Fördert das Internet die
Vereinsamung von Menschen?

Online Dating ist eine Art von Verheißung, die schneller kommt als das Paradies, aber die Verheißung kommt nicht.

von "Die Buschtrommel" - Fördert das Internet die
Vereinsamung von Menschen? © Bild: Shutterstock/Marcos Mesa Sam Wordley

Ich hatte neulich eine sehr spannende Unterhaltung mit Dr. Manfred Nelting. Er ist Facharzt für Psychotherapeutische Medizin und Allgemeinmediziner. Er war und ist zudem beteiligt an wissenschaftlichen Arbeiten und Veröffentlichungen zum Burnout-Syndrom, Depressionen, Lebenskrisen und Genforschung.

Herr Dr. Nelting, die Menschen haben sich über Jahrtausende analog, das heißt ohne das Internet, kennengelernt und in nur 15 Jahren scheint das für viele kaum noch ohne Internet zu gehen. Haben Sie dafür irgendeine Erklärung?

Online Dating sieht zunächst einfacher aus als die direkte Begegnung. Und da man denkt, Algorithmen könnten den/die Passenden optimal herausfiltern, hat das durchaus etwas Verführerisches. Da bekomme ich eine Auswahl von verschiedenen potentiellen Partnern vorgestellt und kann auswählen. Das gibt mir eine gewisse Machtposition und ich kann die vermeintlich beste Möglichkeit auswählen. Das sind alles Gedanken, die einen verführen können, aber letztlich eine oberflächliche Schicht dieser Thematik sind. Denn es stimmt hinten und vorne nicht. Algorithmen können nicht ‚den oder die’ besten Partner/in finden, denn was eine Erfolgsstory zwischen zwei Menschen ausmacht, ist bis heute völlig ungeklärt. Das kann ‚passendes und ähnliches’ sein, es kann aber auch das vollkommen gegensätzliche sein, was zwei Menschen aneinander fasziniert und in einer erfüllten Beziehung leben lässt. Dass sich einige Menschen beim online Dating kennenlernen und auch eine gute Beziehung führen können, ist nicht in Abrede zu stellen. Für mich ist das jedoch eher ein ‚Nebenprodukt’, kein weit verbreitetes Phänomen. Es überwiegen die Enttäuschungen.

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Es ist doch so: Normalerweise trifft man eine Person und nicht ganz viele. Man lernt jemanden kennen, findet den- oder diejenige toll und verliebt sich möglicherweise. Und diese Person stellt man grundsätzlich nicht mit anderen Personen in einen Vergleich. Man lotet das vielmehr für sich selbst in Ruhe aus und ist vielleicht in einer persönlichen Aufregung. Dass ist ja das Schöne am Verliebt sein – das gegenüber ist einfach wunderbar! Wenn das Miteinander aber nicht mit einem solchen Resonanzgefühl beginnt, sondern mit einem Vergleich, dann habe ich dieser Person im Grunde schon eine schwere Bürde aufgelastet. Denn diese Person, die muss jetzt genügen, wenn ich sie ausgewählt habe. Das macht eine Partnerwahl zu etwas, das es nicht ist. Eine online begonnene Beziehung wird davon begleitet, was am Anfang war – es könnte noch etwas Besseres auf dem Markt geben. Und wer tatsächlich aus Zeitnot online Dating nutzt, der hat zu wenig analoges Leben, als das eine Beziehung klappen kann, denn eine Beziehung muss gepflegt werden. Und dafür braucht man genügend Raum und Zeit.

Würden Sie sagen, dass das Internet die Vereinsamung von Menschen fördert?

Wir beobachten generell eine Individualisierungs- und Vereinsamungs-tendenz in den letzten Jahren. Wir haben einen Rückgang aller Bindungen, sowohl in den Familien, bei Freunden, in der Religion oder der Nachbarschaft. Es geht hin zu einer Individualisierung bei der man sich selbst optimieren muss, damit man in dieser Gesellschaft gesehen wird. Konsum wird als Verdienst dargestellt, man zeigt was man hat und kann. Bei vielen Menschen ist mit dem Alleinsein die Einsamkeit verbunden und das wird durch die Digitalisierung verstärkt. Generell sehen wir mittlerweile vielfach eine online Präferenz gegenüber einem analogen Leben. Die Stunden, die Menschen vor einem viereckigen Kasten sitzen, nimmt stetig zu, in den USA sind wir bei den acht- bis achtzehnjährigen bereits bei sieben Stunden täglich. Online Dating und Social Media gehören zu diesem ‚Kasten’ - Sitzen.

Die Aufforderung zur Selbstoptimierung bis hin zur Schaffung verschiedener Identitäten in virtuellen Welten führt dazu, dass die Realität sich von der virtuellen Welt immer weiter entfernt. Denn im Sitzen wird man schlaff, dicker und behäbiger. Und somit hat das, was viele in der virtuellen Welt über sich schreiben oder Bilder, die sie zeigen, mit der Realität nicht mehr viel zu tun. In der Fehlnutzung der Medien werde ich zwangsläufig unattraktiver oder ein zwanghafter Optimierer der zusammenbricht, wenn er einen Pickel bekommt. Online Dating ist eine Art von Verheißung, die schneller kommt als das Paradies, aber die Verheißung kommt nicht.

Was sind Ihre Erfahrungen? Vereinsamen wir immer mehr? Schreiben Sie mir! info@corinnabusch.com

© Corinna Busch Corinna Busch. Journalistin, Autorin, Coach und News.at-Kolumnistin

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