Auf einen Kaffee
mit Hanni Rützler

Ernährungsexpertin spricht über die Trends des jetzigen und künftigen Essens

Die Zentrale für die Esskultur der Zukunft stellt man sich anders vor. Das "Futurefoodstudio" befindet sich in der Ottakringer Brunnengasse, nicht dort, wo sie bunt und multikulturell ist, sondern dort, wo alles grau in grau ist. Auf den zweiten Blick passt es besser: Das Haustor öffnet sich zu einem Hof, an dessen Längsseite ein helles, großes Studio zum Diskutieren liegt, ein kleines Büro zum Organisieren - und eine große Küche zum Präsentieren. Dort wird eifrig gewerkt: Drei junge Schweizer wollen hier tags darauf den Rezeptband "Leaf to Root" vorstellen, Untertitel: "Gemüse essen vom Blatt bis zur Wurzel". Seit Stunden kochen sie vor, damit Journalisten auch selbst testen können, worüber sie dann schreiben.

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Das ist ganz nach dem Geschmack der "Hausherrin": Ernährungsexpertin Hanni Rützler setzt sich für die ganzheitliche Verwertung von Lebensmitteln ein, das gilt für Gemüse ebenso wie für Fleisch ("from nose to tail"). "Große Küchen verwerten immer schon ganze Produkte, in China werden Gemüse nach ihrem unterschiedlichen Reifungsgrad benannt und gekocht." An Roten Rüben oder Radieschen könne man viel mehr Genüsse entdecken, als es dem Drang industrieller Landwirtschaft nach mehr Ertrag und besserer Transportfähigkeit entspricht. Das passt zu den drei Grundsünden beim Essen, welche die 55-Jährige bekämpft: "Schneller, billiger, mehr!" Ihr Credo: "Lieber weniger, dafür gut. Und lieber langsamer, dafür mit Genuss."

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Neue, feine Küche

Aber was werden wir essen? "Sicher weniger Fleisch. Das hat seinen historischen Charakter als Luxusgut für Reiche verloren." Und stößt an Nachhaltigkeitsgrenzen: In den vergangenen 50 Jahren hat sich der Fleischverbrauch weltweit vervierfacht, bis 2050 soll sich die Fleischproduktion mehr als verdoppeln. Bereits jetzt wird mehr als ein Viertel der globalen Landfläche für Viehhaltung und Futtermittelanbau verwendet, gefährden Massentierhaltung und Viehtransporte die Gesundheit der Menschen.

Die Alternativen zu Fleisch? Rützler hat eine spektakulär erprobt und es damit bis in die "New York Times" geschafft: Im August 2013 gehörte sie zu den Auserwählten, welche in London den 300.000 Euro teuren ersten synthetischen Burger, finanziert von einem der Gründer von Google, testen konnten. Die Produktion solcher "In-vitro-Burger" werde durch technologische Fortschritte billiger werden, geschmeckt habe ihr das eine Stück - mehr nicht, weil nicht einmal die Forscher davor gekostet hatten - recht gut. Solch "künstliches Fleisch" aus Stammzellen werde aber auch billiger nicht zur Massenware, dagegen gebe es zu große kulturelle, emotionelle Hürden.

In den USA und Europa bestünden solche auch gegen Insekten. "Dabei spricht viel für ihren Verzehr, sie sind nahrhaft und leicht zu züchten." In anderen Weltregionen seien sie längst Bestandteil der täglichen Küche, als Delikatesse und als Massennahrungsmittel. Rützler hat sie probiert, "schon vor Jahren in Afrika. Da musste ich mich beim ersten Mal wirklich überwinden, die getrocknete Raupe hat dann aber gut geschmeckt, würzig und knusprig." Im Futurefoodstudio finden Insektenkochkurse statt, denn es ist auch die Heimat des Start-ups insektenessen.at, das die Tierchen schmackhaft machen möchte. "Im Foodstudio kann man unverarbeitete Insekten im Glas erwerben, wollen Sie?" Danke, man muss nicht alles mögen.

Zukunft Insekten

Rützler glaubt nicht an eine komplett fleischfreie Zukunft, ist weder Vegetarierin noch Veganerin, sondern Flexitarierin: Sie konsumiert weniger, dafür aber qualitativ hochwertige tierische Produkte. "Immer mehr Menschen wollen wissen, woher das Fleisch stammt. Das gilt ja auch für die Milch. Der Biotrend geht in die richtige Richtung: Geschmack wird für Produzenten, Handel und Gastronomie zum Schlüssel für die Gewinnung von Konsumenten." Ein Vorrecht der Eliten, die sich bessere Lebensmittel leisten, während Ärmere sich meist schlecht ernähren und - siehe die USA - viele Kilos vor sich hertragen? So einfach sei das nicht: "Menschen essen oft das am liebsten, was sie gut kennen. Gegen die verbreitete Fettleibigkeit helfen keine Verbote, sondern Alternativen. Und der Gebrauch von Psychologie, etwa mithilfe sportlicher Freunde. Keinesfalls aber mit moralischen Vorhalten oder Verboten, die erzeugen nur Trotz."

Rützler sieht - "freilich nur in unseren reichen Gesellschaften - viele positive Entwicklungen". Etwa, dass der Trend zu mehreren kleinen, dem individuellen Arbeitsrhythmus angepassten Mahlzeiten oft Qualität und Frische berücksichtigt: Aus "Fast Food" kann "Good Food" werden. Oder dass immer mehr Geschmacksmischungen ausprobiert werden - etwa von Josef Zotter, der seine Schokolade mit Chili mischt. Oder dass Spitzenköche wie Heinz Reitbauer zunehmend mit Gemüse arbeiten. Ebenfalls sei positiv, dass Männer mehr kochen. Oder dass Kinder sich nicht mehr zwingen lassen, fertig zu essen. "Geschmack kann geübt werden, man muss dann aber auch die Lust zulassen, die gutes Essen bietet."

Peter Pelinka geht für News jede Woche "auf einen Kaffee" mit interessanten Zeitgenossen und Zeitgenossinnen. pelinka.peter@news.at

Hanni Rützler
Die heute 55-Jährige hat in Bregenz maturiert und in den USA und in Wien Ernährungswissenschaften, Psychologie und Soziologie sowie Lebensmittel- und Biotechnologie studiert. Sie arbeitet als Ernährungsberaterin sowie als Autorin mehrerer Bücher und des jährlich erscheinenden "Foodreport". Mit Peter Pelinka sprach sie in ihrem Futurefoodstudio in Wien.