Gen-Babys:
Eine neue Art

Ein chinesischer Forscher will Babys mittels Genmanipulation HIV-resistent gemacht haben. In Österreich wäre ein solches Experiment undenkbar – dabei liegen die Wurzeln der Methode ausgerechnet in Wien

von Forschung - Gen-Babys:
Eine neue Art © Bild: Copyright: Quedan reservados todos los derechos

Auf den ersten Blick ist nichts Verdächtiges zu erkennen. Das Gebäude könnte genauso eine IT-Firma oder eine Bank beherbergen. Dass darin am Erbe der Menschheit geschraubt wird, unvorstellbar. Und das noch dazu mitten in Wien …

Weder Securitybeamte noch Sicherheitstüren gibt es am Vienna Biocenter in Erdberg. Die Gänge sind mit bunten Laminatböden ausgelegt, viele Türen stehen einladend offen. Man grüßt freundlich, abwechselnd auf Deutsch und Englisch. Erst allmählich offenbart der Blick in den einen oder anderen Raum, worum es hier geht. Messbecher, Petrischalen, Mikroskope, Reagenzgläser und ein süßlicher Geruch von Alkohol und Agar-Agar, dem Nährboden für Bakterien, zeugen schließlich von einer wissenschaftlichen Tätigkeit. Doch anders als in den meisten Forschungseinrichtungen, trägt hier kaum jemand einen weißen Kittel. Vielleicht sieht es deshalb ganz harmlos aus, wie einige der jungen Leute routiniert mit Pipetten jonglieren. Dabei war es wohl so eine ähnliche, beiläufig ausgeführte Bewegung, die dazu führte, dass unsere gesamte menschliche Existenz dabei ist, sich zu verändern. Nachhaltig und unumkehrbar.

Wer hat es erfunden?

Der junge, engagierte Krzysztof Chylinski war 24, als er 2008 für sein Studium von der Akademie der Wissenschaften in Poznań, Polen nach Wien kam. „Als wir mit diesem Projekt begonnen haben, war es nicht unser Ziel, ein Werkzeug für die Genomchirurgie zu finden. Wir haben eine mikrobiologische Studie gemacht, die sich mit den Abwehrmechanismen von Bakterien beschäftigte. Erst ab einem gewissen Punkt haben wir dann verstanden, welches Potenzial tatsächlich darin stecken könnte“, erinnert sich Chylinski.

Der mittlerweile 34-Jährige hat als Doktorand das erreicht, wovon Tausende junge Wissenschaftler träumen: Er hat etwas Neues entdeckt. Zumindest war er an den entscheidenden Experimenten beteiligt, die seiner Betreuerin Emmanuelle Charpentier, die bis 2009 am Wiener Biocenter forschte, später zwei Nobelpreisnominierungen einbrachten.

Über die genauen Abläufe und damaligen Zuständigkeiten will Chylinski heute nicht sprechen. Der millionenschwere Patentstreit zwischen der Universität Wien, der University of California in Berkeley gegen das Broad Institute Cambridge, der hinter der bahnbrechenden Entdeckung tobt, verbietet es ihm. Es ist nur ein Anzeichen dafür, wie heikel und gleichzeitig wichtig die Erkenntnisse sind, deren Ursprünge in diesen Labors liegen – auch wenn man sich dessen zu jenem Zeitpunkt noch nicht bewusst war.

Aus heutiger Sicht ist jedenfalls klar: Chylinski ist Teil einer Geschichte, die wohl zu einer der größten und wichtigsten Entdeckungen im Bereich der Gentechnik führte, seit das erste geklonte Schaf namens Dolly im Jahr 1996 geboren wurde.

Gezielte Auswahl

Die Forscher wussten, dass eine Reihe sich wiederholender, kleiner Abstände in der DNA (CRISPR) Bakterien vor Eindringlingen, wie zum Beispiel Viren schützt. Manchmal gelingt es den Bakterien, mit Hilfe von Proteinen (Cas) das Erbgut der Eindringlinge zu zerschneiden. Die „Schnipsel“ werden dann im eigenen Erbgut gespeichert, dort eingebaut und kopiert. Beim nächsten Angriff können diese Schnipsel in Verbindung mit Proteinen denselben Virusstamm sofort erkennen und ihn unschädlich machen. Dieses System namens CRISPR/Cas stellt sozusagen das Immunsystem der Bakterien dar. Im Laufe ihres Lebens angeeignete Sets an Schnipseln können darüber hinaus an die nächsten Generationen vererbt werden.

