der Regierung hielt er Informationsdefizite vor, was von Plassnik zurückgewiesen wurde.

(apa/red)