Heißes Essen,
aber kalter Job

Beim Essenszusteller Foodora brodelt es. In Berlin protestieren die Fahrer. Und auch die österreichische Betriebsratschefin prangert Missstände an.

von Foodora - Heißes Essen,
aber kalter Job
© Bild: TOBIAS SCHWARZ / AFP

Es ist Sonntagabend. Der Hunger ist groß, doch die Motivation, raus zum Lieblingsrestaurant zu gehen, klein. Noch vor wenigen Jahren hätte der nächstbeste Pizzalieferant herhalten müssen, doch seit Mitte 2015 bekommt der Couchpotato das gewünschte Essen mit dem Fahrradkurier vom hippen Restaurant bis zur Haustür geliefert. Eine Neuerung, die auch den Lokalen beim Geldverdienen hilft. Mario Pulker, Obmann des Fachverbandes für Gastronomie der Wirtschaftskammer Österreich, sieht diese Entwicklung als "ganz positiv": Endlich hätten auch "traditionelle Betriebe die Möglichkeit, auszuliefern".

Das Unternehmen Foodora ist ein Vorreiter dieses Hypes: Umweltfreundlich, schnell und hip kommen seine Kuriere im pinken Einheitslook daher. Doch das saubere Image des Essenszustellers bröckelt. In Berlin protestierten seine Fahrer bereits gegen die schlechten Arbeitsbedingungen. Die Unternehmensleitung kalmiert: Es sei nur "ein kleiner Anteil", der unzufrieden ist, sagt der Mitbegründer Emanuel Pallua gegenüber deutschen Medien. "Wir haben ganz ähnliche Probleme", sagt hingegen die österreichische Betriebsratsvorsitzende, Adele Siegl, zu News.

Das Geschäftsmodell der pinken Fahrradflotte ist einfach erklärt: Der hungrige Kunde bestellt über eine App das Essen beim Restaurant seiner Wahl. Häufig sind dies Lokale, die selbst keinen Lieferdienst anbieten. Die fertige Mahlzeit wird vom Foodora-Fahrer abgeholt und zum Kunden gebracht. Kunde und Restaurant zahlen beide für die Dienstleistung. Das Ganze ist ein Erfolgsmodell, mit dem die Gruppe Delivery Hero - zu der Foodora gehört - jüngst ihr Börsendebüt feierte. Das Unternehmen ist insgesamt 4,6 Milliarden Euro wert.

Warmer Rücken

Doch was für Kunden und Investoren vielversprechend klingt, ist für die Angestellten weit weniger rosig. Damit das Essen schnell ankommt, muss der Fahrer ordentlich in die Pedale treten - und das bei jedem Wetter. Die Kuriere kritisieren vor allem die unzureichende Schlechtwetterkleidung. Während das Essen in den pinken Thermorucksäcken warm bleibt, muss der Radfahrer frieren. Gerade im Winter fehle es an geeignetem Equipment, die Jacken seien zu groß und zu wenig atmungsaktiv, sagt Betriebsratschefin Siegl: "Unzureichend ist besonders das Angebot an Regenhosen oder Winterhandschuhen, es gibt quasi keines."

»Es gibt bei Foodora quasi kein Angebot an Regenhosen oder auch Winterhandschuhen«

