Europa macht
Außengrenzen dicht

Die europäische Flüchtlingspolitik steht vor einem Kurswechsel. Kommt jetzt die "Festung Europa"?

von Flüchtlingspolitik - Europa macht
Außengrenzen dicht
© Bild: LOUISA GOULIAMAKI / AFP

Die europäische Flüchtlingspolitik steht vor einem radikalen Kurswechsel. Beim Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs dürfte Ende der Woche in Brüssel endgültig die Abkehr von der viel zitierten "Willkommenspolitik" hin zu einer Abschottung Europas nach australischem Vorbild beschlossen werden. Nach dem EU-Asylgipfel vom Sonntag zeichnet sich dies als Stoßrichtung in der Migrationspolitik ab.

Nachfolgend die wichtigsten Eckpunkte in der aktuellen Asyl-Debatte:

Außengrenzschutz

Der stärkere Schutz der EU-Außengrenzen ist in der Migrationspolitik derzeit der kleinste gemeinsame Nenner unter den EU-Staaten. Fast alle Länder sind inzwischen für ein rigoroseres Vorgehen gegen illegale Migration an den Außengrenzen. Potenzielle Asylwerber sollen gar nicht erst EU-Boden Boden betreten. Das gilt für die Flüchtlingsroute am Balkan, die östliche sowie die westliche Mittelmeerroute. Vor allem die Libyen-Route soll in den nächsten Monaten nach und nach geschlossen werden. Bei Seenotrettungen sollen Flüchtlinge künftig nicht in ein EU-Land, sondern zurück nach Libyen gebracht werden, hieß es am Sonntag nach dem EU-Asylgipfel in Brüssel. Ein härteres Vorgehen droht nicht nur gegen Schlepper, sondern auch gegen NGOs. Die ersten Ansätze dieser Politik bekommen derzeit das Rettungsschiff "Lifeline" und ein dänisches Containerschiff zu spüren, die im Mittelmeer etwa 350 aus Seenot gerettete Flüchtlinge aufgenommen und vorerst keinen europäischen Hafen zum Anlaufen gefunden haben. Die libysche Küstenwache hat seit vergangener Woche fast 2.000 Menschen abgefangen und zurück nach Nordafrika gebracht.

Frontex

Zum besseren Schutz der Außengrenzen soll die Grenzschutzagentur Frontex massiv ausgebaut werden und ein entsprechendes politisches Mandat erhalten. Früher als geplant, nämlich bereits bis zum Jahr 2020, soll die Frontex-Truppe auf rund 10.000 Personen aufgestockt werden. Frontex soll wie eine Grenzpolizei agieren, EU-Länder an der Außengrenze beim Abfangen von illegalen Migranten unterstützen und auch gegen Schlepperbanden vorgehen. Die Grenzschutzagentur soll dabei auch in Drittstaaten außerhalb der EU aktiv werden. Der entsprechende Beschluss für ein Frontex-Paket inklusive der notwendigen Budgets könnte bis zum EU-Gipfel unter Österreichs Ratspräsidentschaft im September in Salzburg stehen.

Abkommen mit Drittstaaten

Abkommen mit Drittstaaten stehen in der EU-Migrationspolitik ebenfalls ganz oben auf der Agenda. Solche Abkommen könnten etwa - gegen Einwurf großer Münzen - die Rücknahme von Flüchtlingen, die Errichtung von Asylzentren oder ein Mandat für den Einsatz von Frontex umfassen. Mit der Türkei hat die EU etwa einen Deal abgeschlossen, bei dem die Türkei Flüchtlinge aus der Krisenregion um Syrien im Land behält und dafür im Gegenzug zwei mal 3 Milliarden Euro erhält. Ähnliche Abkommen will die EU mit nordafrikanischen Staaten wie Libyen, Ägypten, Tunesien oder Marokko in die Wege leiten. Auch Länder unterhalb der Sahelzone, etwa Nigeria, sind dafür im Gespräch. Am Balkan kommen Albanien oder Nordmazedonien für Abkommen über die Einrichtung von Asylzentren infrage. Den beiden Ländern könnten dafür im Gegenzug die Aufnahme von Beitrittsgesprächen zur Europäischen Union winken.