In einer Studie aus dem Jahr 2012, dessen Autor unter anderen der damalige Student Chylinski ist, wurde erstmals eine Methode beschrieben, in der diese natürlichen Abläufe mittels eines ganz bestimmten Proteins (Cas9) gezielt von außen, also künstlich, durchgeführt werden können. Ausgewählte Gene können damit ausgeschaltet, defekte durch korrekte DNA-Abschnitte ersetzt oder neue Gen­sequenzen eingefügt werden (siehe Grafik S. 20). Die Grundidee von CRISPR/Cas9 war damit geboren. Und die Wissenschaft stand Kopf. Plötzlich war die Rede von „einer neuen Zeitrechnung der Biowissenschaften“ und eines „Wunderwerkzeugs zur Heilung von Krebs und Aids“. Unterschiedliche Versionen zu einem Bausatz für neue Arten von Tieren und Pflanzen werden mit der Genschere genauso in Aussicht gestellt wie der Stein der Weisen, der Schlüssel zu ewiger Jugend, Schönheit und Intelligenz. War der „Übermensch“ als optimiertes, gesünderes oder stärkeres Wesen bisher hauptsächlich Inhalt von Literatur und Kinofilmen, so beförderte CRISPR/Cas9 die Fragen nach der künstlichen Perfektion in die reale Gegenwart.

© Ricardo Herrgott Nach dem Erfolg rund um die Entdeckung der Genschere baut der 34-jährige Krzysztof Chylinski am Vienna Biocenter eine Abteilung zur weiteren Forschung an der neuen Gentechnikmethode auf

Wissenschaft explodiert

Veränderungen des Genoms seien auch vor der Entdeckung des CRISPR/Cas9-Mechanismus machbar gewesen, erklärt der Forscher Krzysztof Chylinski, „aber es war um ein Vielfaches aufwendiger“. Ob eine Anwendung einige Hundert oder einige Tausend Euro koste, mache eben einen großen Unterschied für ein Labor. „Daher ist die Naturwissenschaft durch CRISPR/Cas9 praktisch explodiert.“

Seit der Beschreibung des Vererbungsmusters von Blütenfarben bei Erbsenpflänzchen durch den Mönch Gregor Mendel im 19. Jahrhundert bis zur grafischen Darstellung der DNA sind rund 90 Jahre vergangen. Von der grün leuchtenden Maus, die der Wissenschaft dazu verhalf, komplexe menschliche Erkrankungen wie die Mukoviszidose oder Diabetes zu verstehen, bis hin zum ersten gentechnisch hergestellten Medikament (Insulin) waren es nur mehr 20 Jahre. Erste Anwendungen von Organismen mit verändertem Genom außerhalb des Labors fanden in den frühen 1990er-Jahren in der Landwirtschaft in Form von krankheitsresistentem Mais, ertragreicherem Soja und insektenabweisender Baumwolle statt.

Hat die Deaktivierung eines einzelnen Gens bei einer Labormaus vor CRISPR/Cas9 etwa zwei Jahre gedauert und war äußerst ungenau und riskant, so sind seit der Beschreibung der Methode in kürzester Zeit Studien veröffentlicht worden, in denen nicht eines, sondern 62 Gene von Schweinen auf einmal erfolgreich verändert werden konnten, um in ihnen Organe wachsen zu lassen, die für Transplantationen an Menschen geeignet wären. Oder aber solche, in denen Therapien zur Heilung von angeborenen Krankheiten wie Lebersche kongenitale Amaurose, die Blindheit verursacht, oder Chorea Huntington, die mit einer fortschreitenden Zerstörung des Gehirns einhergeht, umzukehren.

Doch so viel die Methode versprechen mag: Wenn ein so mächtiges Instrument plötzlich für sehr viele Hände verfügbar ist, erhöht sich auch das Risiko, dass es in die falschen gerät. Was also, wenn jemand Böses mit der neuen Technik vorhätte?

Wunderwaffe auf Abwegen

Glaubt man seinen Behauptungen, entschloss sich der chinesische Forscher Jiankui He vor rund sechs Jahren in einem Labor im Süden Chinas dazu, einen Versuch zu wagen, bei dem die guten Absichten zumindest nicht ganz im Vordergrund standen. Im stillen Kämmerchen will der Forscher das Erbmaterial von menschlichen Embryos verändert haben und diese entgegen ethischen und wissenschaftlichen Warnungen in die Gebärmütter von Probandinnen eingepflanzt haben.