Als die Personalvertreterin vor zwei Jahren im Winter als Fahrerin bei Foodora in Wien begann, gab es noch einen Ort, an dem wetterfeste Kleidung zum Ausborgen lag: "Diese Garage war ein kollegialer Treffpunkt, an dem man auch sein Rad reparieren konnte oder eben im Winter - wenn einmal nicht so viel los war -hinfahren konnte, um auf Aufträge zu warten. Das gibt es jetzt nicht mehr." Viele der heutigen Fahrer würden die damaligen Räumlichkeiten nicht einmal mehr kennen, auch der kollegiale Austausch ist ihnen fremd. "Der Job ist insgesamt eher einsam, obwohl wir eigentlich durch die App, mit der wir arbeiten, überwacht werden", sagt Siegl. Kommt eine Bestellung rein, errechnet ein Algorithmus, welcher Fahrer sich in der Nähe befindet, und schickt diesem die Adresse von Restaurant und Kunden. Auch wenn Foodora angibt, Kuriere nur in bestimmten Lieferzonen einzusetzen, sind die Anfahrtswege zum Restaurant oder zum Kunden oft weit. Dabei warten nicht nur die hungrigen Kunden länger auf ihr Essen, sondern das schlägt sich auch auf den Stundenlohn von neun bis elf Euro brutto nieder, der sich auch nach den gefahrenen Bestellungen richtet. Siegl kann die langen Distanzen häufig nicht nachvollziehen, auch die Bezahlung selbst sieht sie als nicht besonders hoch an. Diese sei für eine Nebentätigkeit - was die Essensauslieferung für viele der Radler ist - eher durchschnittlich. Und trotzdem nicht ausreichend: "Wenn wir unsere Miete davon bezahlen und uns davon ernähren sollen sowie Verschleißteile oder Ersatzteile für unsere Räder kaufen oder die Räder reparieren und uns noch selber mit ergänzender Schlechtwetterkleidung ausrüsten müssen, bleibt nicht viel übrig."

Permanente Überwachung

Während der Dienstzeit muss zudem das GPS-Signal am Smartphone der Kuriere stets eingeschaltet sein, jeder Weg wird getrackt, die Fahrer damit permanent überwacht.

Genau diese Vorgehensweise wird von der Gewerkschaft aber als Leck in den Datenschutzbestimmungen interpretiert. In einem ersten Schritt sollen, sagt Gudrun Thiemer vom Landessekretariat Wien der Vida, entsprechende Regelungen in einer Betriebsvereinbarung mit Foodora fixiert werden. So soll die App insgesamt "durchsichtiger", der Fahrer nicht mehr ständig überwacht werden. Denn derzeit kann der Kunde zu jedem Zeitpunkt einsehen, wo sein Essen transportiert wird. Verzögert sich die Lieferung über die angegebene Zeit hin, wird telefonisch Bescheid gegeben, manchmal werden sogar Gutscheine verteilt.

Bis zum Herbst soll zudem ein Kollektivvertrag ausgearbeitet werden. Während Mitbewerber wie Rita bringt's (siehe links) ihre Angestellten nach dem Gastro-Kollektivvertrag zahlen, gibt es bei Foodora kein fixes Gehaltsschema. Künftig soll für alle Kuriere das Gehaltsschema für das Kleintransportgewerbe mit einer Extrakategorie für Fahrradboten gelten, so Thiemer.

Und während in Deutschland alle Foodora-Booten angestellt sind, ist das in Österreich nicht bei allen so: Ein Teil der Kuriere ist als freie Dienstnehmer gemeldet, obwohl sie die gleiche Arbeit verrichten. "Bei Foodora gibt es ungefähr 100 ordentliche Dienstverhältnisse", sagt Gewerkschaftssekretärin Thiemer: "Unser Wunsch ist es, diese Anzahl zu erhöhen." Ob sich dieser auch umsetzen lässt, steht aber noch in den Sternen: "Einen Versuch ist es wert, aber es wird sich schwierig gestalten", so die Gewerkschafterin.

Kleidung gegen Pfand

Dies auch deshalb, da man vonseiten des Unternehmens die prekären Arbeitsverhältnisse nicht sieht und auf interne Umfragen verweist, die die Zufriedenheit der Radfahrer belegen. Vincent Pfeifer, Foodora-Pressesprecher für Österreich und Deutschland, stellt klar, dass das Equipment für die Fahrer regelmäßig getestet und verbessert werde. Auch die Kritik, dass den Fahrern durch den Wegfall der Garage in Wien Treffpunkt sowie Schlechtwetterkleidung genommen wurde, weist er zurück. Foodora-Fahrer bekämen das gesamte Arbeitsmaterial gegen eine Pfandzahlung zur Aufbewahrung für daheim. Damit sei eine "Zeitersparnis gewährleistet", es sei nicht mehr nötig, dass Lieferanten "zur Garage fahren müssen, um das Material abzuholen". Und auch der kollegiale Austausch käme nicht zu kurz, "ihnen steht es frei, sich auch im Foodora-City-Office aufzuhalten".