Asylzentren

Asylzentren, Auffanglager, Abschiebezentren, Ankerzentren, Ausschiffungsplattformen - hier verschwimmen die von den EU-Politikern verwendeten Begrifflichkeiten und nicht immer meinen alle das gleiche. Frankreich und Spanien haben beim EU-Asylgipfel am Wochenende etwa die Einrichtung von geschlossenen Auffanglagern in Europa vorgeschlagen. Österreich, Dänemark und andere Staaten wollen Asylzentren außerhalb Europas, etwa am Balkan oder in Afrika. In diesen Zentren sollen Migranten auf ihre Schutzbedürftigkeit überprüft und zwischen echten Flüchtlingen und Wirtschaftsflüchtlingen unterschieden werden. Nur wirklich schutzbedürftige Personen sollen einen Antrag auf Asyl stellen können. Völlig unklar ist die rechtliche Basis solcher Einrichtungen. Asylrecht ist nationales Recht. Welche Norm bei der Abwicklung von Asylfällen außerhalb der EU gilt, ist ungeklärt. Das entsprechende Regelwerk müsste erst erarbeitet werden. Die EU-Kommission hat denn auch am Wochenende darauf hingewiesen, dass solche Asylzentren rechtlich kein "schwarzes Loch" sein dürften. Mit dem Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) und der Internationalen Organisation für Migration (IOM) laufen derzeit Gespräche über eine mögliche Zusammenarbeit bei der Errichtung von Auffanglagern in Afrika.

Dublin-Verordnung

"Dieser Papagei ist tot" heißt es in einem legendären Sketch der britischen Komikertruppe Monty Python. Auch wenn es einige wenige EU-Staaten nicht wahrhaben wollen, diese Beschreibung gilt auch für die Dublin-Verordnung. Dublin III sieht unter anderem vor, dass jener Staat für die Registrierung in der Fingerabdruckdatei Eurodac und die Prüfung des Asylantrags zuständig ist, in dem ein Flüchtling zuerst EU-Boden betritt. Da diese Vorgabe vor allem die Länder an den Außengrenzen massiv belastet, brachte Italien zum EU-Asylgipfel nach Brüssel einen eigenen Zehn-Punkte-Plan mit, der eine Ende des Dublin-Systems und einen radikalen Wandel der bisherigen europäischen Asylpolitik fordert. In Deutschland wird unterdessen derzeit unter Verweis auf Dublin die Zurückweisung von bereits in einem anderen Land registrierten Flüchtlingen diskutiert.

Flüchtlingsverteilung

Hier geht zwischen den EU-Staaten so gut wie nichts. Länder wie Italien, Griechenland oder Malta plädieren für eine Umverteilung von Flüchtlingen von stark zu weniger stark belasteten Staaten. Die Visegrad-Länder Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei sind vehement gegen einen Automatismus. Auch Österreich ist gegen Quoten. Deutschland hingegen wünscht sich eine Verteilung der "Sekundärmigration" und einen fairen Ausgleich im Schengen-Raum. Da dies auf europäischer Ebene nicht machbar ist, will Deutschland bi- oder trilaterale Absprachen über die Rücknahme von Flüchtlingen mit anderen EU-Staaten. Frankreich hat Deutschland dabei Entgegenkommen signalisiert, und Frankreich hat ein solches Abkommen bereits mit Italien. Deutschland hätte gerne eines mit Italien, Italien ist dazu unter der neuen rechtspopulistischen Regierung aber nicht mehr bereit. Alles in allem ist in dieser Frage keine Lösung in Sicht, weshalb alle Staaten auf den Außengrenzschutz fokussieren, und sich der Kreis schließt. Ohne Primärmigration keine Sekundärmigration, so die Argumentation.

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