Am vergangenen Montag trat He aus dem Dunkel hervor: „Vor wenigen Wochen haben zwei wunderschöne kleine chinesische Mädchen namens Lulu und Nana, schreiend und so gesund wie jedes andere Baby, die Welt erblickt“, sagt er in einer Videobotschaft, die er auf Youtube verbreitet. „Als Lulu und Nana erst einzelne Zellen waren, haben wir die Schleuse entfernt, durch die das HI-Virus den menschlichen Organismus infiziert.“ Die Zwillingsmädchen sollen laut He die ersten Menschen mit technisch verändertem Erbgut sein. Und zwar so, dass sie ihr Leben lang immun gegen Aids sein würden.

Die internationale Wissenschaftsgesellschaft ist schockiert über die Vorgangsweise des chinesischen Forschers. Die Methode sei noch zu ineffizient, zu ungenau und die Nebenwirkungen unvorhersehbar. Einige Studien an menschlichen Embryozellen beschreiben ein erhöhtes Krebsrisiko nach Anwendung der Methode. Andere gehen davon aus, dass durch die Genmanipulation die Gefahr höher ist, einer simplen Grippe nicht standzuhalten oder sich schneller mit dem West-Nil-Virus zu infizieren. Wieder andere beobachten gleich mehrere unkontrollierte Entwicklungen und beschreiben eine „wild gewordene“ DNA. Abgesehen davon gebe es laut internationalen Stimmen genug klinisch erprobte Medikamente und Verhütungsmethoden, um eine Ansteckungsgefahr mit dem HI-Virus weitestgehend zu vermeiden. Eine Veränderung am Genom der Embryos zur Immunisierung gegen HIV sei also darüber hinaus schlicht unnütz.

Europa hinkt bewusst nach

Dass eine vollständige Prüfung der Versuchsdaten noch aussteht, spielt dabei keine Rolle, meint Chylinski: „Wenn es nicht passiert ist, dann passiert es eben bald. Wir werden nie in der Lage sein, es zu verhindern. Die Technik ist da und es wird immer jemanden geben, der es trotz Verboten versuchen würde.“ Ethiker beschäftigen sich schon lange mit der Frage, was Medizin und Forschung darf und was nicht.

Christiane Druml, Vorsitzende der Bioethikkommission im Bundeskanzleramt, meint, man müsse jedenfalls zwischen der Technik, die beispielsweise in der Landwirtschaft oder im Labor angewandt wird, und der Veränderung des menschlichen Erbguts unterscheiden. Letzteres ist in Österreich sowohl im Fortpflanzungsmedizingesetz als auch im Gentechnikgesetz verboten. In anderen Ländern wie China und den USA sind die Gesetze lascher. Aber auch europäische Länder – wie zuletzt das Vereinte Königreich – wollen die Nase bei CRISPR/Cas9 vorne haben und erlauben Forschung an menschlichen Embryozellen.

Der österreichische Genetiker Markus Hengstschläger sieht das pragmatisch: „Ich betone immer die Folgenabschätzung. Ich bin grundsätzlich dafür, dass wir alles tun sollten, um Krankheiten heilbar zu machen. Aber nicht, wenn der Schaden größer ist als der Nutzen.“ Die Folgen solcher Eingriffe könnten aus heutiger Sicht schlicht noch nicht abgeschätzt werden. „Auch wenn man die heute noch bestehenden Nebenwirkungen dieser Technologie einmal so weit im Griff hat, wäre in Europa erst einmal die Diskussion zu führen, ob und für welche schweren Erkrankungen man sie anwenden dürfte. Das medizinisch, ethisch und rechtlich auszudiskutieren, ist wahrscheinlich äußerst schwierig.“

Spiel mit der Evolution

Klar ist: Das veränderte Genom der Zwillingsmädchen Nana und Lulu würde – inklusive aller unvorhersehbaren Fehler – an ihre Nachkommen weitergegeben. Das Ende der Menschheit könnte damit früher besiegelt sein als gedacht. „Klar haben wir uns die Frage gestellt, was es für die Welt bedeuten könnte, aber die Sache ist die: Wissenschaft ist ein Wettrennen. Wenn wir es nicht machen, dann macht es jemand anderer zwei Wochen später“, sagt Chylinski. „Wir haben vor allem das Potenzial für die positiven Anwendbarkeiten ins Auge gefasst und wussten, dass wir sie der Welt nicht vorenthalten sollten.“

Die Identität der Zwillingsmädchen Lulu und Nana bleibt indes geheim. Sie sind zwei von 1,3 Milliarden Menschen in China, die sich äußerlich nicht von ihresgleichen unterscheiden. Und doch werden sie in die Geschichte eingehen: als die Ersten einer neuen Art.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Printausgabe 49/2018

Kommentare