Und doch bleibt genügend Aufwand für die Kuriere. So stellt der Fahrer das Fahrrad selbst bereit, ebenso wie das obligatorische Smartphone mit Internetverbindung. Ist eine Reparatur von Fahrrad oder Smartphone notwendig, können die Kosten laut Pfeifer zurückgefordert werden: "Dazu sind wir gesetzlich verpflichtet, und wir vollziehen das auch entsprechend." Dies gilt für alle Angestellten und "wenn die Reparatur direkt auf den Arbeitsablauf bei Foodora zurückzuführen ist". Foodora ist auch wichtig, dass seine Kuriere in vielen Wiener Werkstätten die Räder vergünstigt reparieren lassen könnten. Das ist aber nicht neu: auch selbstständige Fahrer bekommen Rabatte.

Verhärtete Fronten

Zusätzlich diskutieren Betriebsrat und Geschäftsführung über ein neu eingeführtes System, in dem der Tausch von Schichten nur mehr nach Rücksprache mit einem Vorgesetzten möglich ist. Zuvor wurde dies unbürokratisch zwischen den Fahrern geklärt. Die Fahrer fühlen sich ihrer Flexibilität beraubt, die Geschäftsführung empfindet die Änderung als wirtschaftliche Notwendigkeit, da fest angestellte Mitarbeiter durch das Wechselsystem mit ihren Arbeitsstunden ins Minus gerutscht wären. Die Gespräche sind im Gang, doch scheinen die Kommunikation festgefahren und die Fronten verhärtet. Der Betriebsrat betrachtet die Gespräche als "mühsam", man werde "nicht gerne übergangen".

Foodora muss sich aber auch mit einem immer stärker werdenden Mitbewerb auseinandersetzen. Seit Ende vergangenen Jahres ist Ubereats ebenfalls auf den Wiener Straßen unterwegs. Zu einem großen Teil per Fahrrad bringen Kuriere mit einem Foodora ähnelnden Konzept mit Thermorucksäcken in dezenterer Farbwahl Essen von ausgewählten Restaurants zur gleichen Zielgruppe, die Foodora anspricht. Nach Angaben von Ubereats hat sich dessen Kundenstamm "allein in den vergangenen drei Monaten verdreifacht". Der aus dem Taxigeschäft Uber hervorgetretene Mitbewerber ist ebenfalls nicht gerade bekannt für eine vorbildliche Mitarbeiterführung, und so darf man gespannt bleiben, wie sich dessen Verhältnis zu den Fahrradkurieren entwickelt.

Derzeit ist Uber aber mit Abstand der größte Konkurrent für Foodora. Die Platzhirsche Mjam und Lieferservice.at bewegen sich auf einem anderen Markt, indem sie die Kunden lediglich mit den Restaurants verbinden, die das Essen dann selbst zustellen. Lieferservice.at hat die Chance allerdings erkannt und beschäftigt seit diesem April auch eigene Fahrer für eine Handvoll ausgewählter Restaurants.

Wachsender Markt

"Liefere Essen mit dem Fahrrad aus, bleibe fit und entdecke deine Stadt, während du Geld verdienst", ist der Anwerbeslogan für neue Fahrer von Foodora, der auch auf der Homepage zu finden ist. Sicherlich ein Erfolgskonzept, das weiter wachsen wird. Denn der urbane Couchpotato wird weiter entspannt auf der pinken App beobachten wollen, wie sich der Fahrradkurier seiner Wohnungstüre nähert. Solange das Essen in den Thermoboxen warm ankommt, ist der Kunde zufrieden.

Die Fahrer von Foodora und seinen Mitbewerbern werden also weiterhin in die Pedale treten - bei jedem Wetter, aber vielleicht eines Tages doch adjustiert mit einem pinken Foodora-Fahrrad, einem pinken Firmenhandy und in Pink gehaltener Firmenkleidung.

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